An dieses Konzert wird man sich noch erinnern. Nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der Momente der Stille.
Vor dem Auftritt der Solistin hält eine ausverkaufte Isarphilharmonie inne, ist gespannt, auch ein wenig besorgt. Konzerte mit Hilary Hahn sind gerade selten. Noch immer erholt sich die Geigerin von einer Nervenverletzung und wählt deshalb aus – einen ursprünglich geplanten Auftritt beim diesjährigen Kissinger Sommer sagte sie schon vor Monaten ab.
Doch in München tritt sie auf, schnellen Schrittes, selbstbewusst. Andrés Orozco-Estrada gibt den Einsatz zu Brahms’ Violinkonzert, entfaltet die lange Einleitung in weichem, erdigem Orchesterklang, gibt den Münchner Philharmonikern Zeit, einen Boden zu bereiten für die große erste Solo-Aussage.
Als diese schließlich durch die Philharmonie klingt, meint man, ein Publikum erleichtert ausatmen zu spüren. Von Folgen der Erkrankung ist nichts zu hören. Hilary Hahn beginnt ihren Part ohne schreiende Akzente, bettet ihren reinen, plastischen Ton ein in die Erzählung des Kopfsatzes. Die barocken Figurationen leuchtet sie mit nie nachlassender Neugier aus, die makellosen Doppelgriffe sprühen vor Intensität.
Doch das wirklich Große an Hahns Kunst ist ihr Blick für die Architektur des Stücks. In Orozco-Estrada hat sie einen Wesensverwandten. Gemeinsam entwickeln sie das Brahms-Konzert aus dem Geist des Symphonischen, machen es zum Epos. Auf organische Weise entstehen so Momente größten Ausdrucks, aber solche, in denen das Ensemble fast zum Stillstand kommt.
So zeigt Hahn auch die Kadenz nicht als Virtuosen-Glanzstück, sondern als Moment der Reflexion, der dynamisch subtilen Zusammenfassung des ersten Satzes, bevor das Hauptthema noch einmal in höchsten Höhen leuchten kann.
Comeback der Star-Geigerin Hilary Hahn
:Auch Genies sind nicht unverwundbar
Hilary Hahn gilt als Jahrhundert-Geigerin. Doch nicht immer läuft alles glatt. Wegen eines eingeklemmten Nervs konnte die US-Amerikanerin monatelang nicht auftreten. Ein Gespräch über die Verletzlichkeit im Konzertbetrieb und die heilende Kraft der Musik.
SZ PlusInterview von Paul Schäufele
Im zweiten Satz lässt ihre Aufmerksamkeit nicht nach. Auch hier kommt der Prozess durch Dialog in Gang – angestoßen durch das phänomenale Oboen-Solo von Andrey Godik.
Hahn nimmt die Melodie auf, spinnt sie fort in weiträumigem Cantabile. Selbst im extrovertierten Finale gibt man den Ensemble-Charakter des Stücks nicht auf.
Zwar brilliert Hahn mit blitzendem Elan, doch auch im größten Tutti-Trubel gibt Orozco-Estrada mit gestrecktem Zeigefinger Signal, dass auch die kleine Flöten-Figur hörbar sein soll. Der Jubel kommt nicht sofort. Als müsste sich das Publikum erst vergewissern, nicht geträumt zu haben, verharrt es für eine Sekunde. Dann Applaus ohne Ende für Philharmoniker und Hilary Hahn.
Mit großer Einsatzfreude am Werk: Dirigent Andrés Orozco-Estrada. (Foto: Tobias Hase/mphil)
Sie schenkt noch eine konzentriert farbenreiche Sarabande aus Bachs zweiter Partita und das Präludium der dritten. Hahn spielt sie wie ehedem, souverän, mit geigerischem Feuer. Ein Publikum ist beruhigt und glücklich.
Nach der Pause wäre ein Intensitätssturz nur allzu leicht. Doch auch in Antonín Dvořáks Neunter erweist sich Orozco-Estrada als sorgfältig gestaltender Orchesterleiter, dem es auf Durchsichtigkeit und intelligentes Rubato ankommt.
Klangschön schimmernd das Largo mit betörendem Englischhorn von Kai Rapsch. Motorische Energie im Scherzo vor dem mitreißenden Finale. Doch das reicht dem Energiebündel Orozco-Estrada noch nicht. Als Überraschung gibt er dem Publikum noch die Möglichkeit, das angefachte Feuer in rhythmisches Klatschen umzusetzen – zu den Klängen von Brahms’ fünftem Ungarischen Tanz.