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Russland bremst sich mit hohen Zinsen selbst aus, die Ukraine leidet unter Krieg und Exportproblemen. Die wirtschaftlichen Aussichten sind auf beiden Seiten kritisch.
Frankfurt – Von den Frontlinien in die Bilanzen: Russland und Ukraine rutschen wirtschaftlich tiefer in die Krise. Eine neue Prognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) beleuchtet die finanzielle Schieflage – mit ernüchternden Aussichten.
Russland: Zinsen würgen das Wachstum ab
In Moskau wird das Wachstum der Wirtschaft drastisch gebremst. Nicht durch Sanktionen, sondern durch eine aggressive Zinspolitik. Die Zentralbank hat den Leitzins auf 20 Prozent angehoben, um die hartnäckige Inflation zu bekämpfen. Doch der Preis dafür ist hoch: Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2025 nur noch um zwei Prozent wachsen – halb so viel wie im Vorjahr. Für 2026 rechnet das wiiw sogar nur mit 1,8 Prozent Wachstum.
Die Folgen dieser Politik spürt die Wirtschaft schon jetzt deutlich. Kredite werden für Unternehmen und Verbraucher nahezu untragbar. Die Investitionsbereitschaft sinkt, während viele Haushalte ihr Geld lieber auf der Bank parken. Laut Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw, steht das Land vor einer kritischen Phase: „Wenig überraschend droht auch eine Pleitewelle bei Unternehmen, die teilweise auch große Konzerne und Leitbetriebe erfassen könnte.“
Russische Zentralbank unter Druck: Rezessionsgefahr durch Zinspolitik
Die russische Zentralbank hat im Juni erstmals seit 2022 den Leitzins leicht gesenkt – von 21 auf 20 Prozent. Dennoch bleibt die Geldpolitik weiterhin extrem restriktiv. Ziel ist es, die hartnäckige Inflation unter Kontrolle zu halten. Doch der Preis dafür könnte hoch sein: Präsident Wladimir Putin warnte zuletzt öffentlich vor einem Abgleiten der Wirtschaft in die Rezession. Die Regierung sei sich bewusst, dass das derzeitige Zinsniveau auch das Wachstum gefährde.
Zahlreiche Wirtschaftsdaten bestätigen den Abwärtstrend: Die Industrieproduktion schwächelt, die Arbeitslosigkeit nimmt leicht zu, und der Einkaufsmanagerindex (PMI) fiel im Juni deutlich unter die Wachstumsschwelle – auf nur noch 47,5 Punkte. Experten sehen Russland in einem gefährlichen Spagat zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturabsturz. Die hohen Zinsen lähmen die Wirtschaft. Eine echte Rezessionsgefahr sei nicht mehr von der Hand zu weisen, berichtet Business Insider.
Kremlchef Putin versucht, der russischen Wirtschaft eine Rezession zu verbieten. © Dmitri Lovetsky/AP/dpaUkraine: Krieg, Mangel und Wetterextreme
Während Russland mit geldpolitischen Maßnahmen kämpft, leidet die Ukraine weiter direkt unter den Folgen des Krieges. Russische Angriffe haben zentrale Infrastrukturen des Landes schwer beschädigt: Stromnetze, Industrieanlagen und Transportwege. Die wirtschaftliche Erholung wird dadurch immer wieder ausgebremst.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem, das sich mit jedem Kriegsmonat verschärft: der Arbeitskräftemangel. Durch die Mobilisierung für die Front fehlen in der Wirtschaft zunehmend Fachkräfte und Arbeitskräfte insgesamt. Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin am wiiw, sagt: „Auch der sich zuspitzende Arbeitskräftemangel durch die Mobilisierung für den Krieg lastet schwer auf der Wirtschaft.“
Und als wäre das nicht genug, verschärft sich die Lage durch äußere Faktoren. Eine schlechte Ernte infolge von Trockenheit und das Auslaufen der EU-Zollerleichterungen für ukrainische Agrarexporte belasten das Land zusätzlich. Das Wachstum für 2025 wurde daher um 0,5 Prozentpunkte nach unten korrigiert – auf nur noch 2,5 Prozent. Gleichzeitig liegt die Inflation bei alarmierenden 16 Prozent, mit entsprechend hohen Leitzinsen.
Neue Agrarvereinbarung mit der EU – nur ein Trostpflaster für die Ukraine?
Für die kriegsgeschwächte Ukraine ist die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig. Vor allem der Export in die EU sichert Einkommen und Devisen. Umso größer war die Sorge, als die bisherigen Zollerleichterungen Anfang Juni ausliefen. Nun wurde eine neue Übergangsregelung beschlossen: Die EU hat die Importquoten für ukrainischen Weizen, Zucker und Gerste erneut erhöht, um die Lieferströme aufrechtzuerhalten.
Doch der neue Deal hat seine Grenzen. Zwar wurden die Kontingente leicht ausgeweitet – etwa auf 1,3 Millionen Tonnen Weizen jährlich – doch gleichzeitig behalten sich mehrere EU-Staaten, darunter Polen und Ungarn, nationale Schutzmaßnahmen vor. Damit bleibt der Zugang für ukrainische Bauern unsicher. Branchenvertreter befürchten, dass die Rückkehr zu Zöllen und Quoten Exporteinbußen in Milliardenhöhe nach sich ziehen könnte. Auch der Lebensmittelinformationsdienst FoodNavigator spricht von einer „vorsichtigen Annäherung“, die eher politischen Kompromisscharakter als ökonomische Wirkung entfalten dürfte. Mit Material der dpa und Reuters.