Die Kunst will zu viel zu gut machen, sagte Etgar Keret einmal. Wir saßen im schönen Schloss Elmau, und es war zwar schon schlimm, aber noch nicht 7.-Oktober-schlimm, und Etgar Keret erzählte von Wörtern, die er nicht schreiben konnte, und Netflix-Serien, in denen alles brav divers besetzt war. Das Problem sei, sagte der müde Keret lächelnd, dass das aber nicht die Realität sei. Und war es als Schriftsteller nicht seine Aufgabe, die Realität zu porträtieren?
Es ist genau jene gnadenlose Illusionslosigkeit, die Etgar Kerets Bücher so wundervoll macht. In seiner Sprache fließen die Widersprüche der Menschen zusammen, das Große und Hohe, das Poetische, das Schmutzige und Grausame. Es war angesichts der Weltlage zu erwarten, dass Kerets neuer Band Starke Meinung zu brennenden Themen nicht zuversichtlicher der Realität gegenüber ausfallen würde. In den Kurzgeschichten ist etwa eine Frau wütend auf eine Selbstmörderin, weil die ihr mit diesem tragischen Abgang die teure, lebenslänglich abzuzahlende Wohnung versaut hat, und will sich aus Rache am liebsten gleich selbst vom Balkon auf ein glückliches Liebespaar unten im Garten stürzen. Ein Mann wird für starke Meinungen zu brennenden Themen gecastet und brüllt in Talkshows, was auch immer ihm in den Sinn kommt. Ein orthodoxer Jude will die in Gaza gefangenen Geiseln so verzweifelt herbeibeten, dass er stirbt. Eine Frau reist als Teilnehmerin einer Reality-Show aus einem Paralleluniversum nach New York, wo sie, um in ihr Universum zurückzukehren, herausfinden muss, was in dieser Welt fehlt (zum Beispiel Ahornsirup). Als sie eigentlich schon gar nicht mehr gehen will, stellt sie in der Trinity Church erschrocken fest, dass in diesem Universum offenbar Gott fehlt. Stimmt, das alles klingt schwarz, hoffnungslos und depressiv – nur warum macht bei Etgar Keret selbst eine Welt ohne Gott Spaß? Zunächst, weil Kerets Sätze Hemingway-genau, die Dialoge schnell und pointiert sind. Aber der Grund, warum sich diese Geschichten nicht wie eine einzige Abrechnung mit der Menschheit anfühlen, liegt tiefer: Keret schreibt mit Empathie, der zauberhaftesten Waffe der Literatur. Als würde er mit jeder Geschichte wirklich versuchen, die Figur zu verstehen, er verurteilt sie nicht. Und so folgt man ihren verwerflichen Lüsten und Wünschen, spürt die traurige Ruhe, mit der jemand Oliven auf dem Balkon isst, kurz bevor die Welt untergeht. Man springt zwischen der Gedankenwelt tief religiöser und tief bekiffter Menschen. Ein Buch, dass das Durcheinander dieser Gegenwart charmant zusammenhält. Und trotz tausend guter Gründe – Keret will sie nicht aufgeben.