Holzvertäfelungen, sehr hohe Räume, Stuck, verzierte Treppengeländer. Das Rektorat der Universität Leipzig atmet ehrwürdige Exzellenz. Kurz bevor Eva Inés Obergfell uns begrüßt, kracht die goldene Klinke an der Tür zum Vorzimmer des Vorzimmers ihres Büros auf den Parkettboden. Obergfell kann das weglachen an diesem Donnerstag Anfang Juni. Zwei Wochen zuvor hat sie erreicht, was sie bei ihrem Antritt als Rektorin 2022 als Ziel ausgegeben hatte: ein Exzellenzcluster. »Dieses Etappenziel ist ein historischer Erfolg«, sagt Obergfell, als sie am Konferenztisch ihres Büros Platz nimmt. Erstmals war die Uni erfolgreich mit ihrer Bewerbung, nachdem sie 2018 noch scheiterte – wie schon mehrfach zuvor, als die Förderung noch Exzellenzinitiative hieß. Bis zu 42 Millionen Euro könnten jetzt über die nächsten sieben Jahre in das Forschungsprojekt »Leipzig Center of Metabolism« (Leicem) fließen. Aber die Bedeutung der Förderung ist größer, sagt Obergfell, habe eine Strahlwirkung für die gesamte Universität. Und die ist auch notwendig. Denn die finanzielle Situation sei »dramatisch«, gibt die Rektorin zu. An den Fakultäten sorgt das bereits für Unruhe, die Auswirkungen davon spüren Lehrende und Studierende schon heute.
Ende Mai knallen aber erst mal die Korken. Nachdem Leipzig zuletzt 2018 bei der Bewerbung um die Förderung im Rahmen der Exzellenzstrategie scheiterte, erhält die Uni diesmal den Zuschlag. 70 Forschungsprojekte fördern Bund und Länder mit jährlich 539 Millionen Euro, es ist die lukrativste Forschungsförderung, die Deutschland hat. Gefördert mit bis zu sechs Millionen Euro jährlich entsteht in Leipzig ab 2026 das klinische Forschungszentrum Leicem, an dem das Universitätsklinikum, das Herzzentrum sowie fünf Max-Planck-, Helmholtz- und Fraunhofer-Institute beteiligt sind. Erforscht werden sollen dort weitverbreitete Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus und Fettleber.
Exzellente Strahlkraft
»Es ist nicht nur prestigeträchtig, ein Cluster zu bekommen, sondern es wird Auswirkungen auf die gesamte Universität haben«, sagt Obergfell. Vor allem Studierende hätten sie häufig gefragt, was sie von einem Exzellenzcluster hätten, sagt Obergfell. Ihre Antwort: »Aus einem Cluster erwächst in aller Regel ein attraktiver Master-Studiengang, den es unter normalen Umständen nicht gäbe.« Studierende könnten so teilhaben an Spitzenforschung, die am Puls der Zeit entstehe, in der Lehre, aber auch als studentische Hilfskräfte. »Diejenigen, die hier in Clustern arbeiten, sind auch diejenigen, die Studierenden in der Lehre begegnen, also absolute Koryphäen.« Darüber hinaus würde die Universität nicht nur attraktiver für Studieninteressierte, sondern auch für Unternehmen, die sich in der Region Leipzig ansiedeln wollen. Und: »Für alle weiteren Drittmittelanträge spielt es schon eine Rolle, ob wir eine Universität sind, die ausgezeichnet ist mit einem Cluster oder eben nicht«, sagt Obergfell.
Exzellente Kritik
Wer hat, dem wird gegeben. Dass Fördermittel nach dem Matthäusprinzip fließen, ist einer der Kritikpunkte, die es an der Exzellenzstrategie der DFG immer wieder gibt. Kleine Fächer hätten nicht die Kapazitäten, um im aufwendigen Bewerbungsverfahren zu bestehen. »Es gibt natürlich auch viele, die sich das – möglicherweise zu Unrecht – nicht zutrauen oder sich abschrecken lassen, wenn eine Initiative mal keinen Erfolg hat«, erzählt Obergfell aus den Gesprächen mit Forschenden an ihren Fakultäten. Vor allem bei den Studiengängen der Daseinsvorsoge – in Lehramt, Jura oder Pharmazie – »höre ich sehr häufig, dass neben der Lehre die Zeit für eine konzentrierte Spitzenforschung, die dann bis zu einem Cluster führt, fehlt«, sagt Obergfell, während hinter ihr eine Straßenbahn die Goethestraße entlangrumpelt. »Unsere Aufgabe ist es, zu ermutigen und die Rahmenbedingungen für exzellente Forschung zur Verfügung zu stellen.«
Weitermachen, immer weitermachen
Die Erfahrung der Ablehnung machte die Uni auch in diesem Jahr. Das Forschungsprojekt »Breathing Nature«, mit dem die Wechselwirkungen von Klima- und die Biodiversitätskrise erforscht werden sollen, scheiterte mit der Bewerbung. Die DFG habe den Wert dieser Forschung eben noch nicht erkannt, sagte der für die Exzellenzbewerbung verantwortliche Prorektor Jens-Karl Eilers nach der Verkündung. Für die Uni ist das schmerzlich: In eine Exzellenzbewerbung müsse „wahnsinnig viel investiert“ werden, von strategischen Berufungen bis hin zum Ausbau der Infrastruktur, sagt Obergfell. Zum anderen hat die Uni damit ein großes Ziel verfehlt: den Status als Exzellenzuniversität. Dafür braucht es mindestens zwei Exzellenzcluster. Zusätzlich 148 Millionen Euro erhalten die elf Exzellenzunis in Deutschland. Und so sucht das Rektorat in Leipzig bereits an den Fakultäten nach Projekten, die bei der nächsten Bewerbungsphase 2032 den Exzellenzzuschlag bekommen könnten. Bis dahin wolle man sich »so gut aufstellen, dass die Universität mindestens mit einem zweiten Clusterantrag als Exzellenzuniversität ins Rennen gehen kann. Das ist und bleibt das Ziel«, sagt Obergfell. »Diese Universität hat das Potenzial, exzellent zu sein und in vielen Bereich ist sie es bereits.« Das hat Obergfell bereits in ihrem ersten kreuzer-Interview attestiert (s. Ausgabe 12/2022). Obergfell wirkt von dieser Zielsetzung getrieben.
Akademisches Prekariat
Denn wie die meisten Universitäten in Deutschland geht es der Leipziger finanziell nicht gut. Wie wichtig aus Sicht des Rektorats die Exzellenzstrategie für die Zukunft der Uni zu sein scheint, geht aus einer E-Mail von Obergfell und Kanzler Jörg Wadzack an die Mitarbeitenden der Uni aus dem April hervor, die dem kreuzer vorliegt: »Wir haben nach wie vor gute Gründe, zuversichtlich zu bleiben – nicht zuletzt im Hinblick auf die Entscheidungen im Exzellenz-Wettbewerb.«
»Nach wie vor« – das klingt unheilvoll und bezieht sich auf die Rahmenbedingungen, in denen die Universität aktuell steuert. Denn während das Rektorat von Spitzenforschung träumt, sieht sich die Lehre in der Breite einer prekären finanziellen Situation ausgesetzt. Anlass des Schreibens aus dem Rektorat war ein Brief des sächsischen Ministerpräsidenten an die Mitarbeitenden der Uni. Darin stimmt Michael Kretschmer (CDU) auf die zu erwartenden Kürzungen im Doppelhaushalt des Freistaats ein, den die Minderheitskoalition von CDU und SPD noch im Juni (aber nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) verabschieden wollte. »Schmerzhafte Einschnitte in allen Bereichen sind angesichts des auszugleichenden Haushaltsdefizits unumgänglich«, schreibt Kretschmer an die Mitarbeitenden der Universität.
Aufgabenzuwachs …
Zwar hat der Freistaat letztes Jahr mit seinen Hochschulen eine Zuschussvereinbarung bis 2032 beschlossen, die die Grundfinanzierung sichert. 760 Millionen Euro sollen bis 2032 an die 14 staatlichen Hochschulen fließen – aber die Sonderzuweisungen fallen zukünftig wohl weg. »Unser strukturelles Defizit wird dadurch vertieft«, sagt Obergfell. »Wir müssen sparen. Und zwar massiv.« Das Haushaltsdefizit sei zum einen auf die Tarifsteigerungen der letzten Jahre zurückzuführen, weil diese nicht vollständig vom Freistaat ausgeglichen worden seien. Zum anderen stelle das Land klare Erwartungen an die Uni, die in den Zielvereinbarungen letztes Jahr erneut festgeschrieben wurden. »Besonders im Bereich der Daseinsvorsorge mussten wir einen bedeutenden Aufgabenzuwachs verkraften«, sagt Obergfell. Das bedeutet, dass die Uni etwa im Lehramt, bei der juristischen Ausbildung oder im Bereich der Pharmazie eine bestimmte Anzahl von Absolventinnen und Absolventen vorweisen muss. Aufgaben, die in den letzten Jahren durch Sonderzuweisungen aufgefangen worden seien, die jetzt aber wegfallen. Die verbliebene Grundfinanzierung reiche nicht aus, »um alle Aufgaben uneingeschränkt in der bisherigen Form fortzuführen«, schreiben Obergfell und Wadzack.
… und Aufgabenkritik
Aufgabenkritik ist das Zauberwort, dass auch Kretschmer umschreibt. Dass die Koalition bei den Personalkosten sparen wolle, »bedeutet im Einzelfall auch, dass die Nachbesetzung freiwerdender Stellen kein Automatismus mehr ist«. Was das für die Uni Leipzig bedeutet, schreiben Obergfell und Wadzack in ihrer E-Mail: »Wer einen befristeten Arbeitsvertrag hat, wird nach Ablauf der Befristung seltener die Chance haben, an der Universität zu verbleiben.«
An den Fakultäten sorgt diese Aussicht für Frust. Schon heute sind in der Lehre nicht alle vorgesehenen Stellen besetzt. Schwarz auf weiß liest sich das bei Obergfell und Wadzack so: »Die für 2025 erfolgte Deckelung des Personalbudgets auf 94 Prozent einer fiktiven 100 Prozent Stellenbesetzung über den gesamten Hochschulbereich ist schmerzlich, aber unumgänglich.« In der Praxis bedeute das, dass auslaufende Professuren für ein Semester unbesetzt blieben, bevor Nachfolgerinnen oder Nachfolger berufen würden, berichten Uni-Mitarbeitende dem kreuzer. Obergfell bestätigt, dass es aktuell dazu kommen könne. Die offenen Stellen müssten vom bestehenden Personal aufgefangen werden oder durch Lehraufträge aus dem Budget der Fakultäten besetzt werden, heißt es von dort. Sollten befristete Stellen nun vermehrt nicht neu besetzt werden, könnte der Druck auf die Lehrenden weiter wachsen. Denn befristete Stellen gibt es vor allem dort, nicht in der Verwaltung. »Die Brücke ist besetzt und im Maschinenraum ist keiner da, der die Kohlen reinschmeißt«, beschreibt eine Lehrkraft ihren Eindruck gegenüber dem kreuzer.
Wie genau Obergfell die Universität auf Kurs halten möchte, könne sie zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen, die Planungen liefen. »Aber es muss vermieden werden, dass sich das auf die Lehre auswirkt«, sagt die Rektorin. »Für unser Studienangebot gilt: Wir müssen stets eine zeitgemäße und qualitätsgesicherte Lehre zur Verfügung zu stellen.« Auch kleine Studiengänge mit wenigen Absolventinnen und Absolventen möchte Obergfell nicht radikal streichen. Vielmehr müssten zeitgemäße Lösungen für diese Orchideenfächer her. »Die Exzellenz in Einklang zu bringen mit der schwierigen Haushaltssituation, das ist meine Aufgabe.« Denn was bringt eine goldene Türklinke, wenn kein Inbusschlüssel da ist, um sie festzuschrauben.