Nachdem der ungeschwärzte Untersuchungsbericht zur Maskenaffäre öffentlich geworden ist, gerät die Verteidigung von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn in der Maskenaffäre unter Druck. Die Sonderermittlerin im Gesundheitsministerium, Margaretha Sudhof, wirft dem heutigen Unionsfraktionschef vor, die Maskenbeschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie trotz Warnungen seiner eigenen Ministeriumsbeamten ins Gesundheitsministerium geholt zu haben. Sudhof wirft dem CDU-Politiker weiter vor, dadurch ein „Drama in Milliarden-Höhe“ verursacht zu haben – gemeint ist hier der Schaden für die Steuerzahler.

Spahn sagte dazu Anfang Juni in der ARD, dass Warnungen „bei mir persönlich nicht“ angekommen seien und dass er auch nicht wisse, „von wem, aus welchem Ministerium“ gewarnt worden sei.

Leugnete Spahn Warnungen seiner Beamten?

Bisher geschwärzte Fußnoten in Sudhofs Bericht lassen diese Aussage nun als fragwürdig erscheinen. Dem Tagesspiegel liegt der Bericht in einer ungeschwärzten Fassung vor. Zunächst hatten darüber NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ berichtet.

Warnungen, Alleingänge und fragwürdige Aufträge Spahns Maskenaffäre – das sind die wichtigsten Erkenntnisse der Sonderermittlerin

Aus einer der bislang geschwärzten Fußnoten auf Seite 40 geht hervor, dass ein Beamter in einer Vorlage versuchte, „den damaligen Bundesminister dazu zu bewegen“, für die Maskenbeschaffung weiterhin die Expertise des eigentlich zuständigen Bundesverteidigungsministeriums zu nutzen. Der Beamte plädierte demnach dafür, Maskenlieferanten lieber an das Beschaffungsamt der Bundeswehr „zu verweisen“. Über seinen Staatssekretär ging diese Vorlage direkt an Minister Spahn. Wie Spahn darauf reagierte, geht laut Sudhof aus den Akten nicht hervor.

Zuvor wollte sich ein anderer Beamter noch einmal rückversichern, bevor er eine Beschaffung ohne „formale Haushaltsermächtigung“ einleitete. Die Anfrage ging per Mail am 9. März 2020 um 11.50 Uhr direkt an den Bundesminister, wie aus mehreren Fußnoten hervorgeht. Spahn antwortete darauf laut Sudhof um 12.50 Uhr: „Ausdrücklich einverstanden. Bitte so zügig vorgehen.“

Nina Warken hat entgegen ihrer Beteuerungen nicht nur das geschwärzt, was sie rechtlich schwärzen musste, sondern vor allem auch Stellen, die Spahn persönlich belasten oder CDU-Verstrickungen zeigen.

Grünen-Haushälterin Paula Piechotta

Laut WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ offenbaren die bisher geschwärzten Passagen des Berichts insgesamt zwölf Mails oder Leitungsvorlagen an den Minister mit Warnungen oder Bedenken, die direkt entweder den Schreibtisch oder das Postfach von Spahn erreicht haben.

Spahns Aussage, ihn hätten keine Warnungen erreicht, „ist seit heute mit hoher Wahrscheinlichkeit als Lüge entlarvt“, sagte die Grünen-Haushälterin Paula Piechotta, dem Tagesspiegel.

Grüne: Warken hat zu viel geschwärzt

Neben Spahn habe auch Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) wahrscheinlich den Bundestag angelogen, betonte Piechotta. „Nina Warken hat entgegen ihrer Beteuerungen nicht nur das geschwärzt, was sie rechtlich schwärzen musste, sondern vor allem auch Stellen, die Spahn persönlich belasten oder CDU-Verstrickungen zeigen.“

Jens Spahn ließ dem Rechercheverbund von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ vor der Veröffentlichung ausrichten, die Beschaffung durch das Gesundheitsministerium sei „ressortübergreifend beschlossen“ worden. Dass es „auch abweichende Einschätzungen gegeben hat, hält Herr Spahn für selbstverständlich“, heißt es weiter. Ähnlich hatte sich Spahn bereits nach seiner Befragung im Haushaltsausschuss vergangene Woche geäußert.

Am Freitagabend wies ein Sprecher von Jens Spahn den Vorwurf der Lüge dann explizit zurück. Er verwies darauf, dass sich die Frage in der fraglichen Interviewpassage nur auf Warnungen aus dem Innen- und Verteidigungsministerium bezogen habe. Spahn habe demnach nur erklärt, nichts von Warnungen aus diesen Häusern mitbekommen zu haben. Als Spahn im Anschluss in dem Interview danach gefragt wurde, ob er Warnungen aus seinem Ministerium ignoriert habe, wich er der Frage aus.

Vorteilhafte Konditionen für CDU-nahe Firmen?

Die nun ungeschwärzten Passagen zeigen auch, wie Sudhof den besonders umstrittenen Direktvertrag des Gesundheitsministeriums mit dem Schweizer Maskenlieferanten Emix bewertet, gegen den in der Schweiz wegen Wucher ermittelt wird. Laut dem Sudhof-Bericht hat Spahns Ministeriums für 749 Millionen Euro Masken bei Emix gekauft – der Durchschnittspreis pro Maske lag demnach bei 5,58 Euro.

Nach einem Vergleich verkaufte Emix noch in der zweiten Jahreshälfte 2020 dem Gesundheitsministerium Masken teilweise zu einem Stückpreis von sieben Euro pro FFP2-Maske – der Weltmarktpreis lag damals bereits bei unter einem Euro.

Sudhof kann das laut Bericht nicht nachvollziehen. „Im Lichte der Marktlage im Mai 2020 erschließt sich jedenfalls nicht, inwiefern der Emix-Vergleich die Interessen des Bundes angemessen abbildet“.

Für die Vermittlung von Maskenverkäufen an das Bundesgesundheitsministerium und zwei deutsche Bundesländer erhielt die Firma von Andrea Tandler, der Tochter des früheren CSU-Politikers Gerold Tandler, von Emix eine Provision von mehr als 48 Millionen Euro. Diese versteuerte Tandler nicht korrekt, weshalb sie vom Landgericht München zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt wurde, die sie derzeit absitzt.

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Laut WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ erhielt auch die Firma des CDU-Bundestagskandidaten Niels Korte vom Gesundheitsministerium einen vorteilhaften Vergleich mit hoher Abgeltung und ungewöhnlicher langer Lieferfrist für die bestellten Masken. „Eine entsprechende Gegenleistung oder Rechtsgrundlage erschließt sich nicht“, schreibt Sudhof auf einer vormals geschwärzten Seite. Spahn erklärte den Medien, er habe als Minister weder mit Abgeltungsbeträgen noch Lieferfristen etwas zu tun gehabt.