Hürth (NRW) – Das Gleis ist gesperrt, da kommt kein Zug, glaubten die Gleisarbeiter Murat D. (27) und Benjamin S. (31). Dann erfasste ein Intercity die Männer. Zwei Jahre nach dem tödlichen Zugunglück von Hürth steht ein mutmaßlicher Verantwortlicher vor Gericht.
Der Unfall geschah am 4. Mai 2023 in Hürth-Fischenich. Ein Bautrupp führte dort gegen 11 Uhr sogenannte Handstopfarbeiten aus. Das Gleis war abgesackt, sollte stabilisiert werden. Als der Lokführer eines Intercity den Bautrupp 200 Meter vor sich sah, leitete er eine Notbremsung ein. Doch der Zug, der mit 159 km/h unterwegs war, kam erst nach 608 Metern zum Stehen.
4. Mai 2023, Hürth-Fischenich. Der Intercity (600 Tonnen schwer) kam nach der Notbremsung nach 608 Metern zum Stehen
Foto: Mirko Wolf/TNN/dpa
Von der Anklagebank des Amtsgerichts Brühl (Nordrhein-Westfalen) sieht Ramazan E. (54) am 1. Juli 2022 in die wütenden und verzweifelten Gesichter von Murats Mutter und dessen drei Schwestern. „Was schaust du so?“, ruft ihm eine entgegen. „Seit zwei Jahren existiert eine Familie nicht mehr.“
Ramazan E. (54) mit seinem Verteidiger Mark Niehuus vor Gericht. Er ist wegen fahrlässiger Tötung angeklagt
Foto: Marcus Simaitis
Angeklagter soll Sicherheit vernachlässigt haben
Ramazan E. hatte am Tag des Zugunglücks die Sicherungsaufsicht über die Baustelle. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe behauptet, das Gleis sei gesperrt. Dabei hatte der zuständige Fahrdienstleiter das abgelehnt.
Außerdem soll der Angeklagte die Sicherungsposten nicht richtig eingewiesen und ein mobiles Warnsignal nicht aufgestellt haben. „Sie haben aus Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht“, so die Staatsanwältin.
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Zum Prozessauftakt sprach der 54-Jährige den Hinterbliebenen sein Beileid aus – und bestritt die Vorwürfe. Der Bauüberwacher, ein Ingenieur der Deutschen Bahn, hätte ihm und Polier Benjamin S. gesagt, dass das Gleis für die Bauarbeiten gesperrt worden sei. Ob das stimmt, kann das Gericht jedoch nicht klären. Benjamin S. kam bei dem Unfall ums Leben. Und der Bauüberwacher verweigert die Aussage.
Die Mutter von Murat D. brach im Gericht in Tränen aus
Foto: Marcus Simaitis
Murat starb an seinem 27. Geburtstag
„Ich stand auch am Gleis, als ich plötzlich von links den Zug kommen sah“, so der Angeklagte. „Ich hörte ein Pfeifen (das Warnsignal des Zugs/Anm. d. Red.) und rief: ‚Raus, raus, schnell raus!‘“ Zwei Männer aus dem Bautrupp habe er noch selbst aus dem Gleis wegzerren können. Doch Murat D. und Benjamin S. schafften es nicht mehr.
Besonders tragisch: Murat D. hatte am Unglückstag Geburtstag. Seine Schwester Heja gegenüber BILD: „Er wollte nach der Arbeit unsere Mutter zum Essen ausführen.“
Der Prozess wird fortgesetzt.