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Signierte Granaten liegen am 28. Juli 2022 auf dem Boden der Stellungen der ukrainischen Streitkräfte in der Region Charkiw.Feuer erloschen: Signierte Granaten liegen am 28. Juli 2022 auf dem Boden der Stellungen der ukrainischen Streitkräfte in der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine. Australien, Kanada und die USA haben der Ukraine mehr als 100 M777-Haubitzen und 300.000 Schuss 155-mm-Munition geliefert. Jetzt gehen die Reserven der Spender vermeintlich zur Neige. © IMAGO/Madiyevskyy Vyacheslav/Ukrinform

Die Ukraine zittert: Einige Kanonenrohre und Raketencontainer bleiben leer, wenn die USA weniger liefern. Sparzwang sagen die Einen, Heuchelei die Anderen.

Washington D.C. – „Sie stellen ein Eingeständnis dar, dass das US-Militär nicht darauf ausgelegt ist, einen längeren Konflikt zu führen oder zu unterstützen“, hat Mark F. Cancian geschrieben. Der Analyst des US-Thinktanks Center for Strategic and International (CSIS) Studies hatte sich die Frage gestellt, ob der USA die Waffen ausgehen könnten, wenn sie den Ukraine-Krieg mit Waffen gegen Wladimir Putins Invasionsarmee befeuern würde. Seine Analyse bestätigte seine These. Das war 2022 und der Krieg taufrisch. Jetzt ist der Krieg in die Jahre gekommen, aber die Frage bleibt aktuell. US-Präsident Donald Trump hat jetzt die Waffenlieferungen ausgesetzt, mit dem Verweis auf eigene endliche Ressourcen. Und hat damit einen Sturm der Entrüstung losgetreten.

Ganz oben auf den Barrikaden steht offenbar Adam Smith. Wie der US-Sender NBC meldet, halte der Demokrat und ranghöchste Vertreter des Streitkräfteausschusses des Repräsentantenhauses die Ankündigung der Trump-Regierung für reine Heuchelei. „Was unsere Vorräte angeht, sind wir heute nicht auf einem niedrigeren Stand als in den dreieinhalb Jahren des Ukraine-Konflikts“, urteilt Smith gegenüber NBC. Aufgrund der Zahlen, die ihm vorgelegen hätten, bestünde kein Hinweis auf einen Mangel, der eine Aussetzung der Hilfe für die Ukraine rechtfertigen würde, ergänzte er.

Selenskyj maßlos? Analyst fordert, die Ukraine von der Resterampe aus zu bedienen

Allerdings herrscht darüber eine geteilte Meinung. Vor mehr als einem Jahr hatte die Regierung unter Trumps Vorgänger Joe Biden schon gewarnt, dass auf die unbedingte Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf auch die Vergrößerung des Verteidigungshaltes folgen musste. Darüber hinaus sorgten sich US-Offizielle neben dem Geld um die US-amerikanischen Industriekapazitäten – eine Diskussion, die auch in anderen Unterstützerländern hitzig geführt wurde. Dazu kommt, dass Donald Trump sehr erratisch und unvorhersehbar Freund mit Feind vertauscht.

Wie James Hursch und Kristen Taylor im Februar formuliert haben, hängt sein Wohlergehen allerdings eng mit der Freundschaft zu seiner europäischen politischen Bezugsgruppe zusammen: Die Wiederbelebung der US-Rüstungsindustrie gelinge am besten mit europäischen Verbündeten, so die Analysten des Thinktanks Atlantic Council.

„Die unersättliche Nachfrage der Ukraine nach 155-Millimeter-Artilleriegeschossen hat die krassen Grenzen der US-amerikanischen Verteidigungsindustrie deutlich gemacht.“

Noch komplexer wird das Thema unter dem Aspekt, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj immer gern das Beste vom Besten geliefert bekommt – für Analyst Cancian läge ein Mittelweg darin, die Ukraine von der Resterampe aus zu bedienen: „Selbst wenn sinkende Lagerbestände die Transfers einschränken und die Neuproduktion nicht mit der Nachfrage Schritt halten kann, könnten die USA und ihre Verbündeten ältere Ausrüstung oder Ausrüstung von Drittanbietern bereitstellen. Obwohl diese Waffen effektiv sein können, würde ein solcher Ansatz eine Abkehr von der bisherigen Praxis bedeuten, Spitzenausrüstung bereitzustellen, die der Ausrüstung der US- und Nato-Streitkräfte entspricht.“

Auch das stößt sowohl Demokraten als auch einzelnen Republikanern in den USA auf. Wie NBC aktuell berichtet, soll Verteidigungsminister Pete Hegseth sogar selbst dafür gesorgt haben, dass er sich in der eigenen Argumentation verfängt: Hegseth habe das Pentagon schriftlich aufgefordert, die Munitionsbestände zu prüfen. „Drei mit der Angelegenheit vertraute Offizielle sagten, die Untersuchung habe ergeben, dass einige Bestände an hochpräziser Munition zwar niedriger seien, aber noch nicht das kritische Minimum überschritten hätten“, schreiben die NBC-Autoren Gordon Lubold, Dan De Luce, Courtney Kube und Katherine Doyle.

Trump-Mitarbeiter kompromisslos: „Wir können nicht jedem auf der Welt Waffen geben“

Ihnen zufolge habe die Kommission ergeben, „dass die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine die US-Lieferungen nicht unter die zur Gewährleistung der militärischen Einsatzbereitschaft erforderliche Schwelle senken würde“, wie im Ergebnis offiziell formuliert wurde. NBC kolportiert die Äußerungen von Mitarbeitern des US-Kongresses, wonach die Entscheidung der Aussetzung allein von Hegseth initiiert worden war. Aber tatsächlich findet er unter den Abgeordneten und Regierungsvertretern auch Unterstützung. „Wir können nicht jedem auf der Welt Waffen geben“, zitiert NBC beispielsweise Sean Parnell. Der Pentagon-Sprecher verwies darauf, dass eine „Fähigkeitsüberprüfung“, wie er den Vorgang nannte, dem Präsidenten letztendlich Handlungs-, weil Entscheidungsfreiheit ermögliche.

Was auch schon unter dem 46. US-Präsidenten Joe Biden so gewesen war, sagte sein damaliger Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan gegenüber dem US-Sender PBS: „Präsident Biden kann nur einen Kurs und eine Vision dafür festlegen, was im Interesse der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten, im Interesse des transatlantischen Bündnisses und im Interesse unserer Partnerschaft mit der Ukraine liegt. Und dieser Ansatz hat Amerika in der Vergangenheit gute Dienste geleistet.“ Damals hatte sich der Zwist zwischen den USA und der Ukraine darum gedreht, ob die Verteidiger den Russen in deren eigenem Land mit US-Waffen hinterherschießen durften – was ihnen lange verwehrt worden war.

Auch in dem Punkt war die transatlantische Allianz gespalten; in der Rüstungsindustrie sowieso. Mit ihrer rüden Rhetorik haben Donald Trump und sein Adlatus J.D. Vance die europäische Rüstungsproduktion aus dem Koma aufgeschreckt. James Hursch und Kristen Taylor vertreten die These, dass sie auch durch gemeinschaftliche Produktion und daraus folgender Risikoverteilung gegen die Bedrohung durch Putins Russland eine Menge bewegen könnten – beispielsweise durch Bündelung der Munitionsproduktion.

Ukraine-Offizielle klagen: „Es wäre unmenschlich, die Lieferung von Raketen einzustellen“

Die beiden Autoren sprechen explizit von „globalen Bedrohungen“ der westlichen Lebensweise; allerdings hatte CNN jüngst gemutmaßt, der veröffentlichte Sparzwang bezüglich Munition begründe sich eben wiederum in der Prophylaxe gegen ein auftrumpfendes China, während Europa weiter am Ukraine-Krieg und einem möglichen Waffengang im Baltikum laboriert. „Es wäre sehr seltsam, es wäre unmenschlich, die Lieferung von Raketen einzustellen … insbesondere von Patriot-Systemen, die offensichtlich in großem Umfang die Zivilbevölkerung in der Ukraine schützen“, zitiert CNN Mychajlo Podoljak.

„Raketen“ bedeuten für den Berater des ukrainischen Präsidentenbüros vor allem Patriot-Raketen, also die US-Luftabwehr im Gegensatz zur deutschen IRIS. Die Atlantic-Council-Autoren Hursch und Taylor sehen gerade dort Chancen für Synergien, die sich ergäben aus der Arbeit der Nato Support and Procurement Agency (NSPA), die eben als Knotenpunkt der Verteidigungsallianz ihre Kapazitäten in Logistik, Beschaffung, medizinischer sowie infrastruktureller Unterstützung bündeln soll. Patriot-Hersteller Raytheon hat Ende 2024 im Magazin Defense Post die Zusammenarbeit mit der NSPA gelobt, als durch deren Vermittlung und durch finanzielle Unterstützung anderer Nato-Partner die Lieferung von Patriots nach Deutschland ermöglicht worden war.

Damit nicht genug, schreiben Hursch und Taylor: „Die Supply and Procurement Agency der Nato unterstützt zudem die Bemühungen der Verbündeten, Patriot-Raketen gemeinsam in Deutschland zu produzieren.“ Eben dadurch könnten industrielle Kapazitäten der gesamten Nato zum gemeinsamen Nutzen vernetzt werden – „und dies erfordert oft den Abbau bürokratischer Hürden, die gemeinsame Ambitionen der Rüstungsindustrie behindern“, so die Autoren.

Durch Putins Angriff: „Die krassen Grenzen der US-amerikanischen Verteidigungsindustrie deutlich gemacht“

Mark F. Cancian wiederum macht deutlich, dass die Zeitspanne zwischen Absicht und Lieferung länger dauert, als das laufende Kriege erlaubten. Cancian allerdings betrachtet die Bestände einzelner Rüstungsgüter als scheinbar unerschöpflich: beispielsweise die der 155 mm Munition für Haubitzen. Dank des Nato-Standard-Kalibers kämen die USA um die Verantwortung des alleinigen Versorgers herum. Andere Nato-Partner könnten aushelfen oder haben das sogar schon getan.

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Allerdings ist die Thematik aus Sicht der Militärs komplexer, als sich das sowohl Analysten als auch Politiker vorzustellen bereit sind, wie Generalleutnant David W. Barno am Beispiel gerade der 155 mm-Granaten verdeutlicht: Vor der Invasion der Ukraine hätten die USA jeden Monat 14.000 dieser Geschosse produziert, so der Professor an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies. Nach Kriegsbeginn habe die Ukraine bis zu 8.000 Granaten verschossen. Täglich; und hätte wahrscheinlich noch weit mehr verbraucht, wenn sie verfügbar gewesen wären, wie Barno im Magazin War on the Rocks notiert hat.

„Die unersättliche Nachfrage der Ukraine nach 155-Millimeter-Artilleriegeschossen hat die krassen Grenzen der US-amerikanischen Verteidigungsindustrie deutlich gemacht.“