Die Schmalkaldener Straße in Milbertshofen ist ein kaum 400 Meter kurzer und in jeglicher Hinsicht unauffälliger Verbindungsweg vom Oberhofer Platz zur B13 – gesäumt von mehrgeschossigen Wohnhäusern, vor denen in langen Reihen Autos parken. Hier hat sich am 3. Juni 2024 eine bewaffnete Auseinandersetzung im Drogenmilieu abgespielt, die eher zu einer US-Krimiserie als in dieses beschauliche Stück München passt.

Am Ende dieses Streits ist der junge Mann Deniz D. tot. Mutmaßlich erschossen von Ihab L., der verletzt durch Messerstiche flüchtet – mit einem Umzugskarton voller Marihuana auf dem Beifahrersitz. Die Drogen werden später für 10 000 Euro verkauft, allein der 22-Jährige sieht von dem Geld nichts. Denn er wird 17 Tage nach der Tat festgenommen und muss sich nun wegen Mordes vor dem Landgericht München I verantworten.

Zum Prozessauftakt betritt Ihab L. in weißem Hemd und dunklem Anzug den Saal B173 im Münchner Strafjustizzentrum – in den Händen ein Aktenordner, um sein Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Nur kurz schaut er hinüber in den Zuschauerraum, wo unter anderem seine Mutter und sein Bruder sitzen. Danach richtet der junge Mann aus Hessen seinen Blick sofort wieder auf den Boden. Kurz bevor ihn der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann nach seinen Personalien fragt, bricht Ihab L. in Tränen aus. Mit erstickter Stimme gibt er sein Geburtsdatum an. Auf die Frage nach seinem Beruf antwortet er, dass er vor der Haft als Kickboxer Geld verdient habe und obendrein Taxi gefahren sei.

Als weitere Einnahmequelle, davon ist zumindest die Staatsanwaltschaft München I überzeugt, wollten Ihab L. und sein Komplize Joel A. Drogen verkaufen. Der 26-Jährige aus Germering habe dabei als „Kenner der Münchner Szene“ die Kontakte für den Mann aus Hessen knüpfen sollen – etwa zu Deniz D. Dieser betrieb in der Landeshauptstadt einen schwungvollen Handel mit Marihuana und pries die Qualität seines Stoffs sogar auf einem Telegram-Kanal an.

Um von Deniz D. drei Kilo Marihuana für 15 000 Euro zu erwerben, vereinbarten Joel A. und Ihab L. ein Treffen mit dem Drogendealer in der Schmalkaldener Straße. Dort fuhr dann jedoch nur der 22-jährige Ihab L. im Auto vor – bewaffnet mit einem Pfefferspray und einer halbautomatischen Pistole, die ihm sein Kompagnon besorgt hatte. Schließlich hätten die beiden von vornherein geplant, so die Staatsanwältin, die Drogen nicht wie vereinbart zu bezahlen, „sondern sich des vom Verkäufer mitgeführten Marihuanas durch Drohung mit Gewalt und/oder mit Gewalt, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Pfefferspray oder anderer Waffen zu bemächtigen“.

Allein Deniz D. wollte die Ware nicht kampflos herausrücken. Daraufhin kam es laut Anklageschrift zu einer Auseinandersetzung, bei der Ihab L. zunächst sein Pfefferspray einsetzte, ehe der Drogendealer mit einer Gaspistole auf ihn schoss. In der Folge habe Deniz D. auch noch mit einem Messer auf das Bein seines Kontrahenten eingestochen, um diesen am Wegfahren zu hindern. Hierauf schoss Ihab L. mit der Pistole auf den Dealer – und tötete ihn.

Ihab L. räumt ein, dass er Deniz D. erschossen hat – erzählt aber eine andere Version der Geschichte

Anschließend sei der 22-Jährige zu seinem Komplizen geflohen, habe ihm die Drogen übergeben und sei danach zurück nach Hessen gefahren, so die Staatsanwältin. Dort habe die Polizei ihn dann Ende Juni in der Wohnung eines Freunds festgenommen. Derweil verkaufte Joel A. das Marihuana und verprasste das Geld, um ein „luxuriöses Leben führen zu können“, wie der Richter im vergangenen April in dem Verfahren gegen den 26-Jährige sagte. Er wurde damals zu acht Jahren und drei Monaten Haft verurteilt – wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung.

Bei Ihab L. lautet die Anklage nun auf Mord. Tatsächlich habe er an jenem Junitag Deniz D. erschossen, räumt der 22-Jährige nach Verlesung der Anklageschrift ein. In einer Erklärung, die sein Verteidiger vorträgt, wird freilich eine andere Version der Geschichte erzählt. Demnach habe Ihab L. aus Notwehr gehandelt, nachdem Deniz D. ihn mit dem Messer angegriffen hatte. Zudem habe der Angeklagte keineswegs vorgehabt, ins Drogengeschäft einzusteigen, sondern lediglich seinem Freund Joel A. einen Gefallen tun wollen – auch als Wiedergutmachung, da er zuvor dessen 1000 Euro teure Sonnenbrille versehentlich zerbrochen habe. Bei der Übergabe der Drogen habe dann nicht etwa er Deniz D. betrügen wollen, heißt es in der Erklärung von Ihab L. Vielmehr habe der Dealer „versucht, mich abzuziehen“.

„Ein Mensch ist durch meine Hand verstorben, das wird mich den Rest meines Lebens verfolgen“, sagt der Angeklagte, als er nach seinem Verteidiger selbst das Wort ergreift. Und an die Adresse der Familie von Deniz D., der kurz vor seinem Tod Vater geworden war, fügt er hinzu: „Es tut mir aufrichtig leid, was passiert ist.“

Für das Gericht wird es nun darum gehen, den Wahrheitsgehalt von Ihab L.s Version des Tathergangs zu ermitteln. Für den Prozess sind insgesamt zehn Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte demnach Anfang August fallen.