Stand: 06.07.2025 20:19 Uhr

Frankreichs Fußballerinnen und die Großturniere – bislang ist es eine Geschichte voller persönlicher Dramen und verpasster Chancen. „Les Bleues“ warten noch auf einen bedeutenden Titel. Nun könnte mit einer verjüngten Mannschaft in der Schweiz der große Coup gelungen. Der EM-Auftakterfolg gegen England lässt jedenfalls aufhorchen.

„Feel the magic in the air – Allez, allez, allez“, hallte es nach dem Ende von Frankreichs Duell mit dem Titelverteidiger am Samstagabend durch das Letzigrund-Stadion in Zürich. Und die Fans der französischen Equipe sangen den Hit der Band Magic System lautstark mit. Einen passenderen Song hätte der für die Arena-Beschallung zuständige DJ in diesen Momenten nicht abspielen können. Zumindest aus der Sicht jener, die zuvor ganz fest dem Team von Coach Laurent Bonadéi die Daumen gedrückt hatten.

Denn die in dem Lied besungene Sache mit der Magie, die in der Luft liegt, passte zur französischen Vorstellung gegen den Titelverteidiger. Die Grande Nation begeisterte gegen England durch fußballerische Finesse und wusste auch in den elementaren Dingen zu überzeugen. Das Zweikampfverhalten, die taktische Disziplin sowie die Einsatzbereitschaft – alles ziemlich gut für ein Team, dass sein Coach zuvor als „Außenseiter“ in der sehr starken Gruppe mit England, den Niederlanden und Wales tituliert hatte.

Die Französinnen feierten noch lange nach Abpfiff mit ihren Fans

Fünf Französinnen feiern EM-Debüt

Mit dieser Aussage – das darf man Bonadéi seit diesem Samstagabend im Letzigrund unterstellen – wollte der 55-Jährige nur Druck von den Schultern seiner Spielerinnen nehmen. Denn natürlich wusste der Coach, was gegen England dann auch alle Zuschauer an den Endgeräten sowie im Stadion sahen: Diese Mannschaft ist fußballerisch hochveranlagt. Wie Frankreich die Engländer nach dem Schreck des Abseitsgegentores von Alessia Russo (16.) dominierte, es war beeindruckend.

„Ich bin stolz auf die Mannschaft. Wir hatten einen guten Zusammenhalt und haben die Höhen und Tiefen gut gemeistert“, sagte Linksverteidigerin Sakina Karchaoui im Interview mit „TF1“. Die 29-Jährige vertrat die verletzte Griedge Mbock als Kapitänin. Dass in Letzterer eine absolute Führungsspielerin mit der Erfahrung von 92 Länderspiel-Einsätzen fehlte, fiel überraschenderweise überhaupt nicht auf. Überraschenderweise, weil für die 30-Jährige die neun Jahre jüngere Alice Sombath im Abwehrzentrum an der Seite der gleichaltrigen Maëlle Lakrar spielte. Es war erst der vierte Einsatz von der Defensiv-Spezialistin von Olympique Lyon für das A-Team.

Sombath war eine von fünf französischen Spielerinnen, die gegen England ihr EM-Debüt feierten. Neben ihr absolvierten auch Elisa De Almeida, Oriane Jean-François, Lakrar und Melween N’Dongala ihre erste Begegnung bei einer Europameisterschaft. Von Nervosität bei all ihnen keine Spur.

Frankreich mit Resilienz und Herz

Bonadéi scheint mit der in Frankreich nicht unumstrittenen Zusammensetzung seines Kaders richtig zu liegen. Denn zumindest gegen England stellte dieses Team unter Beweis, dass es etwas hat, was anderen fußballerisch vielleicht noch talentierteren französischen Nationalmannschaften in den vergangenen Jahren fehlte: Resilienz. Ein Beweis dafür war die Reaktion auf das englische Abseitstor. Es schüchterte das Team nicht ein, sondern war die Initialzündung dafür, in den Angriffsmodus zu schalten.

Ein anderer Beweis für diese These war das Verhalten in der Schlussphase, als die Bonadéi-Elf noch einmal stark unter Druck geriet und beinahe noch den Ausgleich kassiert hätte. Mit viel Herz und fachkundiger Verteidigungsarbeit wurde das 2:2 verhindert. Ein Remis wäre ohnehin nicht gerecht gewesen. Denn Frankreich hätte zwischenzeitlich schon mitm 4:0 führen können.

Betreute jeweils zwei Jahre die männliche B- und dann A-Jugend von Paris Saint-Germain – seit 2024 ist er Nationaltrainer der Frauen: Laurent Bonadei

Bonadéis Personalmaßnahmen greifen

„Es war nicht einfach. Aber alle meine Spielerinnen waren mutig“, resümierte Bonadéi. Damit fasste er das sehr selbstbewusste Auftreten seiner Equipe perfekt zusammen. Obwohl der Coach in der langjährigen Kapitänin Wendie Renard sowie Rekordtorschützin Eugénie Le Sommer und Kenza Dali drei absolute Leistungsträger der vergangenen Dekade vor dem EM ausgebootet hatte, scheint sich rasch eine neue, stabile Hierarchie gebildet zu haben.

Dieser Umstand gründet wohl auch darauf, dass mit Ausnahme der 21-jährigen Lou Bogaert, Thiniba Samoura und Somnath alle Spielerinnen bereits Mitte 20 oder älter sind und so sportlich bereits einiges erlebt haben. Über das fußballerische Talent von französischen Nationalmannschaften musste in den vergangenen Jahren ohnehin nicht diskutiert werden. Doch wie sagte einst der deutsche Trainer (Philosoph) Felix Magath: „Mentalität schlägt Qualität.“

Cascarino: „Es war nur der erste Schritt“

Vielleicht hat Frankreich im Juli 2025 in der Schweiz nun endlich einmal beides im dem für einen Titel nötigen Maße. Der überzeugende Auftritt gegen England spricht dafür. „Aber noch ist nichts entschieden. Es war nur der erste Schritt“, sagte Außenangreiferin Delphine Cascarino, die von der UEFA zur Spielerin des Spiels gekürt wurde. Sie bildete mit Sandy Baltimore eine Flügelzange, die der Titelverteidiger nie in den Griff bekam.

Ragte gegen England heraus: Delphine Cascarino

Gegen Wales winkt vorzeitiger Viertelfinal-Einzug

Am Mittwoch (21 Uhr, live im ZDF und im Liveticker bei sportschau.de) wartet nun in Wales der vermeintlich leichteste Gruppengegner auf die Französinnen. Mit einem Erfolg können „Les Bleues“ sogar schon vorzeitig den Viertelfinaleinzug perfekt machen, wenn die Niederlande im Parallel-Spiel gegen England mindestens einen Punkt holen. Soweit aber will Bonadéi noch nicht denken.

„Wir haben noch nichts gewonnen. Wir sind immer noch ehrgeizige Herausforderer“, sagte der Trainer. Viel Demut für einen Mann mit einem Team, das im ersten Spiel dafür sorgte, dass nicht nur musikalisch „Magie in der Luft“ lag…