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Diktatoren wie Wladimir Putin und Co. gelten als stark und übermächtig. Doch der Blick hinter die Kulissen verrät etwas anderes, analysiert der Politologe Marcel Dirsus.
Weltweit steht die liberale Demokratie unter Druck, ein neues Zeitalter der Autokratie und Diktatur wird befürchtet. Doch Diktatoren sind schwächer, als oft angenommen wird, und Demokratien stärker, als ihre Feinde behaupten. Das sagt Marcel Dirsus, Politologe und Autor des Buches „Wie Diktatoren stürzen“.
t-online: Herr Dirsus, Diktatoren gelten als nahezu allmächtig. Trifft diese Einschätzung zu?
Marcel Dirsus: Tatsächlich liegt der Gedanke nahe, dass Diktatoren über eine Art Allmacht verfügen. Sie leben im Reichtum, verfügen meist über protzige Villen, luxuriöse Autos und eine einschüchternde Leibgarde, ihre Gegner können sie mit einem Fingerschnipsen verschwinden lassen. In Wirklichkeit führen sie aber ein Leben in Angst, sie sind geradezu dazu verdammt: Die Unsicherheit bestimmt ihre Existenz.
Weil jedes Zeichen der Schwäche unweigerlich zum Sturz des Tyrannen führen könnte?
Diktatoren werden von der Angst geplagt, alles zu verlieren – und zwar von einem Moment auf den anderen. Diese Angst vergeht auch niemals, denn kleinste Fehler könnten sich rächen. Zwar verfügen Diktatoren über größere Entscheidungsspielräume als die Anführer demokratischer Staaten, aber dafür zahlen sie einen Preis: Während man in funktionsfähigen Demokratien die Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung benötigt, um die Macht zu erringen und zu behalten, sind es in einem diktatorischen System weit weniger Leute, auf die es ankommt. Diese Menschen müssen dann allerdings zwangsläufig bei Laune gehalten werden.
Marcel Dirsus, geboren 1990, ist promovierter Politikwissenschaftler. Derzeit ist Dirsus Non-Resident Fellow am Institut für Sicherheitspolitik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und berät zudem Regierungen, Stiftungen und internationale Organisationen wie Nato und OECD. Dirsus ist Experte für politische Gewalt und irreguläre Regierungswechsel, im Februar 2025 erschien sein Buch „Wie Diktatoren stürzen – und wie Demokraten siegen können„.
Wie steht es in dieser Hinsicht mit Nordkorea, das eine prominente Rolle in Ihrem Buch „Wie Diktatoren stürzen“ spielt?
Nordkorea ist ein gutes Beispiel. Dort braucht der Diktator Kim Jong Un nur die Unterstützung von vielleicht 100 oder 200 Familien, um an der Macht zu bleiben. Tatsächlich hat sich in diesem Land mit den Kims eine regelrechte Dynastie von Diktatoren etabliert, bestehend aus drei Männern: Vater, Sohn und Enkel. Das ist einerseits von Vorteil, kann sich aber eben auch schnell zum Gegenteil wenden: Wenn jemand wie Kim Jong Un oder auch Wladimir Putin nur die Unterstützung einiger weniger verliert, kann seine Macht schnell wackeln.
Im Gegensatz zur Abwahl eines demokratischen Politikers drohen gestürzten Diktatoren allerdings härtere Konsequenzen?
Gestürzte Diktatoren landen oft im Gefängnis, im Exil oder durchaus auch im Grab. Derartige Schicksale haben mehr als zwei Drittel der personalistischen Diktatoren erlitten, wie Untersuchungen zeigen. Wer seine Macht verliert, verliert oft also auch seine Freiheit oder sogar sein Leben.
Nun werden Begriffe wie Diktator, Autokrat und Tyrann inflationär verwendet. Was macht einen Diktator zum Diktator?
Mich interessieren politische Systeme, in denen Machthaber nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung brauchen, um an der Macht zu bleiben. Der Machthaber kann König, Präsident oder eben der Chef einer Militärjunta sein, da gibt es ganz unterschiedliche Formen. Keine Diktatur ist wie die andere: Turkmenistan ist weder Nordkorea noch Russland. Russland ist nicht China. Aber dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten, die sich aus der Struktur der Regime und entsprechenden Anreizen ergeben.
Kein Diktator herrscht allerdings unumschränkt, er ist – wie Sie sagten – auf die Unterstützung bestimmter Kreise angewiesen: Wie hält er diese Leute im Zaum? Mit Zuckerbrot und Peitsche?
Es gibt verschiedenste Wege, um an der Macht zu bleiben. Idi Amin in Uganda war ungeheuer brutal, andere Diktatoren waren wiederum sehr gut darin, ihre Gegner auszumanövrieren. Josef Stalin war in beiden Disziplinen teuflisch versiert. Worauf will ich hinaus? Bei der Beschäftigung mit Diktatoren stellt sich schnell heraus, dass es ganz unterschiedliche Charaktere gibt: Adolf Hitler war für seine cholerischen Anfälle berüchtigt, Pol Pot zeigte kaum eine Gefühlsregung. Langfristig „erfolgreiche“ Diktatoren müssen gefürchtet sein, aber exorbitante Repression ist immer risikoreich.