Er fällt auf. Rotes Polohemd, der Kragen ein wenig verrutscht, graue Bermudashorts, randlose Brille – und dann noch diese grauen Haare. Das lässt ihn herausstechen, weil um ihn herum vor allem junge Menschen tanzen. Auf der Bühne vor der Isarphilharmonie stehen zwei Frauen und bringen der Menge das Tanzen zu K-Pop bei. K-Pop heißt so, weil diese Art der Popmusik aus Korea kommt. Die Tanzbewegungen dazu wirken mal sportlich, mal lasziv, immer geschmeidig. Arme, Beine, Oberkörper sind permanent in Bewegung, „Forever young“ dröhnt aus den Boxen. Der Mann in Rot gehört zur Vorgängergeneration der K-Pop-Community, mindestens. Er lässt den Kopf kreisen, malt mit den Händen einen Smiley unters Gesicht. Er macht alles mit.
Detlef Krauel sticht heraus aus der Masse der meist jungen und weiblichen K-Pop-Tänzerinnen. (Foto: Robert Haas)
Überhaupt, alle machen alles bei „Tanz den Gasteig“. Das Ausweichquartier HP8 wird am Samstag zum Multi-Dancefloor, mehrere Tausend Menschen dürften es sein, die in die Isarphilharmonie, die umliegenden Säle und aufs Freigelände strömen. Der Eintritt ist frei und gezählt wird nicht.
Es soll ein Fest für alle sein, und das ist es. Es kommen Junge und Senioren, Große und Kleine, Dünne und Bauchige, Trainierte und solche, die erst anfangen. Kein Schaulaufen, kein Wettbewerb, einfach mitmachen und Freude haben bei allen möglichen Workshops, drinnen und draußen. Afro-Dance, House Dance, Kinderdisco, Silent Disco. Bei Letzterer kriegt jeder einen Kopfhörer auf und darf aus drei verschiedenen Musikrichtungen wählen. An der Farbe des Geräts ist zu erkennen, was der oder die andere gerade hört, so bilden sich Tanz-Rudel.
Bei der Silent Disco tanzt jeder mit Kopfhörer zu seiner Musik. (Foto: Robert Haas)
Verena Trollmann probiert im HP8 das Tanzen mit Hula-Hoop-Reifen aus. (Foto: Robert Haas)
Vor dem Haupteingang drehen sich die Hula-Hoop-Reifen, das braucht Platz, bis hinauf zur Bushaltestelle an der Brudermühlstraße kreisen die Becken. Isa Hirschauer, die Trainerin, spornt gut 100 Reifen-Menschen an. „Das schaut so mega aus!“, ruft sie ihren Schülerinnen (die Frauenquote dürfte bei 90 Prozent liegen) zu. „Cool! Schaut Hammer aus!“
Verena Trollmann, 20, hat mitgemacht beim Reifen-Kreisen und zuvor schon beim Swing. Sind das nicht etwas altmodische Tänze? Ja, schon, sagt sie, und genau deshalb probiere sie es mal aus, „weil’s etwas Altes ist“. Sie studiere Wirtschaftsmathematik. Normalerweise tanze sie Lateinamerikanisch, Bachata zum Beispiel. Ihre Kommilitonin Tanja Wolf, auch 20, sagt, dass sie nicht gleich einen wochenlangen Kurs besuchen würde für Hula-Hoop oder Swing. Aber hier reize es sie, das mal auszuprobieren. „Hier kann man einfach mal drauflos machen.“ Vorher waren die beiden schon ein paar Meter weiter beim Charleston dabei.
Der Parkplatz vor dem Probensaal ist Swing-Areal. Auch hier stehen Dutzende Menschen, ihre Schuhsohlen reiben rhythmisch und synchron auf dem Asphalt. „Tapp-tapp.“ Christine von Scheidt gibt von der Bühne die Kommandos: „Arme hoch. Eins, zwei, drei, vier.“ Dutzende Knie gehen nach innen und nach außen. Der Gasteig swingt, zwischen Autowerkstätten und Bierbänken.
Eine Stunde läuft der K-Pop-Workshop schon. Eins, zwei, drei, vier … jede Zahl eine weitere Bewegung. Die Vortänzerin erklärt, dass bei sieben die Hände nach unten fallen und bei acht das rechte Bein nach vorne geht. „Aufmachen, zurück. Aufmachen, zurück.“ Der Mann in Rot macht alles mit, bloß nicht seine Haare. Die sind zu kurz, um so mitzuschwingen wie bei vielen Frauen. Dann, eine Stunde Choreo-Kurs ist um, verlässt er den Dancefloor. Was ist los?
Detlef Krauel heiße er, sagt er beim Gespräch vor der Halle, und jetzt, jetzt reiche es, er könne nicht mehr. 70 Jahre alt sei er, sagt Krauel und er scheint sich zu freuen, weil man’s kaum glauben mag. Er habe neben seinem Job als Software-Ingenieur viele Jahre Tanzen als Sport betrieben, erzählt er, richtig intensiv, Deutscher Meister sei er gewesen, wenn auch nicht oberste Liga. Vor ein paar Jahren habe er wegen einer Fußverletzung aufhören müssen. Aber bei K-Pop, da müsse man nicht so viel mit den Füßen arbeiten, da stehe man mit beiden Beinen auf dem Boden, das sei gut für ihn. „Das hat wieder Spaß gemacht.“ Und wo sind jetzt seine Frau und die anderen aus der Gruppe? Detlef Krauel schaut sich um, sucht sie, gelangt zum House-Dance-Workshop. Die anderen findet er nicht, egal, er fängt an mitzuwippen.