Galerie mit 21 Bildern: Seasons in Black – Summer Breeze Open Air 2022Von Fleisch, Groove und dem Ende der Welt – „Anthropocene“ ist ein Fest für Doomcore-Gourmets
Wenn einer weiß, wie man Schweres richtig zubereitet, dann ist es Ludwig „Lucki“ Maurer. Ob nun auf dem Grillrost oder tief in der Doomcore-Materie: Der Mann hat ein Händchen für Intensität – und „Anthropocene“, das neue Album von SEASONS IN BLACK, ist definitiv kein leicht verdaulicher Snack. Vielmehr servieren die Bayern hier ein musikalisches Fünf-Gänge-Menü, das in Sachen Wucht, Atmosphäre und Groove keine Kompromisse kennt.
Natürlich, mein geschätzter Kollege Patrick hat sich dem Album bereits angenommen – und wer seine Review gelesen hat, könnte meinen, es handle sich eher um einen musikalischen Wurzelgemüseeintopf: solide, sättigend, aber irgendwie zu gleichförmig. Dabei steckt in „Anthropocene“ so viel mehr: Der Doomcore-Kessel brodelt, die Zutaten sind sorgsam ausgewählt und mit hochkarätigen Gastauftritten raffiniert abgeschmeckt.
Vom Küchenchef zum Klangarchitekten
Dass Lucki nicht nur mit Wagyu-Rind umgehen kann, beweist er gleich im Opener „World Wide Venom“. Der Song groovt düster, stampft bedrohlich und setzt damit die Messlatte für alles, was folgt. Besonders schön: die rollende Dynamik, mit der sich der Sound durch den Gehörgang schält. Man spürt die Reife der Band – über 25 Jahre Erfahrung brennen sich hier in jeder Note nieder.
Mit „Seasons in Black“ und „You Get What You Give“ legt die Band direkt zwei absolute Nackenbrecher nach. Letzterer glänzt nicht nur mit einem überraschend eingängigen Refrain, sondern auch durch Michelle Darkness (END OF GREEN) und Marina Koller, deren Gesangsbeiträge dem Song eine fast epische Note verleihen. Wer jetzt denkt, dass Doomcore nicht sexy sein kann, wird hier eines Besseren belehrt.
Zwischen Fallout, Zellentür und russischem Flüstern
SEASONS IN BLACK verstehen es, mit Details zu spielen, ohne sich darin zu verlieren. „Yellow Sky“ beginnt mit dem Klicken eines Geigerzählers – ein kleiner Gänsehautmoment, bevor die Musik alles unter sich begräbt. Und wer bei „Inside“ nicht sofort einen nostalgischen Jeans-Flashback bekommt, hat die 90er wohl in einem Bunker verbracht. Das Cover des 90er-Hits (der hier absichtlich nicht namentlich erwähnt wird, damit der Überraschungseffekt bleibt) überzeugt mit der geballten IN-EXTREMO-Power von Micha Rhein und Specki T.D. – und gibt dem Album einen wunderbar unerwarteten Farbtupfer.
Aber keine Angst: „Anthropocene“ ist kein buntes Mixtape, sondern bleibt trotz aller Vielfalt durchweg düster, drückend und atmosphärisch geschlossen. „Blacksite“, „Fatal Fallout“ und das finstere „Forsaken“ machen unmissverständlich klar, dass SEASONS IN BLACK sich hier nicht zum Zeitvertreib getroffen haben, sondern um ein Statement zu setzen.
Kunst mit Nachdruck
Musikalisch ist das Ganze tief im Groove verwurzelt – ein wenig wie wenn TYPE O NEGATIVE und CROWBAR gemeinsam in einem Atombunker eingeschlossen werden und sich mit Gothic, Hardcore und Düsternis die Zeit vertreiben. Die Produktion schiebt ordentlich, ohne zu polieren, und das Artwork ist ebenso vielschichtig wie die Musik selbst: Jedes der neun Stücke ist mit einem eigenen Symbol versehen – ein durchdachtes Gesamtkunstwerk.
Natürlich kann man darüber streiten, ob „Anthropocene“ stilistisch viel Neues wagt. Aber wenn das Rezept so gut ist, dass man den Teller am Ende ablecken will – warum dann ändern?
Fazit:
SEASONS IN BLACK liefern mit „Anthropocene“ kein Album für den schnellen Hunger, sondern ein komplexes Gericht, das mit jedem Bissen mehr Geschmack entfaltet. Die drückende Atmosphäre, der mächtige Groove und die stimmige Produktion machen das Album zu einem Pflichttermin für alle, die sich gerne von Musik überrollen lassen.
Wer Doomcore mit Hirn, Herz und Handschrift sucht, wird hier mehr als satt. Und wer bei dieser Platte keine Gänsehaut bekommt, hat vermutlich einfach zu wenig Fett am musikalischen Gaumen
„Und sorry, lieber Patrick – sonst sind wir oft auf den gleichen Geschmack geeicht, aber diesmal biste wohl eher Filet, ich steh auf Rib-Eye mit Kruste.“