Er will über historische und kulturelle Nähe sprechen, aber auch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit würdigen: Am Sonntag reist der Bundespräsident nach Litauen, wo die Bundeswehr eine Brigade stationiert hat, und nach Lettland. Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat Zweifel daran, dass Frank-Walter Steinmeier für diese Aufgabe der Richtige ist.
Herr Kowalczuk, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist am Sonntag nach Lettland und Litauen. Was erwarten Sie vom deutschen Staatsoberhaupt in diesem Zusammenhang?
Ich erwarte einerseits, dass er das politische Signal verstärkt, dass die Nato und damit auch Deutschland unsere Bündnispartner im Baltikum in jedem Fall unterstützen werden. Andererseits empfände ich es als sehr angemessen, wenn sich der Bundespräsident, der in den vergangenen zwanzig Jahren einer der maßgeblichen Außenpolitiker unseres Landes war, selbstkritisch seine verfehlte Außenpolitik gegenüber Osteuropa, Russland und dem Baltikum erklären würde.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer „Ortszeit“.
© dpa/Bernd von Jutrczenka
Der Bundespräsident will bei seinem Besuch insbesondere die historische und kulturelle Nähe zu Litauen und Lettland sowie sie die sicherheitspolitische Zusammenarbeit würdigen. Ist er jetzt der Richtige, um das zu tun?
Ich hatte auf die problematische Reaktion des Bundespräsidenten auf die Rede von Marko Martin in Schloss Bellevue hingewiesen. Ich halte es in diesem Zusammenhang auch weiterhin für angemessen, die Außenpolitik, insbesondere die Russlandpolitik der Bundesregierungen der vergangenen zwanzig Jahre parlamentarisch aufzuarbeiten, damit sich solche Fehler nicht wiederholen.
Dem steht ein Bundespräsident Steinmeier durch die Ausübung seines Amtes im Wege, denn dabei ginge es maßgeblich auch um ihn. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass er selbst sonderlich reflektiert damit umgeht. Steinmeier selbst hat noch 2016 im Zusammenhang mit Nato-Manövern in der Ostsee von Säbelrasseln und Kriegsgeheul gesprochen.
Das hat in den baltischen Staaten zu Fassungslosigkeit geführt. Der Bundespräsident ist bei diesen Fragen nicht glaubwürdig. Er ist nicht der richtige Mann am richtigen Platz.
Genügt Ihrer Einschätzung nach eine Brigade in Litauen, um Sicherheit zu gewährleisten?
Ich bin kein Militärexperte. Ich vermute, dass die Nato weiß, was sie tut. Ich kenne auch das konkrete Bedrohungsszenario gegenwärtig nicht. Allerdings beobachte ich, dass auch in Deutschland viele glauben, Russland sei durch die Nato-Osterweiterung bedroht worden. Das ist absurd.
Wenn jemand bedroht ist, dann sind das die baltischen Staaten. Immerhin herrscht darüber politisch weitgehend Einigkeit. Ob da 5000 Leute reichen, um dem Sicherheitsbedürfnis der baltischen Staaten gerecht zu werden? Ich weiß es nicht. Aber es kommt mir nicht sonderlich angemessen vor.
Eine Frage an den Historiker: Was verbindet Deutschland mit Litauen und Lettland und welche Fehler hat die Bundesrepublik hier in der Vergangenheit gemacht?
Zugespitzt formuliert: Der Hitler-Stalin-Pakt wirkt bis in unsere Tage fort. Wenn man über die baltischen Staaten bis 1990 spricht, dann bezeichnet man sie immer als Teil der Sowjetunion. Tatsächlich waren es besetzte Gebiete und das muss man auch sprachlich kennzeichnen.
Ich gehe davon aus, dass die tatsächliche Bedrohungslage der drei baltischen Staaten in Deutschland vielen nicht präsent ist und damit auch unverständlich ist, warum die baltischen Staaten gemessen an ihren allgemeinen Haushalten einen weitaus größeren Prozentsatz für die Unterstützung der Ukraine bereitstellen als etwa Deutschland.
Mehr zum verlegten Amtssitz des Bundespräsidenten Dreitägiger Besuch Steinmeier in Neuruppin: „Schwierige Lektion“ mitanzupacken Dreitägiger Besuch Bundespräsident: Wunsch nach mehr Kontakt zwischen Milieus Dreitägiger Besuch Steinmeiers Ortszeit in „freundlichem“ Neuruppin endet
Kann die Reise des Bundespräsidenten diese Wahrnehmung verbessern?
Ich habe die Hoffnung, dass diese Reise in der lettischen und litauischen Öffentlichkeit den Eindruck verstärkt, dass Deutschland seine Bündnisverpflichtung und die Unterstützung der Ukraine ernst meint. Ob allerdings Steinmeier, der für diese verfehlte Politik seit Anfang der 2000er-Jahre maßgeblich mitverantwortlich ist, der richtige Mann dafür ist, da habe ich meine Zweifel.