Nicht sehr verklausuliert kommen darin diverse deutsche Großschriftsteller, Filmemacher und Journalisten vor, die sich allesamt vielleicht ein bisschen zu gut kennen. Es ist eine großartige Satire auf die deutsche Kulturschickeria. Aber nein, Kaiser ging es gar nicht um diesen Gag: Das Lokal gehört der Familie ihres Mannes. Ihr Schwiegervater hat es 1985 gegründet, heute betreibt es ihr Schwager, und nach wie vor ist es ein schnörkelloser Italiener mitten in der Innenstadt, der den Touristen zwar auch Pizza verkaufen muss, seine Stärken aber definitiv bei Pasta und Fischgerichten hat. Wir essen deswegen zunächst ein Thunfisch-Carpaccio, dann eine kleine Portion Vongole, beides ausgezeichnet, und dann noch ein Stück Branzino mit Gemüse. Kaiser bestellt noch ein Glas Prosecco zur Feier des Tages, denn in der Früh hat sie die letzte Überarbeitung ihres Romans an den Verlag geschickt.
„Ich möchte so etwas wie die vergangenen drei Jahre nie wieder erleben“, sagt sie und meint damit den Prozess des Romanschreibens. Um das kurz zu klären: Kaiser hat vor einiger Zeit geheiratet, sie hat einen Sohn bekommen und dann noch einen, sie ist aus der Wiener Innenstadt an den Stadtrand gezogen und hat sich seit Buch drei „weiterentwickelt“: „Ich bin eine bessere Schriftstellerin geworden“, sagt sie. Die Kinder haben sie demütiger werden lassen, „weil du merkst, dass einfach nichts planbar ist. Du kannst dir noch so viel vornehmen, wenn ein Kind krank wird, dann holst du es vom Kindergarten und fertig.“ Und definitiv sei sie „effizienter“ geworden: „Ich war auf der Schreibschule in Hildesheim sicher nicht die talentierteste in meinem Jahrgang, aber ich war die strukturierteste – und das macht sich jetzt bezahlt.“ Trotzdem kann sie heute nur vormittags schreiben oder eben in der Nacht, wenn die Kinder schlafen. Dass das nicht immer einfach ist, kann man sich vorstellen. Und dass die Heldin ihres neuen Romans eine berufstätige Mutter ist, ist wohl nur konsequent.
Vea Kaiser ist eine gute Erzählerin, das war sie schon immer, und daran haben auch ihre Kinder nichts geändert. Nach wie vor hat sie diesen ironischen Grundton in ihrer Stimme, dieses spöttische Lachen, bei dem du nie weißt, was als Nächstes kommt: ein Verweis auf die griechische Mythologie oder doch eine Indiskretion samt einem derben Witz. Was sich geändert hat, sind die Themen: Hier im Rossini gossipen wir nicht mehr über das Trinkverhalten von Chefredakteuren nach Feierabend, sondern Kaiser redet über Kindergärten, Kindergeburtstage, Familienurlaube in Kinderhotels und warum sie es ihren Kindern erlaubt, beim Essen fernzusehen. Sie ist dabei witzig, schlagfertig und erzählt ihre Geschichten auf Pointe, und je länger wir sitzen, desto überzeugter bin ich, dass sie an und mit mir für einen Auftritt bei „Willkommen Österreich“ übt.
Sechs Jahre ohne Roman sind eine lange Zeit, vor allem wenn man so wie Kaiser erst 34 Jahre alt ist. Vor allem, weil sich der Literaturbetrieb in dieser Zeit ja auch ein bisschen geändert hat. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leser ist noch geringer geworden, und das wirkt sich eben auch auf die Texte aus, sagt Kaiser: Lange innere Monologe gehen nicht mehr, genauso wenig wie ewig lange philosophische Abhandlungen („Die werden in jeder Hörbuchversion sowieso rausgekürzt.“) Genauso wenig kann man seitenweise Orte beschreiben, um eine Stimmung zu erzeugen oder einen Spannungsbogen aufbauen, der erst nach Dutzenden Seiten verständlich wird: „Die Leute schauen alle paar Minuten aufs Handy und sind abgelenkt, du musst also schneller zum Punkt kommen.“ Ihr neuer Roman habe deswegen zu Beginn 70 kurze Kapitel gehabt, um die Leser:innen nicht zu überfordern. Das hat sie dann zwar so genervt, dass sie es aufgegeben hat, aber die Kapitel sind trotzdem sehr viel kürzer als früher. Und apropos Handy: Leser googeln heute jedes Faktum, das in einem Buch steht, sagt Kaiser. Für ihr neues Buch hat sie deswegen eine Fakten-Checkerin engagiert, die gerade alles, was überprüfbar ist, überprüft und nachrecherchiert, bis hin zur Frage, was ein Glas Champagner am Opernball 1992 gekostet hat.
Fast zwei Stunden sitzen wir mittlerweile im Rossini, Vea Kaiser hat sich warm geredet. Wir trinken noch einen Espresso, dann schaut sie auf die Uhr und muss sehr schnell los.
Der Kindergarten schließt in Kürze.