Stand: 05.07.2025 17:33 Uhr

Kein Alkohol, keine Drogen – und trotzdem tanzen alle bis zum Abwinken. Zoé von „Sober Nightlife“ erklärt, warum das so ist und wie sich das Feiern in der Partyhauptstadt Berlin dadurch verändert.

rbb|24: Zoé, Sie haben die Instagram-Seite „Sober Nightlife“ ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?
 
Zoé: „Sober Nightlife“ ist eine Plattform, die über nüchternes Feiern aufklärt. Ich habe sie zusammen mit der DJ Riva gestartet, weil ich mich als nüchtern feiernde Person oft ziemlich allein gefühlt habe. Viele reagieren überrascht oder sogar defensiv, wenn man sagt, dass man nichts trinkt. Aus diesem Gefühl heraus ist zunächst eine Umfrage entstanden. Wir wollten wissen, welche Herausforderungen, Wünsche und Gründe Menschen haben, um nüchtern zu feiern. Die Resonanz war enorm. So wurde klar, wie groß der Redebedarf zu diesem Thema ist. Aus der Umfrage wurde schließlich eine Seite, auf der wir unser Wissen teilen und Bewusstsein schaffen. Außerdem unterstützen wir Veranstaltende mit einem Leitfaden und Tipps, wie man Events sober-freundlich gestalten kann.

Plakat einer Sober-Rave-Party

Was unterscheidet eine Party ohne Alkohol und anderen Drogen von einer „klassischen“ Clubnacht?
 
Es fängt schon bei der Uhrzeit an. Partys, wie beispielsweise die „Tendersesh“, beginnen meist früher, weil kaum jemand bis sieben Uhr morgens durchfeiern möchte. Häufig gibt es nicht nur Musik, sondern auch Performances, Workshops oder Runden zum Ankommen und Kennenlernen. Die Reihe „Lemonade Queers“ im SchwuZ startet zum Beispiel mit einem sogenannten Connecting Circle. Auch die Getränkeauswahl ist anders. Statt Bier und Sekt gibt es Mocktails, also Cocktails ohne Alkohol. Essen spielt eine größere Rolle, weil man irgendwoher Energie schöpfen muss. Und oft gibt es Ruhezonen, weil man nüchtern stärker auf die eigenen Bedürfnisse achtet.

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Wie verändert das die Atmosphäre?

Bei meinem ersten Sober Rave dachte ich: Wenn man es den Leuten nicht sagt, würde man es wahrscheinlich gar nicht merken. Alle tanzen, lachen, haben Spaß. Es ist einfach eine richtig gute Party, nur ohne Alkohol oder andere Substanzen. Das widerlegt das Vorurteil, nüchtern feiern sei langweilig oder verkrampft. Gleichzeitig ist die Stimmung oft fröhlicher, zugewandter. Ich höre auch von Barkeeper:innen, dass es weniger Übergriffe gibt, weil Grenzen klarer wahrgenommen und respektiert werden. In der klassischen Clubszene gibt es durchaus auch destruktive Tendenzen.

Was meinen Sie mit destruktivem Feiern?

Mir ist wichtig zu betonen: Wir verurteilen Konsum nicht. Jede Person soll selbst entscheiden, was ihr guttut. Aber destruktiv wird es, wenn Menschen durch Substanzen den Kontakt zu sich selbst verlieren, wenn Feiern nicht mehr bereichert, sondern der körperlichen und geistigen Gesundheit schadet. Und das betrifft nicht nur die eigene Person, sondern oft auch andere, etwa durch übergriffiges oder aggressives Verhalten.
 

Warum ist nüchternes Feiern in Berlin trotzdem noch eher eine Nische?

Weil Substanzkonsum in der Szene extrem normalisiert ist; gerade in Berlin gehören Alkohol und andere Drogen für viele Menschen zum Feiern ganz selbstverständlich dazu. Zudem zieht die Stadt viele Menschen an, die sich ausprobieren wollen. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Aber es gibt Risiken, über die wenig gesprochen wird. Dass es auch anders geht, muss sich erst herumsprechen.
 

Wächst die Sober-Szene?

Definitiv. Es entstehen immer mehr Partys, Kollektive und Räume, die bewusst ohne Alkohol und Drogen funktionieren. Das hat viele Gründe. Mentale Gesundheit spielt eine viel größere Rolle, gerade für jüngere Menschen. Viele wollen am nächsten Tag noch etwas vom Wochenende haben, statt sich vom Rausch zu erholen. Auch die Pandemie hat etwas verändert. Corona hat Routinen aufgebrochen und den Blick auf das eigene Wohlbefinden geschärft. Und es passiert auch wirtschaftlich einiges. Große Bierkonzerne investieren massiv in alkoholfreie Produkte, weil die Nachfrage steigt. Das zeigt, dass sich nicht nur individuelle Haltungen verändern, sondern auch ganze Märkte. Ich bin überzeugt, dass auch Clubs langfristig darauf reagieren müssen.
 

Es entstehen immer mehr Partys, Kollektive und Räume, die bewusst ohne Alkohol und Drogen funktionieren.

Welche Gründe gibt es noch für dieses Umdenken?

Feiern ist teuer. Wer auf Alkohol und Drogen verzichtet, spart oft eine Menge Geld. Gleichzeitig gibt es heute deutlich mehr Informationen darüber, was Substanzen langfristig mit dem Körper machen. Viele wissen inzwischen, dass Alkohol das Risiko für zahlreiche Krebsarten deutlich erhöht. Auch Social Media trägt dazu bei, dass sich das Bewusstsein verändert. Dort sprechen immer mehr Creator:innen offen über ihren Weg in ein nüchternes Leben ohne Alkohol und andere Substanzen. Sie machen sichtbar, dass Abhängigkeit kein Alles-oder-Nichts-Thema ist. Man muss nicht völlig abstürzen, um zu merken, dass der eigene Konsum nicht mehr guttut. Auch viele bekannte DJs sprechen heute offen darüber, wie schwierig es ist, in einer Szene zu arbeiten, in der Drogen und Alkohol fast selbstverständlich sind – und wie herausfordernd es ist, dort nüchtern zu bleiben.

Wie reagiert die Clubszene auf diesen Trend?

Das Interesse ist definitiv da. Trotzdem bleiben viele Clubs skeptisch. Der größte Hinderungsgrund ist die Finanzierung, denn ein erheblicher Teil der Einnahmen kommt über den Alkoholverkauf. Gleichzeitig zeigt die Resonanz, dass der Bedarf wächst. Als die Berliner Clubcommission, der Interessenverband der Berliner Clubszene, ein Panel zum Thema sober Nightlife veranstaltete, war der Raum voll. Über 200 Menschen sind gekommen, darunter Veranstaltende, Szeneakteur:innen und Interessierte.

Archivbild: Eingang zum Berliner Club Tresor. (Quelle: imago images/Pemax)

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Wer besucht substanzfreie Partys?

Die Szene ist sehr vielfältig. Es gibt Angebote für queere Communities, für spirituell orientierte Gruppen, für klassische Raver und für Menschen, die einfach mal etwas anderes ausprobieren wollen. Viele Formate richten sich bewusst an bestimmte Bedürfnisse. Auch die Definition von sober ist nicht für alle gleich. Für manche bedeutet es: kein Alkohol und keine Drogen. Andere schließen auch Rauchen aus. Und wieder andere sagen, wer nur selten trinkt, lebt für sie trotzdem weitgehend sober. Diese Vielfalt macht die Szene offen und lebendig, führt aber auch immer wieder zu der Frage, wie ein wirklich nüchterner Raum aussehen soll.

Wer auf Alkohol und Drogen verzichtet, spart oft eine Menge Geld.

Sie feiern nüchtern. Was raten Sie Menschen, die das zum ersten Mal ausprobieren wollen?

Gerade am Anfang war das ziemlich herausfordernd. Ich habe mich oft gefragt: Was mache ich eigentlich mit meinen Händen, wenn ich nicht ständig ein Getränk in der Hand habe? Und wie halte ich diese ersten 30 Minuten aus, in denen alles noch laut, ungewohnt und überwältigend wirkt? Bis der Körper sich wirklich auf die Situation einstellt, dauert es einfach. Aber das ist Übungssache. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Müdigkeit und Überforderung in Wellen kommen. Wenn so ein Moment auftritt, setze ich mich kurz hin, warte ab und schaue, wie es sich anfühlt. Und wenn es nicht besser wird, gehe ich einfach. Meistens ist das genau die richtige Entscheidung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christopher Ferner.
 
 

Rundfunk Berlin-Brandenburg