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Sie hätte nie gedacht, jemals wieder in Kassel zu leben. Doch dann wurde Donald Trump zum zweiten Mal Präsident. Die Geschichte einer jungen Wissenschaftlerin, die in den USA plötzlich ohne Perspektive war.

Kassel – Amelia Otmischi Tamayo ist erst 25 Jahre alt. Aber die in Kassel aufgewachsene Frau ist seit ihrem Wegzug aus Nordhessen vor sechs Jahren mehr in der Welt rumgekommen, als mancher in sechzig Jahren. Zuletzt lebte die Tochter einer Kubanerin und eines Deutschen mit ihrem Mann in den USA in Lansing, der Hauptstadt des Bundesstaats Michigan. In diesem Jahr wollte die angehende Psychologin eine Promotionsstelle an der Howard University in Washington D.C. antreten. Ihr Mann, ein US-Amerikaner mit palästinensischen Wurzeln, leitete eine Schule in Lansing, in der Kinder von Migranten unterrichtet wurden. Doch kurz nachdem die Trump-Administration ins Weiße Haus einzog, wurden die Lebens- und Karrierepläne des Paares durchkreuzt. Nun sind sie in der Heimat der Kasselerin gestrandet. Und damit nicht unglücklich.

Kasselerin kehrt wegen Trump zurück in ihre Heimat Amelia Katherina Otmischi TamayoFoto: LudwigWas sich erst als Rückschritt anfühlte, kann sie nun genießen: Amelia Katherina Otmischi Tamayo lebt seit Kurzem wieder in Kassel. Wegen Trumps Politik hat sie die USA mit ihrem Mann verlassen. © privat

Frau Otmischi Tamayo, bevor Sie in den USA waren, sind Sie viel herumgekommen. Wann haben Sie Kassel verlassen?

Ich bin direkt nach dem Abitur 2019 weg, um in Nimwegen in den Niederlanden mein Bachelor-Studium in Psychologie zu beginnen. Dann bin ich für ein Auslandssemester nach Jamaika. Es war ein tolles halbes Jahr. Es war eine sehr prägende Erfahrung, da ich die Möglichkeit bekam, an der University of the West Indies Kurse zu belegen, die mich als schwarze Frau empowered haben. Zu sehen, wie die Perspektiven an schwarzen Unis sind, war großartig. Als ich schließlich meinen Mann auf einem Friedenscamp in Italien kennenlernte, lebte ich mit ihm ein Jahr auf Malta, wo er damals studierte. Mein Studium konnte ich von dort weiterführen und musste nur für wenige Präsenztermine in die Niederlande. 

Was hat Sie in die USA verschlagen?

Ich habe den Erasmus Mundus Master-Studiengang „Global-Minds“ begonnen, der einen Schwerpunkt auf kultureller und sozialer Psychologie hat. Die Studierenden können aus vier Hochschulstandorten wählen. Ich war das erste Semester in Lissabon und im zweiten im irischen Limerick. Für mein Studienpraktikum bei einem Lateinamerikanisch-europäischen sozialpsychologischen Forschungsnetzwerk (LAEUMIDI) bin ich dann im September 2024 in die USA zu meinem Partner gezogen. Er lebte in Lansing in Michigan. Wir haben dort geheiratet.

Zur Person

Amelia Otmischi Tamayo (25) ist in Kassel aufgewachsen, wo sie bis 2019 lebte. Die Tochter einer Kubanerin und eines Deutschen machte ihr Abitur an der Freien Waldorfschule. Während und vor allem nach ihrem Bachelor-Studium in Psychologie hat sie in sieben unterschiedlichen Ländern gelebt. Im Herbst 2024 heiratete sie ihren Mann in den USA. Bis vor Kurzem lebte sie in Lansing im Bundesstaat Michigan. Diese Woche beendet sie ihre Masterarbeit im Erasmus Mundus Master Global-Minds: Sozial- und Kulturpsychologie.

Wie lief es in den USA?

Ich bin sehr dankbar für meine Zeit in Nordamerika. Wir waren im vergangenen Herbst für drei Monate in Toronto in Kanada, wo mein Mann einen Forschungsauftrag hatte. Von dort haben wir Trumps Wahlsieg verfolgt. Als wir nach Michigan zurückkamen, wurde uns immer klarer, was das für uns bedeutet. Mein Mann hatte dort einen Job als Schulleiter in einem Welcome Center, einer Schule für Kinder aus Migrantenfamilien. Trump hat in den Bereichen Migration und Integration massiv die Mittel gekürzt. Ich hatte an der Howard University in Washington D.C. bereits die mündliche Zusage für eine Doktorandenstelle. Es ist eine der bedeutendsten historisch afroamerikanischen Universitäten in den USA. Mein Plan war es, fünf Jahre an der Howard University zu bleiben und dann als Psychotherapeutin zu arbeiten. Aber im März bekam ich eine E-Mail von dem Professor, dass er mich zwar schon eingeplant hatte, aber ihm nun von der Trump-Administration die Gelder für alle neuen Doktorandenstellen gestrichen worden seien.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Trump hat einiges für uns verändert. Der Druck und die Frustration wurden immer größer. In den Nachrichten hörte ich jeden Tag, was die Trump Administration sich wieder ausgedacht hatte. Ich sah die Berichte, wie die Polizei- und Zollbehörde ICE Menschen deportierte. Ich persönlich hatte ein Touristen-Visum zu diesem Zeitpunkt und hatte versucht, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu bekommen. Allerdings ist dies ein langer und kostspieliger Prozess. Mit meinem Visum konnte ich nur sechs Monate im Jahr im Land bleiben. Daher war ich trotz meines Privilegs, dem Deutschen Pass, ängstlich. Ich schwebte in Ungewissheit, was morgen oder übermorgen mit meinem legalen Aufenthalts㈠status geschehen würde. Dabei sollte doch kein Mensch illegal sein, in einem Land, das von den Native Americans gestohlen wurde. Wegen der Trump Administration und anderen Gründen haben wir uns dann entschieden, zurück nach Deutschland zu kommen – zumindest für das nächste Jahr.

Haben Sie zuvor schlechte Erfahrungen bei der Ein- und Ausreise gemacht?

Mir ist bewusst, dass ich als deutsche Staatsbürgerin gegenüber der Einwanderungsbehörde privilegierter bin als beispielsweise Latinos. Dennoch hatte auch ich aufgrund meiner Hautfarbe und der Herkunft meiner kubanischen Mutter oft Probleme. Mein Antrag über das elektronische Reisegenehmigungssystem Esta war abgelehnt worden. Dies lag an meinen kubanischen Wurzeln, wo ich regelmäßig als Touristin hinreise. Trump hat eine Liste mit Ländern erstellt, die Terrorismus fördern (State sponsors of Terrorism). Dazu zählt auch Kuba. Bei der Einreise im September in die USA wurde ich von der Homeland Security in einen Verhörraum gebeten und zwei Stunden festgehalten. Ich wurde gefragt, was ich in Kuba gemacht habe, wie viel Geld ich auf dem Konto habe und vieles mehr. Die haben meinen Koffer gefilzt und mein Tagebuch gelesen. Ich hatte das Gefühl, ich sei kriminell. Fast hätten sie mich nicht ins Land gelassen, wo ich wenige Tage später heiraten wollte. Seitdem hatte ich immer Sorge, bei einer Ausreise nicht wieder zurückzudürfen. Aber als ich mit meinem Mann aus Kanada zurückkam, gab es keine Probleme an der Grenze. Er ist US-Amerikaner und in seinem Schlepptau wurde ich einfach durchgewunken. 

Amelia Otmischi TamayoFoto: privatZu Besuch in Detroit: Amelia Otmischi Tamayo lebte seit September 2024 mit ihrem Mann in den USA. © privat

Wie fühlte sich Ihre Rückkehr nach Kassel an?

Es fühlte sich zunächst wie eine Niederlage, ein Rückschritt an. Ich hätte nie geglaubt, dass ich nochmal in Kassel leben würde. Aber es war eine erdende Erfahrung für mich, von meinen Eltern mit offenen Armen empfangen zu werden. Ich merke, wie ich mich entspanne. Ich habe sogar wieder angefangen, in der Bäckerei zu arbeiten, in der ich schon als Schülerin etwas dazuverdiente.

Kurz nach der Wahl

Das erwarteten die Menschen in Kassel von Trumps zweiter Amtszeit

Was hören Sie in Kassel von anderen Wissenschaftlern aus den USA?

Ich bin gerade in der letzten Phase meiner Masterarbeit über Afro-Latinas, die an US-Universitäten als Professorinnen arbeiten. Ich bekam zuletzt viele Absagen für Interviews. Es geht die Angst um. Vielen wurden die Stellen gestrichen oder die Gelder gekürzt. Der Präsident spielt mit ihren Existenzen. Trump attackiert Minderheiten im akademischen Umfeld, deren Forschungsarbeit für die US-Gesellschaft so unglaublich wichtig ist. Denn Wissenschaftler geben undokumentierten Migranten eine Stimme, die sonst nicht gehört würden. Weil Wörter wie Frau, Race, Gender, Sex und Diskriminierung in vielen wissenschaftlichen Journalen nicht mehr veröffentlicht werden, ist deren Arbeit zensiert.

Gibt es Hoffnung für die Betroffenen?

Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen noch da sind. Sie arbeiten weiter in ihren Themen und warten mit ihren Veröffentlichungen, bis Trump als Präsident Geschichte ist. Das ist Wiederstand. In diesen schweren Zeiten zeigt sich die Solidarität zwischen Afro-Latinos und anderen People of Color – nicht nur an den Unis sondern US-weit. 

Können Sie sich vorstellen, in die USA zurückzukehren?

Ich möchte nicht in den Trump-USA leben. Mein Mann und ich planen, uns nun zunächst in Deutschland etwas aufzubauen. Ich bewerbe mich gerade auf Stellen. Mal schauen, wohin uns unser Weg führt.