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Ausstellungswände mit kleinformatigen Bildern.Blick in die Ausstellung im Frankfurter Städel Museum. © NORBERT MIGULETZ

Das Städel stellt in einer sehr feinen Ausstellung seine Beaucamp-Schenkung repräsentativer Tübke-Zeichnungen vor.

Das Städel, sagte Direktor Philipp Demandt, komme ihm heutzutage manchmal vor, als würde es nicht Bilder, sondern Sammler sammeln. Auch Sammlerinnen. Dies in guter Frankfurter Tradition, aber naturgemäß nicht immer auf dem gewünschten Niveau, brauche es doch, so Demandt, nicht nur Geld, nicht nur Geschmack, nicht nur Expertise, stattdessen aber alles zugleich. Dies war zum Beispiel und exponiert gegeben, als 2023 Barbara und Eduard Beaucamp ein großes und wertvolles und repräsentatives Konvolut Werner-Tübke-Zeichnungen und -Aquarelle an das Museum gaben. Nicht flugs zusammengekauft, betonte Demandt, nicht durch einen Galeristen arrangiert, sondern über 50 Jahre in engem Kontakt zum Künstler.

Beaucamp kann großartige Geschichten erzählen über die halb-, eigentlich komplett konspirativen Begegnungen in den 60er Jahren in Leipzig. Auch insofern ein Zufall, war Leipzig durch die Messe doch etwas leichter zu besuchen – aber auch, betont Beaucamp, tiefe Überzeugung des Sammlerpaares von Anfang an.

Tübke, Jahrgang 1929, 2004 gestorben, in der DDR beäugt und trotz seiner, so Kuratorin und Sammlungsleiterin Regina Freyberger, niemals affirmativen Kunst mit wachsenden Erfolgen, wurde im Westen zwar als Staatskünstler abgetan, nein, sogar von Kollegen, Konkurrenten wie Baselitz („Es gibt keine Künstler in der DDR“) beträchtlich angefeindet. Aber auch bewundert für seine Technik, seine Techniken, für seine Fertigkeiten, seine Bildfindungen, die leichthin in Abgründe verweisen. Die den Maler als hochgebildeten und nachdenklichen Leser zeigen. Die der DDR, um auch das noch einmal klar zu sagen, einen solchen Pessimismus vor die Nase setzten, dass man auch leicht begreift, was für eine seltsame Zwischenstellung die zentrale Figur der ersten Leipziger Schule einnahm.

„Ich habe so gar kein Zeitgefühl“

46 handverlesene Blätter, im Ausstellungssaal der Graphischen Sammlung attraktiv gehängt und zu Themenkomplexen gruppiert. Chronologisch muss man sich selbst zurechtfinden (die Schildchen lesen, geht schon). Dass die Sammlung von den 50ern bis in die letzten Lebensjahre Tübkes reicht, ist eindrucksvoll, spielte bei der Gestaltung der Schau offenbar eine geringfügige Rolle. Das passt, erzählt doch „Werner Tübke. Metamorphosen“ eher davon, wie der Künstler die Vorstellung von zeitlichen Abläufen überspringt. „Zeitperforation“ heißt eine Abteilung. „Ich habe so gar kein Zeitgefühl“, schreibt Tübke Mitte der 70er Jahre und meint gewiss keine Unpünktlichkeit.

Bei dem Zug der Protestierenden auf „Demonstration in Militello in Sizilien“ (1977) handelt es sich um ein abgezeichnetes italienisches Zeitungsfoto. Aber nicht einmal das Akribische daran verhindert, dass das mit einer Trommel und ein paar großen (zirkushaften) Gesten ausgestattete Trüppchen durch jede Zeit dieser Welt marschieren könnte (sollte das jemand erwarten: es ist auch nicht sozialistisch eingestellt, es geht um Frauenrechte).

In der erwartungsgemäß eigenwilligen Landschafts-Abteilung „Welthaut-Bildnisse“ kann der mythologische Ikarus über dem realistisch erfassten bulgarischen Witoscha-Gebirge abstürzen. Hier hat der Künstler nicht nur kein Zeitgefühl (oder eben doch genau das: Zeitgefühl). Er weiß auch, dass aus dieser Landschaft Spartakus stammte, Anführer des berühmten Sklavenaufstands. Ein Debakel neben dem anderen. Dabei ist dafür die Abteilung „Negative Utopie“ zuständig, in der die auf Tübkes Bildern deutlich gegenwärtige Gewalt kulminiert. Nicht umsonst wurden klare Abgrenzungen vermieden.

Auch in der dann wirklich fabelhaften Abteilung „Fabeln“ lässt sich gleich ein Einhorn mit verbundenen Augen erschlagen, der Mann holte schon mit dem Hammer aus. Die Umstehenden aggressiv und erpicht. Auf den Zeichnungen Tübkes tun Menschen furchtbare Dinge. Sie tun dies in unerklärlichen Situationen. Das wie getarnt Unrealsozialistische an Tübkes Bilderwelt besteht nicht zuletzt darin, dass man zunächst vieles erkennt und den Eindruck haben muss, hier werde eine Geschichte erzählt. Erst dann begreift man, dass diese Geschichte nicht zu erklären, dass sie ohne Worte ist.

Die Freiheit, nicht alles auszumalen

Es ist allein die haarscharfe Präzision des Bildes, die hier waltet, in den Zeichnungen noch dazu aufgelockert. Die Zeichnung, so Kuratorin Freyberger, sei fertig, wenn das Wesentliche, das mit ihr ausgedrückt werden solle, ausgedrückt sei. Es gebe dann keine Verpflichtung mehr, alles vollständig auszuführen. Ästhetisch macht das die Blätter interessanter als manches vollendete Gemälde. Tübkes Zeichnungen, so Freyberger, seien meistenteils keine Vorstudien. Sie seien eigenständige Kunstwerke, Annäherungen an Themen, die ihn interessieren. Tübke denkt in Bildern nach.

Am Fabelhaftesten ist dennoch der allererste Teil dieser feinen Ausstellung, die Selbstbildnisse. „Ich spiele mich, wie ich bin“, liest man dazu eine Tübke-Wendung, die auf ewig auf den Punkt bringt, was Kunst ist. Die Selbstbildnisse sind eigen und finster. Das Gesicht des Malers taucht in merkwürdigen Zusammenhängen auf.

Der Harlekin, mit dem er sich oft identifiziert, liegt schlapp und von Treibholz wie hinter Gitter gesteckt am Strand. Oder: Man sieht Tübke von hinten und blickt mit ihm gemeinsam auf ein unheimliches Treiben. Ist es Realität, ist es ein Alptraum, ist es einfach: Kunst?

Städel Museum, Frankfurt: bis 28. September. Katalog im Museum für 25,50 Euro. www.staedelmuseum.de