Revival bei jungen Leuten
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Kiezkneipen erleben ein Comeback
Sa 05.07.25 | 12:02 Uhr | Von Johanna Sagmeister
Video: ARD Aktuell | 25.06.2025 | Johanna Sagmeister | Bild: Picture Alliance/Markus Schreiber
Hinter den Gardinen von Berliner Eckkneipen sieht man immer mehr junge Menschen sitzen. Es ist eine Entwicklung gegen den deutschlandweiten Trend: Denn in den vergangenen Jahren sank die Zahl der Schankwirtschaften drastisch. Von Johanna Sagmeister
Jeden Donnerstag treffen sich Alex, Dimitri und Patrick zum Stammtisch im „Willy Bresch“ im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Sie spielen Karten, rauchen und unterhalten sich über die Woche. „Es ist wie ein zweites Zuhause hier“, erzählt Alex. „Man kennt sich einfach“, sagt er und zeigt auf einen alten Mann, der mit Kopfhörern vor seinem Bier sitzt und in den Raum starrt. „Der Herr da hinten in der Ecke ist gefühlt auch jeden Donnerstag hier.“ Es sei schön, wenn solche traditionellen Orte erhalten blieben und nicht die nächste fancy Bar aufmache, findet auch sein Kumpel Patrick.
Zwischen Holzvertäfelung und Rauchschwaden erlebt ein Lebensgefühl eine Renaissance, das fast schon verloren schien. Das Willy Bresch gibt es seit 1966, und seit seiner Eröffnung scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Auf den Tischen liegen grüne Karodecken, vor den Fenstern hängen Gardinen und die Wand zieren Bierkrüge. Das zieht offenbar wieder junge Menschen wie Alex und seine Freunde an.
Tim Brandenburger (links), der neue Wirt im „Willy Bresch“ in Prenzlauer Berg | Bild: rbb
Bedeutung von Kneipen seit Corona gestiegen
„Osten pur“, sagt Tim Brandenburger über die Einrichtung. Der 23-Jährige ist im Bezirk aufgewachsen und hat die Kneipe im Februar als Wirt übernommen. An der Einrichtung möchte er allerdings nichts verändern. „Es fühlt sich ja so an, als ob die 1960er nie vorbei gewesen wären, und das finde ich witzig“, sagt er.
Für junge Leute wie ihn sei die Bedeutung von Kiezkneipen vor allem durch Corona gestiegen. „Sie wollten nicht mehr alleine sein, sondern Teil von irgendeiner Art von Community, in der man sich untereinander wichtig ist und in der man nicht scheiß egal ist“, sagt Tim Brandenburger.
Tim Brandenburger
Auf den Tisch kommt traditionelles Kneipenessen
Im „Tresen-Treff“ in Wilmersdorf ist es das traditionelle Kneipenessen, das junge Menschen und Familien wieder in die Eckkneipe führt. Am frühen Donnerstagabend sind bereits viele Tische belegt oder reserviert. In der Küche bereitet Koch Josha Karlborg Altberliner Speisen wie Königsberger Klopse oder die Berliner Beamtenstippe zu. „Ein Armeleuteessen, in dem Fleischreste verwertet werden“ sagt er, während er die dunkle Hackfleischsuppe umrührt, „wir haben das Gericht natürlich ein bisschen Fine-Dining-mäßig verändert.“
Meir Kreismann (links) hat einen Stammplatz im „Tresen-Treff“. | Bild: ARD/Johanna Sagmeister
Fine Dining steht für gehobene Gastronomie, da kommt Josha Karlborg eigentlich her. Anfang des Jahres hat er den „Tresen-Treff“ mit einem Freund und einer Freundin übernommen und die Küche wiedereröffnet. Das Kneipenessen wird in Schälchen serviert, die alle unter acht Euro kosten.
Generationenwechsel hinter dem Tresen
Dem ehemaligen Wirt haben sie am Tresen einen Stammplatz reserviert. Dass er jetzt auf der anderen Seite sitzt, daran habe er sich schnell gewöhnt, erzählt Meir Kreisman. Dass er jetzt im „Tresen-Treff“ in so viele junge Gesichter blickt, ist dagegen neu. „Ich habe nach Corona schon viel gelitten“, sagt er. „Man kriegt keine Mitarbeiter, die Gäste sind weggeblieben.“
50 Jahre lang war er Gastronom. Als er in Rente gehen wollte, stand seine Kneipe kurz vor dem Aus. Es sei „ein Geschenk“, dass seine Kiezkneipe jetzt weitergeführt wird. „Es ist, als würde ein Kind in gute Pflege kommen“. Gute Pflege eben auch für Traditionen, jetzt von der nächsten Generation – vor und hinter dem Tresen.
Sendung: ARD Aktuell, 28.06.2025, 12:05 Uhr
Beitrag von Johanna Sagmeister