Kühles Wasser in Seen, Flüssen oder Freibädern macht den heißen Sommer erträglicher. Doch 3,5 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht schwimmen, ebenso wenig 20 Prozent der Grundschulkinder. Gleichzeitig sterben immer mehr Menschen bei Badeunfällen. Wird Deutschland zum Nichtschwimmerland?
Sommerzeit ist Badezeit. Die wärmsten Monate des Jahres verbringen viele am Wasser: Die Regionen an Nord- und Ostseeküste sind für die Sommerferien bereits gut gebucht. Abkühlung gibt es auch anderswo: Rund 2000 Seen, Flüsse und Meeresküsten in Deutschland sind offiziell zum Baden geeignet.
Doch das Risiko von Badeunfällen ist so hoch wie lange nicht: Denn Millionen Menschen in Deutschland können nicht schwimmen. Auch wenn inzwischen wieder mehr Kinder ein Schwimmabzeichen machen, sind immer noch viele von ihnen Nichtschwimmer. Und das Problem wird eher größer als kleiner. „Wir beobachten seit mindestens zehn Jahren, dass mehr Kinder, die die Grundschule verlassen, keine sicheren Schwimmer sind“, sagt der Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Martin Holzhause bei RTL.
20 Prozent der Grundschulkinder können nicht schwimmen, hat eine Forsa-Umfrage 2022 im Auftrag der DLRG ergeben. Das war eine Verdopplung im Vergleich zu 2017. 58 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen können am Ende der Grundschulzeit nicht sicher schwimmen. Wahrscheinlich sind es aber sogar noch mehr, sagt DLRG-Präsidentin Ute Vogt, „denn das Seepferdchen ist noch kein sicheres Schwimmen. Es braucht zumindest das Schwimmabzeichen Bronze, damit man sagen kann: Ein Kind kann sich sicher alleine im Wasser aufhalten.“
Die gute Nachricht: In absoluten Zahlen betrachtet, lernen immer mehr Kinder und Erwachsene schwimmen. Vergangenes Jahr hat die DLRG über 95.000 Schwimmabzeichen in Gold, Silber und Bronze ausgegeben. Etwas mehr als 2023 und der höchste Stand der vergangenen zehn Jahre.
„Erschreckende Zahl“ erwachsener Nichtschwimmer
Nicht nur bei den Kindern, auch bei den Jugendlichen und Erwachsenen gibt es etliche Nichtschwimmer: rund 3,5 Millionen. Fünf Prozent der Befragten ab 14 Jahren haben sich in der Forsa-Umfrage als solche bekannt. „Eine sehr erschreckende Zahl“, sagt der Sprecher der DLRG Nordrhein, Frank Zantis, im HR. Auch hier sei die Dunkelziffer vermutlich hoch. Immerhin jede und jeder Zweite sagt in der Umfrage über sich selbst, gut oder sehr gut schwimmen zu können.
Ein Grund dafür, warum so viele Kinder nicht oder nur schlecht schwimmen können, sind die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Die Schwimmhallen waren gut zweieinhalb Jahre lang zu. Es gab keinen Schwimmunterricht. 37 Prozent der Jungen und Mädchen im Grundschulalter konnten 2022 kein Schwimmabzeichen oder Seepferdchen machen.
Schuld an der mangelnden Schwimmfähigkeit sind auch die fehlenden Schwimmhallen. Seit Jahrzehnten schrumpfe die Zahl an nutzbaren Schwimmbäder in Deutschland, sagt die Bäderallianz Deutschland. Viele Bäder sind marode: Etwa 800 der rund 6500 Schwimmbäder in Deutschland benötigen dringend eine Sanierung, damit sie nicht geschlossen werden müssen, ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) von Jahresbeginn. Bleibt diese aus, müsste jedes siebte öffentliche Bad in den nächsten drei Jahren schließen. Doch für die Sanierungsarbeiten fehlt das Geld.
Schulschwimmen fällt aus
Die Folge: Teils müssen Eltern über ein Jahr auf Schwimmkurse warten, vor allem im Anfängerbereich. „Viele Schulen haben keine Möglichkeit, Schwimmunterricht anzubieten, weil es kein Schwimmbad in erreichbarer Nähe gibt. Uns fehlen Bäder, sie müssen gebaut und saniert werden“, sagt DLRG-Sprecher Holzhause. „Hinzu kommt auch ein Mangel an Lehrkräften, die für den Schulschwimmunterricht qualifiziert sind.“ Etwa ein Viertel der Grundschulen in Deutschland hat keinen Zugang zu einem Schwimmbad, schätzt die DLRG.
Auch in den Bädern selbst fehlt es an Fachpersonal: In der Badeaufsicht waren 2023 rund 680 Stellen nicht besetzt, hat das Institut der Deutschen Wirtschaft ausgewertet.
Einen Einfluss hat auch das Einkommen der Eltern: Rund die Hälfte der Kinder aus Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2500 Euro kann nicht schwimmen, steht in der DLRG-Umfrage. Bei einem etwas höheren Einkommen von über 4000 Euro sind es schon nur noch zwölf Prozent.
Zuwanderer oft ohne Schwimmerfahrung
Eine Rolle spielen zudem Bildung, Alter und Herkunft: 14 Prozent der Erwachsenen mit einem Hauptschulabschluss können nicht schwimmen. Bei Über-60-Jährigen sind es 8 Prozent. Von den Menschen mit Migrationshintergrund können 9 Prozent nicht schwimmen, doppelt so viele wie Menschen ohne Migrationsgeschichte. Und genau diese Gruppen lernen auch erst später schwimmen.
Die steigenden Nichtschwimmerzahlen hängen mit der Zuwanderung zusammen: Oft kommen die Menschen aus Ländern nach Deutschland, „in denen das Schwimmenlernen weniger verbreitet ist“, hat DLRG-Chefin Vogt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Deshalb machten Menschen mit Migrationshintergrund auch einen großen Anteil an den jährlichen Opferzahlen durch Badeunfälle aus.
Die Kinder und Erwachsenen mit Einwanderungshintegrund seien teils noch nie im Wasser gewesen, berichtet eine Berliner Schwimmtrainerin im RBB.
Holzhause fordert deshalb Warnschilder für Menschen, die kein Deutsch verstehen, „die international funktionieren und konkret aufzeigen, warum es gefährlich ist, ins Wasser zu gehen.“
Tödliche Badeunfälle oft aus Leichtsinn
Für Nichtschwimmer oder schlechte Schwimmer kann Baden schnell gefährlich werden – zum Beispiel, wenn das Wasser plötzlich tief wird. Vergangenes Jahr sind mindestens 411 Menschen in Deutschland ertrunken, 31 mehr als im Jahr davor. Den größten Anteil an Badetoten, rund 60 Prozent, machen ältere Menschen über 50 Jahre aus. Das liegt am demografischen Wandel, zudem reagieren Ältere empfindlicher auf Temperaturwechsel.
„Die meisten Badeunfälle treffen nicht Kinder oder Nichtschwimmer, sondern Männer im Erwachsenenalter, die ihre Kräfte überschätzen, aber auch Seniorinnen oder Senioren, die von ihren Kräften bei längeren Strecken verlassen werden“, sagt Thomas Huber, Chef der Wasserwacht Bayern, im BR.
Männer seien auch beim Baden risikobereiter als Frauen, wie die Wassertemperatur oder unbekannte Gewässer, sagt Olaf Theuerkauf von der Stiftung Männergesundheit. Zudem achten Männer weniger auf die Baderegeln: Sie sonnen sich lange und gehen dann aufgeheizt ins Wasser. Das könne auch schon bei jungen Männern zum Kreislaufzusammenbruch führen, so Christopher Wellner vom DLRG im RBB. Demnach springen sie auch häufiger betrunken rein.
Kinder machen einen kleineren Anteil bei den Badetoten aus, 14 sind vergangenes Jahr ertrunken. Viele dieser Todesfälle hätten sich möglicherweise vermeiden lassen, wären die Kinder früher und besser im Schwimmen ausgebildet worden.
Im internationalen Vergleich schneiden Kinder in Deutschland beim Schwimmen immerhin gut ab: dem Projekt Aquatic Literacy for all Children (ALFAC) zufolge haben sie eine „souveräne“ Schwimmfähigkeit. Bei den grundlegenden Fähigkeiten wie Tauchen oder Atmen im Wasser landen sie auf Platz zwei hinter Belgien.
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