Nicht durch Putins Überfall auf die Ukraine, sondern durch den Zerfall Jugoslawiens und die darauf folgenden Kriege auf dem Balkan endete 1991 eine lange Friedenszeit in Europa. Daran erinnerte jetzt das Abschlusskonzert des zwölften Klangräume-Festivals in Düsseldorf, das sich unter dem Motto „In tempore belli“ künstlerisch mit Konflikten nach 1945 befasste.

Vor dem Beginn des Konzerts im Palais Wittgenstein erzählt der in Zagreb geborene Festival-Leiter Miro Dobrowolny vom Schock, den der Ausbruch der Jugoslawienkriege bei ihm auslöste. Dass Kunst nicht in einer weltfremden Sphäre stattfindet, sondern stets Spiegel der Zeit ist, zeigten die Festival-Konzerte der vergangenen Wochen, die der Komponist und Dirigent mit Umsicht entwickelt hat. Das von ihm gegründete und geleitete Art-Ensemble NRW warf Schlaglichter auf Paris (Charlie Hebdo) und Vietnam, setzte aber auch einen politikfreien Gegenakzent – und zwar mit einem Festival-Klassiker, dem „Kanalkonzert“ in einem Tunnel des Stadtentwässerungsbetriebs Golzheim.

Das Abschlusskonzert richtete den Blick auf Kroatien. Zwei eigene Werke ließ Dobrowolny mit Stücken von Jörg Widmann und Igor Strawinsky korrespondieren. Sein „Requiem et Invocatio“, komponiert 1994 auf Gedichte von Zdravko Luburic, erinnert an den Tod von 24 Kindern, die durch die Bombardierung von Slavonski Brod starben. Geschickt bringt es der Bariton Gregor Finke fertig, gleichzeitig zu singen und eine Maultrommel zu bedienen – als habe das Metallstück es letztlich nicht geschafft, ihm den Mund zu versperren. Das intensive Stück gipfelt in einen Trauermarsch, den der Pianist Theodor Pauß mit einem Totengeläut beschließt. 24 Mal in Folge donnert er die gleichen Töne in die Bassregion des Klaviers.

Auf den Klang der Posaune, die am Tag des Jüngsten Gerichts ertönt, bezieht sich Dobrowolnys Stück „Tuba mirum“. Jähe und laute Cluster-Akkorde ziehen den Vorhang für ein apokalyptisch gefärbtes Klanggemälde auf. Die Streicher des Art-Ensembles NRW klappern mit den Bögen auf die Saiten, entlocken ihren Instrumenten gespenstisch fiepende Flageolett-Töne, flüstern tonlos Teile des lateinischen Messetexts. Vier Posaunen stimmen quälende Vierteltonreibungen an und versuchen gegen Ende fast verzweifelt, mit einem Choral gegen die wachsende Kakophonie anzuspielen. Theodor Pauß legt eine Kette auf die Klaviersaiten und spürt den sirrenden Resonanzen nach, die dadurch entstehen.

Die Kompetenz des Art-Ensembles NRW steht bei alldem außer Zweifel. Hier sind Spezialisten am Werk, die aufeinander eingeschworen sind. Martin Schminke (Violine), Kumi Litsuka (Klarinette) und Theodor Pauß (Klavier) formen das Stück „Tränen der Musen“ von Jörg Widmann zu einer intensiven Klage, durch die sie Balkanklänge schimmern lassen. Der damals 20-jährige Komponist reagierte mit diesem Trio auf die Kriege in Kroatien und Bosnien. Igor Strawinskys Stück „In memoriam Dylan Thomas“ schafft eine bedrückende Atmosphäre.

Bewusst beschließt Miro Dobrowolny den Abend mit alter Musik. Das achtstimmige „Jubilate Deo“ von Andrea Gabrieli, im 16. Jahrhundert Organist der Kirche San Marco in Venedig, entlässt das Publikum mit einem Hoffnungsschimmer.