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Ein Straßenhund und zugleich: die mythologische Ebene. © Imago Images
„Stadt der Hunde“, das neue Buch von Leon de Winter,
verbindet zwei besorgte Väter.
Frieden im Nahen Osten. Der Hirnchirurg Jaap Hollander hat ihn unter seinen hochsensiblen Fingern, als er in Israel den Auftrag bekommt, die Tochter eines saudischen Herrschers zu operieren. Die Staaten dürften sich danach annähern. Und er, in Amsterdam wegen der Regelaltersgrenze in den Ruhestand versetzt, soll für diese Arbeit im Ausland bestens entlohnt werden. Der Tod seiner Patientin aber würde auch den eigenen Tod bedeuten.
Dies ist der Angelpunkt von Leon de Winters Roman „Stadt der Hunde“. Das Buch wirkt geradezu unheimlich aktuell, mit dem einen Strang auch wie eine Verarbeitung des Terroranriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober. Doch ist es davor entstanden, erschien im Original bereits Ende 2023. Die letzten Seiten zeigen den Helden am 6. Oktober 2023.
Das Buch
Leon de Winter: Stadt der Hunde. Roman. A. d. Niederländ. v. Stefanie Schäfer. Diogenes, Zürich 2025. 268 S., 26 Euro.
Der niederländische Autor, Sohn von Holocaust-Überlebenden, lässt in einigen seiner Bücher seine Figuren mit ihrem Judentum hadern. Hier hat der hervorragende, ziemlich eitle Neurochirurg aus der Zweckehe mit einer Krankenschwester (er hatte viele verführt, doch diese wurde schwanger) eine Tochter, die sich als Jugendliche für die Religion interessiert. Von einer Reise nach Israel kehrt sie nicht zurück.
Trotz der anfangs großzügigen Unterstützung der israelischen Behörden bleiben alle Versuche, die Tochter und ihren Reisebegleiter aufzuspüren, erfolglos. Jaap Hollanders Bindung an die Verlorene wird immer stärker, er kann dem Trauma nur begegnen, indem er weiterhin regelmäßig nach Israel fährt. „Er würde niemals aufgeben.“ Er braucht viel Geld für die Suche.
Held ohne Herzensbildung
Leon de Winter verschränkt im Roman zwei Väterschicksale ineinander: Der saudische Thronfolger hat von etlichen Medizinern erfahren, dass die Blutgefäßmissbildung im Kopf seiner Tochter zu kompliziert ist, um operiert zu werden. Der Hirnchirurg musste sich vielfach anhören, er solle sich mit dem Tod seiner Tochter abfinden. „War es seine Aufgabe, Noora zu retten, wegen des Ungleichgewichts im Universum?“ Jaap Hollander wundert sich über diesen Gedanken. Das ist die psychologische Ebene. De Winter kann aber mehr. Man erinnere sich an den Roman „Ein gutes Herz“, in dem der ermordete Filmemacher Theo van Gogh, der sich mit de Winter um seine Position zum Judentum gestritten hatte, wiederauferstand.
In „Stadt der Hunde“ fehlt es dem Helden weitgehend an Herzensbildung, Frauen sieht er fast nur als Sexpartnerinnen, die Idee von Freundschaft ist ihm fremd. Allein die Ungewissheit über das Schicksal der Tochter belastet seine Seele – bis er sich plötzlich von der Gegenwart eines streunenden Hundes gerührt sieht. Mit dem Tier kommt eine mythologische Ebene ins Buch, deren Handlungselemente phasenweise märchenhaft anmuten.
Leon de Winter gibt einiges an Spannung in die Anbahnung und Durchführung der Operation. Er lässt es politisch knistern, wenn der seinem Helden nicht sympathische israelische Ministerpräsident das Ganze mit seinem Sicherheitsapparat begleitet. Und dann bringt der Autor noch das Schicksal von Jaap Hollander selbst ins Wanken, wenn er eine Anomalie in dessen Hirn platziert. Mit souveräner Leichtigkeit, ironischen Spitzen und überraschenden Kleinigkeiten hält de Winter seine Leser und Leserinnen bei Laune. Manch ein Vergleich ist ein bisschen zu schrill geraten, aber das stört kaum. „Stadt der Hunde“ gehört zu jenen Büchern, mit denen man am besten am Morgen eines freien Tages anfängt, weil es schwerfällt, die Lektüre zu unterbrechen.