Berlin/Istanbul – Es gibt eine rote Linie, die Karikaturisten in der Türkei in der Regel nicht überschreiten: die Darstellung des Propheten Mohammed. Im Islam ist das verboten. Dass Muslime gegen diese Regel verstoßen: eigentlich undenkbar. Doch seit Tagen sorgt eine angebliche Mohammed-Zeichnung im türkischen Satiremagazin „LeMan“ für gewaltsame Proteste und Zusammenstöße in Istanbul.

Die Karikatur entfesselte einen wütenden Islamisten-Mob. „Die ungläubigen Kemalisten werden dafür bezahlen“, riefen sie vor dem „LeMan“-Gebäude. Zur Einordnung: Kemalisten setzen sich für eine westlich orientierte Republik ein.

Die Zeitung bestreitet, den Propheten zu zeigen. Trotzdem ist die Empörung in der Türkei enorm – befeuert von Präsident Recep Tayyip Erdogan (71), der von einer „widerwärtigen Provokation“ und einem „Hassverbrechen“ sprach.

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Die Folge: Schon am Montag wurden der Zeichner, der Grafiker und zwei weitere Mitarbeiter von „LeMan“ festgenommen. Der Vorwurf: „Verunglimpfung“ religiöser Werte. Manchem reichte das nicht. Noch am Abend versuchte ein aufgebrachter Mob, eine Istanbuler Bar zu stürmen, die häufig von „LeMan“-Mitarbeitern besucht wird. Ein Handgemenge artete nach AFP-Informationen in eine Massenschlägerei mit 250 bis 300 Beteiligten aus.

Das ist auf der Zeichnung zu sehen: Zwei Männer mit Engelsflügeln, die offenbar getötet wurden, geben sich im Himmel über einer bombardierten Stadt die Hand. Der eine sagt: „Salam aleikum, ich bin Mohammed“. Der andere antwortet: „Aleikum salam, ich bin Musa.“ Musa ist die arabische Version des Namens Moses.

An den Protesten in Istanbul nahmen auch Frauen teil

An den Protesten in Istanbul nahmen auch vollverschleierte Frauen teil

Foto: AP

Nachdem es bereits am Montagabend zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen war (Beamte setzten Tränengas und Gummigeschosse ein), verhängte der Gouverneur des Istanbuler Bezirks Beyoglu für Dienstag ein Demonstrationsverbot. Der Taksim-Platz und die Einkaufsmeile Istiklal wurden zur Sperrzone.

„Mistkerle, vergesst nicht Charlie Hebdo!“

Trotzdem gingen erneut etwa 300 Menschen auf die Straße. Einige riefen: „LeMan, Mistkerle, vergesst nicht Charlie Hebdo.“ Eine klare Androhung von Gewalt! Islamisten hatten 2015 nach der Veröffentlichung einer Mohammed-Karikatur die Redaktion des Pariser Magazins gestürmt und 12 Menschen erschossen.

UND: Schon am Sonntag soll sich in der Nähe des Redaktionsgebäudes im Stadtteil Beyoglu eine Gruppe von Männern versammelt und „Es lebe die Scharia“ gerufen haben. Laut der Nachrichtenplattform „Birgün“ gingen Fensterscheiben zu Bruch, auch die Türen an dem Gebäude wurden beschädigt.

Polizisten sicherten am Dienstag die Straßen in Istanbul – neue Proteste wurden befürchtet

Polizisten sicherten am Dienstag die Straßen in Istanbul – neue Proteste wurden befürchtet

Foto: AP

▶︎ Die Redaktion von „LeMan“ versuchte indes, die Wogen zu glätten. Der dargestellte Mohammed sei nicht der Prophet, sondern einer von 200 Millionen Menschen in der islamischen Welt mit dem gleichen Vornamen. Er sei beim Bombardement des Gazastreifens getötet worden – ebenso wie Musa/Moses, der auch im Judentum als Prophet verehrt wird.

Glaubhaft oder nicht: Den Behörden warf Chefredakteur Tuncay Akgün (63) eine „sehr systematische Provokation“ vor, die bewusst Parallelen zum Fall „Charlie Hebdo“ herstelle. Die Anwaltsvereinigung CHD wurde noch deutlicher: „LeMan“ solle zum Schweigen gebracht werden, hieß es auf X. Das Vorgehen sei als Angriff auf Oppositionelle im ganzen Land zu verstehen.