Innerhalb von gut einer Woche haben gleich zwei Unternehmen ihren Gang aufs Parkett in Frankfurt kurzfristig abgesagt. Warum trauen sich Unternehmen hierzulande nicht mehr an die Börse?
Es hätte der bislang größte Börsengang des Jahres in Frankfurt werden sollen: Der Münchner Medizintechnik-Anbieter Brainlab wollte eigentlich am Donnerstag an die Börse gehen, hat jedoch kurzfristig abgesagt. Genau wie eine Woche zuvor der Online-Autoersatzteile-Händler Autodoc24.
Als Begründung gab man die unsichere geopolitische Lage an, die sich auf die Kapitalmärkte auswirke. Zudem gab es nicht genug Interessenten, die zum gewünschten Preis Aktien gezeichnet hatten. Damit sind die beiden deutschen Unternehmen keine Einzelfälle. Weltweit ist die Zahl der Börsengänge im ersten Halbjahr rückläufig, so Martin Steinbach von der Strategie-Beratung EY: „Wir sind mit einem guten Momentum gestartet in das Jahr 2025. Seit Februar mit den neuen Meldungen aus den USA sind Kapitalmärkte sehr sensibel, was da kommt. Man kann nichts mehr planen, und das bremst viele IPO-Pläne.“
Mehr Börsengänge in China und den USA
In Europa ist die Zahl der Börsengänge sogar um 24 Prozent zurückgegangen. Anders in China und den USA – dort gab es sogar mehr Börsengänge im ersten Halbjahr. Was haben die chinesischen und die US-Börsen, was Europa nicht hat? Stefan Risse von der Vermögensverwaltung Acatis sagt: „Damit ein Kapitalmarkt attraktiv ist, müssen Börsengänge stattfinden und ich glaube, wir sind in Europa insgesamt zu klein. Wir brauchen die Kapitalmarktunion, wir brauchen europäische und nicht mehr deutsche, britische oder französische Börsengänge.“
Es geht also um die Sichtbarkeit für Anleger und internationale Investoren. Und hier ist Amerika ganz vorn, jedenfalls was die Zahl der Börsengänge angeht.
Das Emissionsvolumen in den USA hingegen habe in den ersten sechs Monaten des Jahres nachgelassen, so Martin Steinbach von EY: „Da muss man genauer hinschauen, denn die amerikanischen Börsen gewinnen 58 Prozent ihrer Börsengänge aus dem Ausland. Deswegen ist die Internationalität und Strategie einer Börse wichtig, um vielleicht eine schwache Inlandsnachfrage durch die Auslandsnachfrage, sogenannte Crossborder-IPOS, abzufangen.“
Deutsche Unternehmen gehen nach New York
Berühmtestes Beispiel: Das Mainzer Biotech-Unternehmen BioNTech, das im Oktober 2019 an die Nasdaq in New York gegangen ist. Das gesamte Ökosystem für Börsengänge ist aus Expertensicht in den USA besser, weil es mehr Analysten, Investoren, spezialisierte Anwälte, Berater und weniger Regulierung gibt. Das mache Börsengänge in den USA für ausländische Unternehmen interessant.
Außerdem, so EY-Partner Martin Steinbach, gelte der Börsengang in Asien und den USA als eine Art Auszeichnung des Lebenswerks. „Wie so eine Art Pokal, dass man das geschafft hat. Man ist international visibel, während es hier in Deutschland und Europa etwas Besonderes ist und nicht das primäre Lebensziel.“
In Deutschland greifen viele kleine und mittelständische Unternehmen zudem viel lieber auf die Finanzierung durch die Hausbank zurück – ein bewährtes Mittel.