Mit der unabgesprochenen Ernennung einer Ansprechperson gegen antimuslimischen Rassismus hat Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) einen Eklat im Berliner Senat herbeigeführt. Im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint hatte Kiziltepe am Dienstagmorgen verkündet, die neue Position zu schaffen – und mit der promovierten Wissenschaftlerin Yücel Meheroğlu zu besetzen.
Kurz darauf verbreitete ihre Verwaltung die Meldung per Pressemitteilung: „Am 1. Juli, dem Internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus, setzt das Land Berlin erstmals eine Ansprechperson zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus ein“. Damit reagiere der Berliner Senat auf die besorgniserregende Zunahme von Fällen antimuslimischer Diskriminierung, hieß es darin weiter.
Kiziltepes Haus musste die Pressemitteilung zurückziehen
Nur wenig später musste die Senatsverwaltung die Mitteilung allerdings wieder zurückziehen. Der Grund: Der Senat wusste von der neuen Stelle überhaupt nichts. Nicht einmal Kiziltepes SPD-Senatskollegen sollen informiert gewesen sein.
Das Thema war weder in der Staatssekretärskonferenz noch auf Senatsebene ein Thema. Es gab dazu keinen Austausch im Vorfeld.
Christine Richter, Senatssprecherin, zur Ansprechperson gegen antimuslimischen Rassismus
Das sorgte noch auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Senatssitzung für ungewöhnliche Szenen. Kiziltepe wand sich bei Fragen zu dem Posten und erklärte, dass es im Senat noch „Abstimmungsbedarf“ gebe. Dagegen stellte Senatssprecherin Christine Richter sichtbar erregt klar: „Das Thema war weder in der Staatssekretärskonferenz noch auf Senatsebene ein Thema. Es gab dazu keinen Austausch im Vorfeld.“
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Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) habe deshalb in der Sitzung festgestellt, dass es keine Einigung zu dem Thema gebe, so Richter. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die zwischen den beiden saß, blickte nur betreten auf die vor ihr liegenden Unterlagen.
Yücel Meheroğlu bereits in der Senatsverwaltung eingestellt
Abgeschlossen ist der Streit zwischen CDU und SPD in dem Fall damit nicht. Im Anschluss an die Pressekonferenz teilte die Sozialverwaltung mit, dass Meheroğlu zwar noch nicht im Auftrag des Landes arbeite. Solange es noch Klärungsbedarf gebe, werde sie jedoch als Ansprechperson der Senatsverwaltung für das Thema des antimuslimischen Rassismus tätig sein. Eingestellt wurde Meheroğlu nämlich bereits von Kiziltepes Haus. Als kurzfristig finanzierte Beschäftigungsposition bis Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026.
Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn da eine Senatorin meint, mit irgendwelchen Alleingängen Fakten schaffen zu müssen, ohne die Ergebnisse einer extra eingesetzten Enquetekommission abzuwarten.
Dirk Stettner, CDU-Fraktionsvorsitzender
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner kann das nicht nachvollziehen. Er verwies im Gespräch mit dem Tagesspiegel darauf, dass es für solche Fragen die Enquetekommission für gesellschaftlichen Zusammenhalt gebe. In deren kommender Sitzung werde es im Rahmen einer Expertenanhörung ausführlich um antimuslimischen Rassismus gehen.
„Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn da eine Senatorin meint, mit irgendwelchen Alleingängen Fakten schaffen zu müssen, ohne die Ergebnisse einer extra eingesetzten Enquetekommission abzuwarten“, sagte Stettner.
Zwar wurde auch Orkan Özdemir, Sprecher für Antidiskriminierung in der SPD-Fraktion, von dem ganz am Ende der Senatssitzung ausgebrochenem Streit überrascht. An der Notwendigkeit des von Kiziltepe geschaffenen Postens hat er dennoch keinen Zweifel. „Ich gehe fest davon aus, dass die Koalition in den nächsten Wochen bei der dringenden Notwendigkeit eines Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus für das Land Berlin übereinkommt“, sagte er dem Tagesspiegel.
Hinter vorgehaltener Hand hieß es auch aus den Reihen der Sozialdemokraten, Kiziltepe hätte die Schaffung des Postens besser kommunizieren müssen. Zeitgleich versuchten die Genossen, die CDU unter Druck zu setzen und verwiesen auf die zuletzt gestiegene Zahl antimuslimischer Straftaten in Berlin. „Das hält die CDU nicht durch, in dieser Stadt und dieser Lage eine solche Ansprechperson zu verhindern“, hieß es.
Kommt es zu einem Posten-Deal bei Schwarz-Rot?
Eine Lösung könnte demnach darin bestehen, dass die SPD den Landesposten gegen antimuslimischen Rassismus erhält und im Gegenzug die von der CDU geforderte Stelle eines Beauftragten gegen Antisemitismus an den Berliner Hochschulen eingerichtet wird.
CDU-Fraktionschef Stettner will von einem solchen Deal hingegen nichts wissen. Es brauche generell nicht so viele Beauftragte. „Und wenn wir Beauftragte brauchen, dann will ich erstmal den Beauftragten an den Hochschulen gegen Antisemitismus. Das hat die zuständige Senatorin bis heute noch nicht umgesetzt.“
Es gebe „eine viel höhere Dringlichkeit, Jüdinnen und Juden in der Stadt zu schützen“, sagte der CDU-Politiker und fügte hinzu: „Wir haben auch einen importierten Judenhass, der wird leider meist von Menschen muslimischen Glaubens ausgelebt.“
Kiziltepe selbst sah zuletzt noch Abstimmungsbedarf
Allerdings ist auch die Zahl der angezeigten Delikte gegenüber Muslimen in Berlin zuletzt sprunghaft angestiegen. Laut Jahresbericht des Verbands „Claim – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ für 2024 wurden im vergangenen Jahr 644 antimuslimische Vorfälle dokumentiert – darunter Diskriminierungen, verbale Angriffe und körperliche Gewalttaten. Das entsprach einem Anstieg von fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 382).
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Pikant: Kiziltepe persönlich hatte Anfang Juni im Anschluss der Vorstellung dieser Zahlen erklärt, dass es zu der Frage, welche Aufgaben eine von ihr geforderte Ansprechperson übernehmen soll, noch Abstimmungsbedarf im Senat gebe. Unklar ist, warum diese Abstimmung nicht erfolgt ist, was Kiziltepe letztlich den Vorwurf eines unprofessionellen Alleingangs einbrachte und selbst in den eigenen Reihen für Kopfschütteln sorgt.