Im Viertelfinale ist das deutsche Tennis-Märchen vorbei: Obwohl Laura Siegemund auch gegen Aryna Sabalenka fulminant aufspielte, war die Nummer eins der Welt für sie Endstation in Wimbledon. Die Überraschung des Frauenturniers unterlag trotz Satzführung mit 6:4, 2:6, 4:6, das Erreichen des Viertelfinals und der dortige Auftritt dürfte sie aber mit Stolz wieder abreisen lassen.
Für Siegemund war es im Spätherbst – oder eher Winter – ihrer Karriere das größte Match, das sie je bestreiten durfte. Zwar hatte die 37-Jährige bereits 2020 bei den French Open ein Grand-Slam-Viertelfinale erreicht, aber mit einer Partie gegen die Nummer eins der Welt auf dem heiligen Rasen des Centre Courts in Wimbledon kann das nicht mithalten.
Wie Sabalenka hatte Siegemund im Vorfeld keinen Satz verloren, unter anderem Australian-Open-Champion Madison Keys besiegt. Entsprechend groß war der Respekt der Belarussin vor der Partie. „Besonders auf Gras kann ihr Spielstil sehr knifflig sein. Es ist nervig. Ich darf es nicht überstürzen und mich von ihrem Spiel frustrieren lassen“, sagte Sabalenka.
Siegemund legt fulminant los
Siegemund hatte für diese einmalige Chance auf die Möglichkeiten verzichtet, im Mixed und Doppel, wo sie Spezialistin ist, den Titel zu holen. Und das machte sich bezahlt. Siegemund gelang gleich im ersten Spiel das Break zum 1:0 – inklusive zwei toller Stopps, einem Passierschlag zum Breakball und Returnwinner zum Spielgewinn. Ein Traumstart für die deutsche Tennisspielerin.
Laura Siegemund feierte im größten Spiel ihrer Karriere den größten Triumph ihrer Karriere.
Und der ging weiter, mit ihrem Slice auf der Vor- und Rückhand, den kurzen Bällen, aber auch gut platzierten Grundlinienschlägen war Siegemund die deutlich bessere Spielerin. Sie hielt ihren Aufschlag, erspielte sich dann sofort zwei weitere Breakbälle und erhöhte erneut mit einem Returnwinner zum 3:0. Die Nummer eins der Welt war gegen die Nummer 104 der Welt zu dieser Zeit chancenlos.
Deutsche Wimbledon-Überraschung gewinnt den ersten Satz
Danach fand Sabalenka Antworten auf die unkonventionelle Spielweise ihrer Gegnerin, sie erkannte die Stopps früher und brachte Siegemund selbst ins Laufen. Die machte es ihr aber weiter schwer, kassierte zwar ein Rebreak, behauptete aber ein Break zum 4:2 mit einem weiteren starken Stoppball. Und dann schlug Siegemund wieder zu, ein weiteres Break brachte die Deutsche ganz nah an den ersten Satzgewinn.
Sie wackelte jedoch, verlor ihr Service und Sabalenka verkürzte auf 4:5 – mit einem starken Aufschlagspiel brachte Siegemund dann aber doch den ersten Durchgang ins Ziel. Nach 58 Minuten verwandelte sie ihren zweiten Satzball zum 6:4 und hatte die Hälfte der Strecke zur nächsten Sensation geschafft.
Aryna Sabalenka war gegen Laura Siegemund mehrfach sichtlich genervt.
Sabalenka findet wieder zu sich und zurück ins Spiel
Sabalenka war genau das, was sie nicht sein wollte: genervt vom Spiel ihrer Gegnerin. Sie nahm sich einen Moment, ging in die Kabine, um sich selbst für die Wende zu resetten. Und diese Maßnahme hatte eine Wirkung, Sabalenka ging schnell mit 2:0 in Führung – auch, weil Siegemund in dieser Phase deutlich mehr Fehler machte als im ersten Durchgang. Doch das legte sie sofort ab, nahm Sabalenka den Aufschlag wieder ab und glich dann zum 2:2 aus.
Die Belarussin profitierte dann davon, dass Siegemund bei ihrem nächsten Aufschlag bei 40:0 einen Doppelfehler machte und das Spiel tatsächlich noch zum 2:4 abgab. Die deutsche Wimbledon-Überraschung erspielte sich zwar noch eine Breakchance, den ersten Satzverlust im Turnierverlauf konnte sie aber nicht verhindern. Dabei spielte Siegemund weiter auf hohem Niveau, Sabalenka zeigte aber immer mehr ihre ganze Klasse und holte sich den zweiten Durchgang nach bereits 1:51 Stunden mit 6:2.
Siegemund lässt viele Chancen auf den Sieg liegen
Erneut verschwand Sabalenka danach in den Katakomben, dann entschloss sich auch Siegemund, das Innere des Stadions aufzusuchen – die Partie war rund neun Minuten unterbrochen. Und das führte dazu, dass sie wieder offener wurde. Siegemund spielte wieder sehr unangenehm für Sabalenka, der erneut viele Fehler aufgrund ihrer Ungeduld unterliefen – das führte zum ersten Break des entscheidenden Durchgangs zum 2:1.
Siegemund bestätigte bei eigenem Aufschlag, ließ dann aber Chancen liegen, die ihr zum Verhängnis wurden. Bei 0:15 unterliefen ihr zwei sehr einfache Fehler am Netz, statt drei weiterer Breakbälle gab es den Spielgewinn für Sabalenka zum 3:2. Es folgte ein Break, aber Siegemund bekam dank zwei haarsträubender Patzer ihrer Gegnerin wieder die Führung ermöglicht.
Doch ausgerechnet der Vorhand-Slice verließ sie in dieser Phase, drei Fehler mit diesem Schlag sorgten für den erneuten Ausgleich. Beim folgenden Spiel landeten zwei Siegemund-Vorhände im Netz, dazu gab es zwei Asse von Sabalenka, der so nur noch ein Spielgewinn zum Sieg fehlte. Und den schaffte sie sofort danach, weil Siegemund auch offensichtlich völlig entkräftet war. So endete nach 2:54 Stunden die unglaubliche Wimbledon-Reise für die 37-Jährige im Viertelfinale.
„Nach dem Sieg brauche ich einige Zeit, um wieder runterzukommen. Sie hat mich wirklich gefordert, ich bin sehr glücklich über diesen Sieg“, sagte Sabalenka. „Gegen Laura muss man wirklich um jeden Punkt kämpfen. Ich habe alles versucht, damit sie nicht sieht, dass ich genervt bin – auch, wenn ich das häufiger war.“