Die Liste ungewöhnlicher Todesfälle in Russland wird immer länger: Oligarchen, Manager und Politiker werden tot aufgefunden. Viele von ihnen haben Verbindungen zum Öl- und Gassektor.

Die Serie ist rätselhaft. Russische Geschäftsleute und Politiker kommen unter ungewöhnlichen Umständen ums Leben. Die jüngsten Fälle: Der Vizechef des russischen Ölkonzerns Transneft, Andrej Badalow stirbt nach dem Sturz aus einem Fenster. Seine Leiche wurde offiziellen Angaben zufolge vor dem Haus in der Villensiedlung Rubljowka in der Nähe Moskaus gefunden. Verkehrsminister Roman Starowoit wurde wenige Stunden nach seiner Entlassung mit einer Schusswunde in der Schläfe nahe seinem Wohnort gefunden. Als vorläufige Todesursache gilt in beiden Fällen Suizid.

Seit Anfang 2022 sind in Russland zahlreiche Menschen gestorben, die Verbindungen zum lukrativen Rohstoffsektor haben. Auch wenn es in keinem der Fälle Beweise für Fremdverschulden gibt, sind die Parallelen und die Häufung auffällig.

Die Serie begann im Januar 2022 mit Leonid Schulman. Er war der Logistik-Chef des Energie-Giganten Gazprom und wurde in seinem Badezimmer nahe Sankt Petersburg tot aufgefunden. Später soll sich ein weiterer hochrangiger Gazprom-Manager erhängt haben. Es starben unter anderem auch ein ehemaliger Vizechef der Gazprom-Bank und ein Ex-Manager von Novatek, des größten privaten Gasförderers Russlands. Beide sollen zunächst ihre Frau und Kinder und anschließend sich selbst getötet haben.

Im Herbst kam der Vorstandschef des russischen Ölgiganten Lukoil, Rawil Maganow, offiziellen Angaben zufolge durch einen Sturz aus einem Krankenhausfenster ums Leben. Ein ehemaliger Vorstandskollege Maganows war vorher gestorben – laut russischen Medienberichten bei einem bizarren Ritual. Er soll ein Schamanen-Paar nach übermäßigem Alkoholkonsum besucht haben, um sich kurieren zu lassen. Doch die Behandlung ging angeblich schief. Erst hätte das Schamanen-Paar die Haut des Patienten eingeschnitten und Krötengift in die Wunden geträufelt. Nach der Beschwörung von Geistern, der Opferung von Tieren und einem Bad in Hahnenblut habe sich Subbotin plötzlich unwohl gefühlt. Statt einen Rettungswagen zu rufen, hätten die Schamanen den Milliardär im Keller zur Ruhe gelegt, wo sie ihn wenig später tot aufgefunden hätten.

Über Bord gegangen

Im selben Jahr verunglückte auch ein Manager des russischen Ski-Resorts Krasnaja Poljana, das von Gazprom betrieben wird. Er stürzte den Ermittlern zufolge bei einer Wanderung von einer Klippe in den Tod. Ebenfalls ums Leben kam der Geschäftsführer eines Unternehmens, das für den Kreml arktische Bodenschätze Russlands erschließen sollte. Er fiel russischen Medienberichten zufolge nachts von einer Privatjacht nahe Wladiwostok ins Meer. Seine Leiche wurde im Japanischen Meer gefunden. Vorher war sein Amtsvorgänger im Alter von 43 Jahren gestorben. Als offizielle Todesursache gilt ein Schlaganfall.

In den Jahren darauf starb unter anderem der einflussreiche Geschäftsmann Dmitri Pawochka durch ein Feuer in seiner Wohnung – er war offiziellen Angaben mit brennender Zigarette eingeschlafen. Die Vize-Chefin der russischen Loko-Bank kam nach einem Fenstersturz ums Leben. Ölmagnat Wjatscheslaw Rovneiko wurde „bewusstlos“ in seinem Anwesen bei Moskau gefunden. Vitali Robertus, Vize-Präsident von Lukoil, wurde in seinem Büro tot aufgefunden.

Über den Hintergrund der zahlreichen Todesfälle kann nur spekuliert werden. Einige können persönliche Tragödien sein, andere politische Motive haben. Wieder andere könnten mit Schulden oder Geschäftsrivalitäten zusammenhängen.

Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow vergleicht Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem Paten aus Mafia-Romanen. Nach dieser Lesart streiten zahlreiche rivalisierende Gruppierungen um ihren Anteil am Profit aus den immensen Rohstoffvorkommen des Riesenreichs – mit den Methoden der organisierten Kriminalität. Zu dieser Struktur gehören ehemalige oder aktive Angehörige der Geheimdienste, des Militärs und der Sicherheitskräfte. Von Oligarchen oder dem Staat kontrollierte Rohstoff-Unternehmen stehen im Zentrum der kollektiven Bereicherung.

„Kuchen kleiner geworden“

Der britische Geschäftsmann Bill Browder sieht die nach dem Angriffskrieg in der Ukraine verhängten Sanktionen als eine Ursache. Browder war mit seiner Firma Hermitage Capital zeitweise der größte ausländische Investor in Russland und ist mittlerweile bekennender Gegner des Kremls. Sein Anwalt Sergej Magnitski, der mutmaßlichen Betrug von Beamten aufgedeckt hatte, starb 2009 nach Misshandlungen in russischer U-Haft.

„Es sieht so aus, als sei der Kuchen kleiner geworden“, so Browder. „Jetzt gibt es einen Haufen Leute, die über geschrumpfte Mengen Geld streiten. Und immer, wenn es zugleich begrenzte Ressourcen und sehr mächtige Leute gibt, beginnen Leute zu sterben.“