Die größte Herausforderung für die russische wissenschaftliche Raumfahrt sind momentan die westlichen Sanktionen, die den Zugang zu Schlüsseltechnologien und internationalen Projekten erschweren. „Die Zusammenarbeit mit Europa war für beide Seiten vorteilhaft“, sagt Dr. Dmitry Payson, ehemaliger Direktor des analytischen Zentrums der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und Mitglied der Internationalen Akademie für Astronautik (IAA).

„Russland lieferte Trägerraketen, integrierte eigene Technik in europäische Raumsonden und erhielt im Gegenzug einen erheblichen Anteil an Beobachtungszeit für Teleskope. So entstanden Projekte wie ‚Integral‘ oder ‚Mars Express‘. Der deutsche Röntgenteleskop-Sensor wurde in die russische Raumsonde ‚Spektr-RG‘ integriert. Nun sind solche Kooperationen eingefroren. Der Rückzug westlicher Unternehmen erschwert den Zugang zu moderner Elektronik, was zu steigenden Kosten und längeren Entwicklungszeiten führt“, so Payson.

Was wird aus der Internationalen Raumstation?

Auch in der bemannten Raumfahrt spielte internationale Zusammenarbeit mit dem Westen seit der Gründung von Roskosmos im Jahr 1992 eine zentrale Rolle. Das wichtigste Kooperationsprojekt in diesem Bereich war die Internationale Raumstation ISS. Die in Russland entwickelten Module bildeten Ende 1998 den Grundstein dafür, während die russischen Sojus- und Progress-Raumschiffe über Jahrzehnte hinweg Besatzungen und Fracht zur ISS transportierten.

Doch nach Beginn des Ukraine-Krieges wurde die russische Raumfahrt zur Geisel der geopolitischen Lage. Im Sommer 2022 kündigte der damalige Roskosmos-Chef Juri Borissow an, dass Russland das ISS-Projekt nach 2024 verlassen werde. Bis 2032 ist die Errichtung einer eigenen russischen Raumstation (ROS) geplant. Payson bezweifelt jedoch, dass dieses ehrgeizige Vorhaben, dessen Kosten auf mindestens 600 Milliarden Rubel (rund 6,4 Milliarden Euro) geschätzt werden, umsetzbar ist.

„In der westlichen Raumfahrt geht der Trend zu kleineren, privat finanzierten Orbitalstationen. Staatliche Raumfahrtbehörden wie die NASA oder die Chinesen blicken eher in Richtung Mond oder Mars. Vielleicht gelingt es Russland, eine eigene, aus zwei bis drei Modulen bestehende Station zusammenzubauen, doch der wissenschaftliche und praktische Nutzen eines solchen Projekts ist fraglich“, so Dr. Dmitry Payson im Gespräch mit dem MDR.

Der Wissenschaftler geht davon aus, dass Russland die ISS bis Ende der 2020er Jahre noch unterstützen wird – insbesondere, wenn der Weltraum zu einem Bereich der Annäherung mit den USA werden soll. Allerdings, so Payson, wird die ISS technisch veralten, und in den kommenden Jahren werden sich alle Teilnehmer aus dem Projekt zurückziehen.

Verluste bei kommerzieller Raumfahrt

Auch im kommerziellen Startmarkt hat Russland massiv an Boden verloren. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde Russland zum Vorreiter des Weltraumtourismus, als es 2001 mit Dennis Tito den ersten Weltraumtouristen in die Umlaufbahn brachte. Außerdem verdiente Roskosmos an der Beförderung von NASA-Gütern und amerikanischen Astronauten zur ISS, denn nach dem Aus der US-Space-Shuttles war Russland das einzige Land, das Menschen zur Raumstation und wieder zurück zur Erde bringen konnte.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Der Abbruch der internationalen Kooperation fiel mit dem Aufstieg von SpaceX zusammen, das alle wichtigen Konkurrenten vom Markt drängte. Seit 2020 transportieren Dragon-Raumschiffe von SpaceX Besatzungen, Fracht und Weltraumtouristen zur ISS – ein Bereich, in dem Russland einst Monopolist war.

In Russland wird unterdessen an den Trägerraketen der neuen Generation „Sojus-5“ und „Amur-SPG“ gearbeitet. Technisch sei das machbar, doch die wirtschaftlichen Aussichten seien unklar, meint der russische Raumfahrtexperte Dr. Payson. „Der Erfolg von SpaceX beruht auf modernen Fertigungstechnologien und der massiven Unterstützung durch Staat und Privatwirtschaft. Der russische Binnenmarkt für neue Raketen ist begrenzt, und ein Einstieg in den internationalen Markt ist derzeit nicht in Sicht.“