Kontext

Stand: 08.07.2025 09:08 Uhr

In Fake-Videos und auf falschen Nachrichtenseiten werden immer wieder Falschbehauptungen über westliche Politiker verbreitet – auch über Kanzler Merz, der angeblich Eisbären getötet hat. Die Spur führt nach Russland.


Carla Reveland


Pascal Siggelkow, SWR

„Fake oder wirklich wahr?!“, schreibt Alina Lipp, eine Influencerin, die prorussische Propaganda verbreitet, auf der Plattform X. Dazu teilt sie ein Video, das vom „Toronto Journal“ stammen soll und angeblich zeigt, dass Bundeskanzler Friedrich Merz vorgeworfen werde, eine Robbe sowie zwei Eisbärenjunge und dessen Mutter getötet zu haben.

Doch nichts davon ist echt: Die Inhalte sind frei erfunden, die Bilder KI-generiert und die Quelle ein gefälschtes Nachrichtenportal. Tatsächlich handelt es sich wohl um eine gezielte Desinformationskampagne, die Experten zufolge aus Russland kommt.

Video zeigt gefälschte Aufnahmen

In dem Video ist ein Nachrichtenbeitrag in englischer Sprache zu sehen, der darauf eingeht, dass Merz bei einer angeblichen privaten Jagd in der kanadischen Arktis zunächst Robben, dann eine Eisbärenmutter samt ihrer beiden Jungtiere illegal erschossen haben soll. Es wird ein Bild von Merz mit einem Gewehr und einer toten Robbe gezeigt, ebenso wie Aufnahmen eines toten Eisbären und eines Eisbärenjungtiers.

Die von Alina Lipp auf X verbreitete Geschichte, Merz habe Robben und Eisbären getötet, ist falsch und Teil einer russischen Desinformationskampagne.

Augenzeugen hätten dies als „sinnloses Massaker“ bezeichnet, sagt der Nachrichtensprecher. Auch ein vermeintlicher Anwohner kommt zu Wort, der den Vorfall bestätigt und sagt: „Er kam hierher und brach unsere Gesetze. Was er getan hat, ist nicht nur illegal – es ist ein Verstoß gegen alles, woran wir glauben.“ Das Umweltministerium des kanadischen Ortes erwäge eine Untersuchung gegen Merz einzuleiten, heißt es abschließend in dem Bericht.

Bei genauerer Prüfung, wie etwa einer Bilderrückwärtssuche einzelner Videoausschnitte, lässt sich feststellen, dass die Aufnahmen nicht authentisch sind. Auch das Bundesministerium des Innern (BMI) teilt auf Anfrage mit: „Wir haben das Video zur Kenntnis genommen. Die Vorwürfe im Video sind frei erfunden und entsprechen nicht der Wahrheit.“

Gefälschte Nachrichtenseite

Die Seite, von der das Video stammt, ist in Wahrheit kein seriöses kanadisches Onlinemedium. Bei genauerem Hinschauen wird deutlich, dass es sich nicht um eine etablierte Nachrichtenwebsite handelt. So stammt die älteste Meldung auf der Seite vom 15. Juni 2025. Wie „t-online“ berichtet, liegt die Website offenbar auf einem Server in Malaysia und wurde erst Mitte Juni eingerichtet.

Bei einem Klick auf den Reiter für Weltnachrichten wird keine einzige Nachricht angezeigt. Es gibt zudem kein Impressum. Die vermeintlichen Autorinnen und Autoren sind von einer real existierenden Nachrichtenseiten geklaut, ebenso wie mehrere Artikel.

Die angebliche Nachrichtenseite „Toronto Journal“ existiert ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass Merz Robben und Eisbären auf der Jagd erschossen habe.

Klare Anzeichen einer prorussischen Kampagne

„Die Machart von Video und Nachrichtenseite weisen klare Anzeichen auf, Teil der Desinformationkampagne des russischen Desinformationsakteurs ‚Storm-1516‘ zu sein“, sagt Julia Smirnova, Senior Researcherin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS).

Typisch für „Storm-1516“ seien relativ aufwendige Desinformationsnarrative, für die Nachrichtenseiten, Dokumente und Videos gefälscht werden. „Um die Narrative glaubwürdig erscheinen zu lassen, werden in den Videos häufig Augenzeugen erfunden, die mithilfe von KI-manipuliertem Bildmaterial dargestellt oder von Schauspielern inszeniert werden.“

Außerdem würden diese Lügengeschichten in Form von Artikeln auf Websites erfundener Medien platziert werden, wie in diesem Fall auf der fiktiven Nachrichtenseite des „Toronto Journal“, so Smirnova. Auch das Rechercheprojekt Gnida ordnet das gefälschte Video und den falschen Artikel „Storm-1516“ zu.

Verbindungen zum russischen Geheimdienst

„Storm-1516“ ist bereits mindestens seit dem Jahr 2023 aktiv und hat Recherchen zufolge Verbindungen zu russischen Geheimdiensten, der russischen Organisation Foundation to Battle Injustice (R-FBI) sowie dem US-Amerikaner und ehemaligen Hilfssheriff John Mark Dougan.

Dougan, der in Russland politisches Asyl erhalten hatte, fiel bereits häufiger damit auf, aktiv an russischen Desinformationskampagnen beteiligt gewesen zu sein.

Ähnliche Erzählung über Harris

Vor der Wahl in den USA im vergangenen Jahr gab es ebenfalls Berichte über manipulierte und gefälschte Videos der Gruppe – mit ähnlichem Narrativ. So wurde unter anderem ein Fake-Video verbreitet mit der Behauptung, die damalige Spitzenkandidaten der Demokraten, Kamala Harris, habe in Sambia ein seltenes Nashorn erschossen. Auch damals führten die Spuren laut Gnida nach Russland.

„Mit solchen Geschichten sollen demokratische Politikerinnen diskreditiert werden als Teil einer Elite, die sich über das Gesetz hinwegsetzt“, sagt Smirnova. „Durch die Bilder und Videos wird versucht, die Politiker mit solchen Taten in Verbindung zu bringen und Angst, Ekel und Empörung auszulösen.“

Merz schon öfter im Visier von „Storm-1516“

Es ist nicht das erste Mal, dass aufwändig produzierte Desinformation über Merz verbreitet wird. Im Februar wurden falsche Artikel und Videos veröffentlicht, in denen Merz als psychisch krank dargestellt wurde. Auch hier wird „Storm-1516“ hinter der Kampagne vermutet. In den Fake-Berichten hieß es unter anderem, dass Merz im Jahr 2017 einen Suizid-Versuch unternommen hätte. Als vermeintliche Belege dienen ein Foto seiner Krankenakte und ein Bild, das Merz mit Bandagen an den Handgelenken im Rollstuhl zeigt – beides gefälscht.

„Die Bundesregierung beobachtet seit der Vereidigung ein grundsätzlich starkes Aufkommen von Posts zu Bundeskanzler Merz“, schreibt ein Sprecher der Bundesinnenministeriums auf Anfrage. „Ebenso ist festzustellen, dass sich der Ton im Vergleich zur letzten Legislaturperiode verschärft hat. Wir nehmen dabei sowohl Desinformation als auch persönliche Diskreditierung und Propaganda auf vielen Kanälen wahr.“

Vor der Bundestagswahl machten deutsche Sicherheitsbehörden „Storm-1516“ darüber hinaus für mehrere Fake-Videos verantwortlich, die vermeintliche Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl belegen sollten.

„Die Bundesregierung nimmt die Bedrohung durch Desinformation sehr ernst und tritt ihr entschlossen entgegen“, so der Sprecher des BMI weiter. Fremde Staaten, insbesondere Russland, versuchten mittels Desinformation und Propaganda, das Vertrauen der Bevölkerung in unser demokratisches System und seine Institutionen zu untergraben.

Verbreitung läuft über pro-russische Influencer

Die Verbreitung der von „Storm-1516“ erfundenen Desinformationsnarrative läuft primär über die Social-Media-Kanäle prorussischer Influencer. Die Inhalte werden dort auf Englisch, Französisch oder Deutsch verbreitet und die bereits bestehende Reichweite der Accounts genutzt. Einige der Videos von „Storm-1516“ wurden millionenfach gesehen.

Die aktuelle Geschichte über den Eisbären mordenden Merz wurde von deutschen und englischen Accounts verbreitet, was laut Smirnova dafür spreche, dass das primäre Zielpublikum außerhalb Russlands liege.

Alina Lipp ist eine reichweitenstarke prorussische Mulitplikatorin für den deutschsprachigen Raum. Sie teilte schon mehrmals Inhalte in den sozialen Netzwerken, die mutmaßlich auf „Storm-1516“ zurückzuführen sind. So verbreitete sie Mitte Dezember den Artikel einer Fake-Website, in dem es heißt, dass Deutschland ein neues Migrationsabkommen mit Kenia unterzeichnet hätte und den „Import“ von 1,9 Millionen Arbeitskräften aus Kenia plane.

„Lipp ist eine der bekanntesten prorussischen Influencerinnen im deutschen Ökosystem, und sie verbreitet regelmäßig Falschbehauptungen oder propagandistische Narrative“, sagt Smirnova. Lipp stelle sich selbst als eine unabhängige Journalistin dar. „Aber in Wirklichkeit sind mehrere Fälle dokumentiert, in denen sie klare Falschinformationen verbreitet hat.“

Eine von mehreren russischen Desinformationskampagnen

Die Desinformationskampagnen von „Storm-1516“ sind nicht die einzigen, die dem Kreml zugeschrieben werden. In der Vergangenheit sorgte auch immer wieder die sogenannte Doppelgängerkampagne für Aufsehen.

Diese läuft bereits seit mehreren Jahren und versucht stetig, die Narrative des Kremls in den sozialen Netzwerken zu verbreiten – getarnt als vermeintliche Beiträge von privaten Nutzern.