Staatskapelle Berlin/Konzert 5.7.2025/C. Thielemann, E. Morley /Fotocredits: Andreas Labes
Es ist eine dankbare Aufgabe, Musik an ein Publikum zu bringen, die es selten oder vielleicht noch nie gehört hat. In Berlin ist das generell en vogue – nicht immer zur großen Freude, zeugt doch nur wenig von dem, was landläufig an Raritäten und Uraufführungen aufgeboten wird von großer Meisterschaft. Vieles verschwindet schon bald wieder in der Versenkung. (Rezension des Konzerts v. 5. Juli 2025)
Bei allem Interesse an Programmen jenseits ausgetretener Pfade erstaunt es, dass bislang noch niemand auf die Idee kam, sich dem Füllhorn an Liedern anzunehmen, die der geniale Richard Strauss hinterlassen hat. Der schrieb sage und schreibe an die 220 Lieder, zahlreiche darunter alternativ für Klavier oder Orchester, von denen sich aber gerade einmal ein Bruchteil im Konzertleben etabliert hat, allen voran die späten Vier letzten Lieder. Nun gibt es allerdings auch keinen Zweiten, bei dem ein Zyklus dieser Lieder so gut aufgehoben wäre wie bei dem genialen Strauss-Dirigenten Christian Thielemann.
Die dramaturgische Idee, ihn mit einem weiteren Zyklus, den sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt zu verzahnen, erscheint dabei reizvoller als ich es erwartet hätte, sind diese doch durchsetzt von Elementen einer recht ähnlichen Tonsprache.
Für die erste Folge mit der Berliner Staatskapelle hat Christian Thielemann sieben Lieder ausgewählt, die seitens der Tessitura besonders gut mit einem Koloratursopran harmonieren. Allen voran der Amor, der seitens technisch höchst anspruchsvoller Koloraturen im Spitzenregister an die große Szene der Zerbinetta in Ariadne auf Naxos erinnert, hat es in sich. Die Amerikanerin Erin Morley, Solistin dieses Abends, singt all die aberwitzigen Tonketten virtuos mit schlafwandlerischer Sicherheit und erntet dafür spontan emphatischen Zwischenbeifall.
Seitens der musikalischen Gestaltung stellte die intime filigrane Miniatur Meinem Kinde – mit nur wenigen Streichinstrumenten begleitet reinste Kammermusik- einen ebenso hohen Anspruch. Morley sang dieses entzückende Schlaflied, kongenial mitempfunden von ihren Partnern, mit der gebotenen Zärtlichkeit, kultiviert und schlicht dazu, nur der Text ließ sich trotz pflegsamer Behandlung der Konsonanten nur partiell verstehen. Das ist natürlich ein bisschen das Los der hohen Soprane, die – und erst recht in extrem hoher Lage – kaum eine Chance haben, die Worte klar zu deklamieren. Da haben es die tiefen Stimmen bekanntlich leichter.
Staatskapelle Berlin/Konzert 5.7.2025/C. Thielemann, E. Morley /Fotocredits: Andreas Labes
Mit Mein Auge op.37/4, Das Bächlein op.88/1 und die Freundliche Vision op.48/1 schließen sich weitere hinreißende Petitessen an, die Morley, passend grundiert vom Orchester und unter den sensiblen Antennen Thielemanns, in ihrer Kürze von nur wenigen Minuten farbreich gestaltet, dass sie nicht achtlos am Ohr der Zuhörenden vorbeiziehen. Vielmehr verströmen sie schiere Poesie. Das gilt letztlich auch für Das Ständchen op.17/2, in einer Orchesterfassung von Felix Mottl.
Weitgehend schlank führt Morley ihren Sopran durch die Register, ihr schönes Timbre verströmt Wärme und eine gewisse Noblesse, auch wenn so mancher Ton noch eine Spur kristalliner und klarer hätte tönen dürfen. Am schönsten tönt Morleys Stimme, nun glockenklar, in einer zugegebenen Rarität, dem Lied Die Nacht, das, wenn ich Christian Thielemann richtig verstanden habe, der dazu eine Ansage machte, bislang nur als Klavierskizze existierte. Es ist ein weiteres verträumtes, versonnenes, bezauberndes Juwel, in dem an einer Stelle ein vertrautes Violinsolo aufkommt, auf das Strauss später noch einmal in seinem Lied Beim Schlafengehen der Vier letzten Lieder zurückkam.
Und wie alle diese Impressionen einschließlich der wohl am bekanntesten Zueignung op.10/1, häufig als Zugabe zu erleben, um die Liebe oder die Schönheit der Natur kreisen, ergibt sich der thematische Bezug zu der ersten sinfonischen Dichtung von Liszt, der inspiriert von dem Dichter Victor Hugo, Natur und Menschheit kontrastierend gegenüberstellt.
Berliner Staatskapelle/Konzert 5.7.2025/Wolfram Brandl/Fotocredits: Andreas Labes
Mit einem geheimnisvoll-düsteren Tremolo in den tiefen Streichern beginnt die von Hugos Ode Ce qu’ond entend sur la montagne inspirierte Berg-Symphonie, 1850 in Weimar uraufgeführt, die Liszt mit ihrer philosophischen Gedankenwelt faszinierte. Zwar gepriesen mit feierlichem Gotteslob sieht sich die Natur mit einer Menschheit in ihrem Elend konfrontiert, bestimmt von Schmerzen und Flüchen. Ein bisschen faustisch kommt einem das vor: Feierliche, altehrwürdige Posaunenchöre, die an Bruckner oder Wagner erinnern, prallen auf mephistophelisches Dräuen. Und mittendrin tut sich eine paradiesische Idylle auf, ein magisches, zartes, lebensfrohes Violinsolo, wunderbar filigran musiziert von Konzertmeister Wolfram Brandl, das mit leicht zuckrigem Glitzern aus einer sehr ähnlichen klangalchemistischen Küche stammt wie einige Wendungen in Strauss‘ Liedern und Opern (Rosenkavalier, Capriccio).
Die zweite sinfonische Dichtung Tasso, Lamento e Trionfo, ursprünglich als Ouvertüre zu Goethes Schauspiel Torquato Tasso gedacht, zu Beginn etwas spröder, entfaltet seinen Reiz seitens der Wechsel von großen melodischen Unisoni und vielfachen aparten Bläsersoli. Nicht nur die üblichen Holzbläser Klarinette, Oboe und Flöte wurden da reich vom Komponisten mit einfallsreichen, beredten Soli bedacht, sondern auch Bassklarinette, Fagotte und Trompete haben einen besonderen Aufritt.
Und Thielemann? Er lebt beim Musizieren mit seinem neuen Orchester sichtlich glücklich auf, dynamisiert aufs Feinste, fährt seine sensiblen Antennen aus, sorgt dafür, dass jeder Solist und jede Solistin bestens hervortreten kann, lässt es aber auch ordentlich krachen, wo es die Musik einfordert. Den hoch motivierten Musikerinnen und Musikern steht ihre Dankbarkeit, sich mit ihrem neuen Chef auf diese Entdeckungsreise begeben zu dürfen, ebenfalls ins Gesicht geschrieben. Alle bis hin zu Harfen und Pauke sind mit Feuereifer dabei. Es ist ein herrliches Geben und Nehmen. Er und die Kapelle seien aus einem Holz geschnitzt, hatte Thielemann nach seiner Ernennung zum Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper gesagt. Und das bestätigte sich an diesem Abend einmal mehr.
Das kraftvolle Finale der zweiten Dichtung erinnert mit seinem heroischen Einschlag an Liszts Orchesterstück Les Préludes, das wohl nur deshalb ungleich bekannter ist, weil die Nationalsozialisten es für ihre Siegesmeldungen missbrauchten, was aber die sogkräftige Musik nicht schmälert. Hierfür ein neues Hörverständnis zu wecken, ist wahrlich eine Pioniertat! Jedenfalls half dieser echte Rausschmeißer auf elektrisierende Weise hinweg über all die an diesem Abend angestaute Nachdenklichkeit angesichts der leidenden, zerstörerischen Menschheit. Und entließ das Publikum mit dem ermutigenden Gedanken, dass sich die Natur mit starker Willenskraft vielleicht doch noch retten lässt. Großer Jubel.
- Rezension von Kirsten Liese / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Staatskapelle Berlin
- Titelfoto: Staatskapelle Berlin/Konzert 5.7.2025/C. Thielemann, E. Morley /Fotocredits: Andreas Labes
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