Washington. US-Präsident Trump will „die Schlimmsten der Schlimmsten“ abschieben – doch viele ICE-Festnahmen und Deportationen treffen Unbescholtene.

Tom Homan, der gerne grobschlächtig auftretende PR-Chef Donald Trumps für die „größte Abschiebungswelle in der Geschichte der Vereinigten Staaten”, hat für die angeblich wichtigste Zielgruppe der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) eine griffige Formulierung geprägt: „Die Schlimmsten der Schlimmsten” würden bevorzugt inhaftiert und schnellstens außer Landes gebracht, sagt Homan bei so ziemlich jedem Medienauftritt. 

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Heißt: Mörder, Sexualstraftäter, Gewalttäter und generell wegen schwerer Straftaten bereits verurteilte illegale Einwanderer, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten, stünden ganz oben auf der Liste, mit deren Hilfe die USA „wieder groß und sicher werden”, wie der 47. US-Präsident fortwährend erklärt. 

Die Realität sieht anders aus. Nach bald sechs Monaten im Amt belegen interne ICE-Statistiken, dass die Trump-Regierung sich längst nicht mehr auf die Verhaftung von verurteilten Gewaltverbrechern konzentriert, sondern nach Rasenmähermethode jedwede Person aufgreift, interniert und nach Möglichkeit unverzüglich deportiert, die keinen legalen Aufenthaltsstatus nachweisen kann. 

Jurist: Trumps Erzählung von Millionen Schwerbrechern „völliges Zerrbild”

Neue Zahlen, an die der Sender NBC gekommen ist, belegen das. Danach wurden vom 1. Oktober 2024 bis zum 31. Mai 2025 rund 750 wegen Mordes verurteilte Personen und 1700 wegen sexueller Übergriffe verurteilte illegale Einwanderer festgenommen. Das ist nur ein Bruchteil – 6 Prozent bzw. 11 Prozent – derer, die laut ICE-Aktenlage aus dem Herbst 2024 als Mörder (13.000) oder Sexualstraftäter (15800) bekanntermaßen unerlaubt im Land waren.

Warum die Bilanz so katastrophal ausfällt, wird offiziell nicht erklärt. 

Die Sprecherin des Heimatschutzministeriums, Tricia McLaughlin, bezeichnete die NBC-Berichterstattung als „ungenau“, machte aber selbst keine Angaben zu den Festnahmen nach Straftatkategorien.

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„Es ist tendenziell schwieriger, in dieser Klientel Straftäter dingfest zu machen”, sagt dagegen ein mit ICE-Interna vertrauter Anwalt in Washington. Der Jurist verweist auf die Kehrseite der Medaille. Danach entpuppe sich Trumps Erzählung, dass Amerika von Millionen illegalen Schwerbrechern befreit werden müsse, als „völliges Zerrbild”. 

ICE-Statistiken belegten, dass von rund 185.000 festgenommenen und internierten Illegalen (Oktober 2024 bis Ende Mai 2025) nur 65.000 vorher strafrechtlich in Erscheinung getreten waren – meist durch Verkehrsdelikte oder weil sie irgendwann unerlaubt in die USA eingereist waren. Dem entspricht die Bilanz bei den derzeit knapp 60.000 in überfüllten Auffanglagern Inhaftierten – über 60 Prozent sind weder wegen einer Straftat verurteilt noch jemals angeklagt worden. „Hier werden Unschuldige, die oft seit Jahrzehnten in den USA leben, einer Arbeit nachgehen, Steuern zahlen, ihre Kinder zur Schule schicken, gnadenlos kriminalisiert“, sagen Experten der Menschenrechtsorganisation ACLU. 

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Sie erinnern an die aggressiven ICE-Razzien auf Parkplätzen der Baumarktkette Home Depot, wo sich Illegale traditionell als Tagelöhner verdingen. Bei solchen Einsätzen im Großraum Los Angeles gab es vor wenigen Wochen massive öffentliche Proteste und Ausschreitungen, die Präsident Trump dazu brachten, gegen den Willen des Bundesstaates Kalifornien die Nationalgarde einzusetzen.

Abschiebungen: „Bisher bleibt Trump hinter seinem Vorgänger zurück”

Nichtsdestotrotz erhöht die Regierung weiter den Druck. Von anfangs rund 660 Festnahmen von illegalen Einwanderern alle 24 Stunden in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft ist die Zahl derer, die Trumps Behörden oft in rüder Form von der Straße holen oder direkt am Arbeitsplatz, bei Gericht, in Fabriken oder bei Sportveranstaltungen abfangen, im Juni auf etwa 1200 im Schnitt gestiegen. Meilenweit entfernt von der 3000er-Zielmarke, die Trumps oberster Abschiebungsfunktionär Stephen Miller angeordnet hatte – pro Tag. Miller pocht derweil auf mehr Unterstützung der regelmäßig vermummt auftretenden ICE-Fahnder durch die Bundespolizei FBI, die Drogenbekämpfungs-Institution DEA und andere Bundesbehörden.

Nicht nur bei der demokratischen Opposition wächst der Argwohn. So verlangt der republikanische Abgeordnete Tony Gonzales aus Texas von der ICE-Führung eine genaue Aufschlüsselung der Zahl der festgenommenen Mörder, Vergewaltiger und anderen Kriminellen. Gemeinsam mit fünf Kollegen schreibt er: „Wir sind zwar auch der Meinung, dass wir ein Rechtsstaat sind und dass alle, die illegal unsere Grenzen überschritten haben, diesen Gesetzen unterliegen, aber bei der Durchsetzung der Einwanderungsgesetze müssen Prioritäten gesetzt werden. Jede Minute, die wir damit verbringen, eine Person mit einer weißen Weste zu verfolgen, ist eine Minute, die wir nicht für die Festnahme von Terroristen oder Kartellmitgliedern aufwenden können.”

In Regierungskreisen herrscht hohe Unzufriedenheit mit dem Stand der Abschiebungsanstrengungen. Präsident Trump spricht fortlaufend von über 20 Millionen Illegalen, die allesamt deportiert gehörten. Halboffizielle Zahlen gehen von rund 11 Millionen Menschen aus, die ohne gültige Papiere in den USA leben, das Gros davon unbescholtene Bürger. In den ersten 100 Tagen von Trumps zweiter Amtszeit hat ICE aber nur 65.000 Personen abgeschoben. Bis heute seien es laut Abschiebungs-„Zar” Tom Homan rund 200.000. Heimatschutzministerielle aus der Regierungszeit des Demokraten Joe Biden schüttet den Kopf: „Bisher bleibt Donald Trump bei den Zahlen sogar hinter seinem Vorgänger zurück.” Dieser hatte zumeist direkt bei Grenzübertritt abschieben lassen.