Ein Dudelsackspieler in Rüstung auf einer Bühne vor seiner Band. Im Hintergrund auf einer Leinwand speit ein Drache Feuer.

AUDIO: Das Mittelalter im Metal (65 Min)

Stand: 05.07.2025 12:58 Uhr

Lieder über Krieger und Wikingerfahrten, garniert mit Sagengestalten, untermalt mit krachenden Gitarren: In der Metalszene werden viele Mittelalter-Klischees bedient, aber die Szene entwirft auch eigene epische Geschichten und malt sich ihr Mittelalterbild mit viel Mühe und Liebe selbst.

von Henning Cordes

Alles dunkel, immer nur Schwertkämpfe und Gebete. Lumpenheinis stapfen über matschige Wege, irgendwann trabt ein Ritter ins Bild. So oder so ähnlich geht es, das Klischee vom Mittelalter. „Wir haben natürlich diese stereotypen Darstellungen“, sagt der Historiker und Metalexperte Kilian Baur. „Das finstere Mittelalter, das wir in der Popkultur oft in Filmen sehen: Man braucht immer so ein bisschen Schmutz im Gesicht, vielleicht faule Zähne; alle sind ein bisschen gewalttätig, alle sind ein bisschen schräg drauf, religiös fanatisch – und das ist dann das Mittelalter.“

Durcheinander geratenes Mittelalterbild

Ganz so war es natürlich nicht – zumindest nicht immer. Im Mittelalterbild des 21. Jahrhunderts gerät zwar so einiges durcheinander, aber speziell in der Popkultur legen es viele gar nicht darauf an, die Vergangenheit besonders akkurat darzustellen. Auch Mittelalterrock und -metal bilden da keine Ausnahmen. Es gibt aber durchaus Bands, die sich ziemlich Mühe geben. Zu den bekanntesten zählen hierzulande etwa In Extremo und Subway to Sally. Sie verwenden unter anderem modern modifizierte Instrumente, die mittelalterliche Instrumente nachahmen: darunter Dudelsäcke, Leiern, Harfen. 

Von Althochdeutsch über Gälisch bis Okzitanisch

„Dann verarbeiten Bands des Mittelalterrocks auch ein paar der wenigen aus dem Mittelalter überlieferten Melodien“, sagt Kilian Baur und betont: „Vor allem auch in den Texten haben wir diese Mittelalterlichkeit.“ Verglichen mit anderen Genres zeigt sich dabei ein großer Sprachenreichtum. Die mittelalterlichen Sprachstufen so gut wie jeder europäischen Zunge sind innerhalb des Genres irgendwo auffindbar – manchmal sogar im Werk einer einzigen Band. Die eben erwähnten In Extremo singen zum Beispiel Lieder auf Althochdeutsch, Gälisch, Okzitanisch, den altnordischen Sprachen und – unvermeidbar – auf Latein. Vorlage für In Extremos „Biersegen“ ist die mittelalterliche Liedersammlung Carmina Burana.

Das ist das Mittelalter fürs Ohr, aber man kann es auch sehen: auf Albumcovern, Merchandise-Produkten und Bühnenoutfits. Besonders konsequent zieht es die Band Saltatio Mortis durch: Sie geht direkt auf Burgentour. Amon Amarth, eine der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Melodic-Death-Metal-Bands, beschäftigt sich fast ausschließlich mit Wikingern und nordischer Mythologie in ihren Texten. Auf ihre Bühne stellt sie gern mal ein Deko-Wikingerschiff – beziehungsweise das, was man sich unter einem Wikingerschiff so vorstellt, langgezogen mit Drachenkopf und weiß-rotem Segel.

Alles hier ist irgendwie Rock und irgendwie Mittelalter, meistens auch Metal. Aber unter diesem Hut wird es schnell bunt. „Das Problem ist schon, dass man nicht von einer Szene sprechen kann“, sagt Kilian Baur. „Klar, wir haben diese Klammer: Metal, härtere Gitarrenmusik. Ich würde aber sagen, dass man da schon differenzieren muss zwischen dem Mittelalterrock und anderen Metalbands.“ Etwa zum Power-Metal mit seinen vergleichsweise eingängigen Stücken und melodiösem Gesang, wo sich die Gruppen Verschiedenes aus der mittelalterlichen Geschichte herausgreifen. Dazu kommen die Bands des Viking-Metals – und der Name ist Programm. Sie beschäftigen sie sich mit nichts anderem als Wikingern – im Death-Metal ist das teilweise auch der Fall. Wo das eine anfängt und das andere aufhört, ist manchmal nicht ganz so leicht auseinanderzuhalten.

Mittelalterrock beim Mainstream ankommt

Ein Dudelsackspieler in Rüstung auf einer Bühne vor seiner Band. Im Hintergrund auf einer Leinwand speit ein Drache Feuer.

Hauptmann Feuerschwanz, Sänger der Band „Feuerschwanz“, mit Dudelsack beim Wacken Open Air. Die Band verbindet Mittelalterrock mit Comedy.

Die Szenen sind auch nicht völlig exklusiv. Man trifft sich: hier im Norden zum Beispiel auf Festivals wie dem M’era Luna in Hildesheim, in dessen Line-ups Mittelalterrock zwar immer wieder stattfindet, aber eben auch noch sehr viel Andersartiges. Überhaupt: Die Genres rund um den Mittelalterrock sind keine Nischendinger, die unbeachtet im Abseits aufgeführt werden. Vieles ist kommerziell sehr erfolgreich, es findet auf großen Festivals statt und kann durchaus Menschen mobilisieren. Feuerschwanz, eine Band, die Mittelalterock mit Comedy-Elementen verbindet, ist wiederholt im ZDF-Fernsehgarten aufgetreten. Das Mittelalter ist im Mainstream angekommen.

Historische Rekonstruktion oder Flucht aus dem Alltag

Richtige Nerds – im positiven Sinn – gibt es trotzdem noch. Überall dort, wo viele mittelalterlich angehauchte Bands auftreten, sind auch Reenactment-Gruppen nicht weit. Sie stellen zum Beispiel Kämpfe nach und sind nicht selten recht detailverliebt unterwegs; sie orientieren sich auch an archäologischen Funden und an Rekonstruktionen, die aus dem wissenschaftlichen Bereich stammen. In ihnen verschmilzt Popkultur und Wissenschaft. 

Das Mittelalter im Metal ist mehr als das Finsterklischee mit Helden in Hörnerhelmen. Auch wenn sich die Szene nicht immer am Stand der Forschung orientiert: Sie entwirft eigene epische Geschichten und malt sich ihre Mittelalterbilder mit viel Mühe und Liebe selbst. „Für viele ist das Mittelalter einfach Bestandteil einer Flucht oder einer Auszeit aus dem Alltag, um mal abzuschalten und in andere Zeiten abzutauchen“, stellt Kilian Baur fest. „Da ist es dann eigentlich egal, ob das irgendwie authentisch ist oder auch nicht.“

Kostümierter Fan auf dem M'era Luna 2024

Immer am zweiten August-Wochenende trifft sich in Hildesheim die Schwarze Szene – dieses Jahr zum 25-jährigen Jubiläum!

Ein Festivalbesucher des W.O.A. (Wacken Open Air) zeigt am 01.08.2015 in Wacken (Schleswig-Holstein) den Metal-Gruß, die Pommesgabel, vor Beginn eines Konzerts.

Mit 800 Besuchern beginnt 1990 das, was heute als bekanntestes Heavy-Metal-Festival der Welt gilt: das Wacken Open Air.