Behörden vermuten Sozialbetrug: In einem Wohnkomplex in Berlin-Mitte sind in den vergangenen Monaten mehr als 80 Anmeldungen eingegangen. Die gemeldeten Personen würden sich dort gar nicht aufhalten. Die Polizei ermittelt.
Parallel zum jahrelangen Streit um einen weitgehend leerstehenden Wohnblock in Berlin-Mitte ist das Bezirksamt gegen mutmaßlich betrügerische Wohnanmeldungen vorgegangen. Bei Stichproben und Prüfungen in dem Wohnkomplex in der Habersaathstraße sei festgestellt worden, dass an zwei Hausnummern in den vergangenen Monaten 82 Anmeldungen erfolgt seien, teilte Bezirksstadtrat Carsten Spallek (CDU) mit. Die angemeldeten Personen würden sich dort aber nicht aufhalten. Die „B.Z.“ hatte berichtet.
Die Bescheinigungen für die Anmeldungen seien meist angeblich von einer früheren Hausverwaltung ausgestellt worden. Die Verwaltung sei aber nicht mehr zuständig. „Es liegt die Vermutung nahe, dass die Wohnungsgeberbescheinigungen gefälscht sind“, teilte Spallek mit.
Bei den angemeldeten Menschen handele es sich fast ausschließlich um Personen mit osteuropäischer Staatsangehörigkeit. Sie seien teilweise mit einem Betreuer beziehungsweise Dolmetscher im Bürgeramt erschienen. Die mutmaßlich rechtswidrigen Anmeldungen seien der Polizei gemeldet worden. Es gehe um den Verdacht der Urkundenfälschung und des Verstoßes gegen das Meldegesetz. Die Anmeldungen seien gelöscht worden.
Auf die Frage, wie die Anmeldungen möglich sein konnten, antwortete Spallek bei WELT TV, dass die Wohnungsgeberbestätigungen, die man für eine Anmeldung braucht, vorgelegen hätten. Erst im Nachhinein sei aufgefallen, dass die Unterschriften und Stempel gefälscht waren. Ob von den angemeldeten Menschen bereits Anträge auf Bürgergeld oder andere Sozialleistungen vorliegen, könne man abschließend noch nicht sagen.
Wie „Bild“ berichtet, seien sie vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten auch mit einem Sperrvermerk versehen worden. Somit könne keine staatliche Unterstützung mehr beantragt werden. Spallek erklärte, in dem großen Haus mit Dutzenden Wohnungen lebten noch vier bis sechs Mietparteien mit gültigen alten Verträgen.
„Das gehört alles zusammen“, sagt Thilo Sarrazin
Die Möglichkeiten von Sozialbetrug in diesem Ausmaß könne nicht über Nacht entstehen, merkt Thilo Sarrazin bei WELT-TV an. Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Buchautor erinnert sich gut daran, wie im Jahr 2009 die ersten Roma-Großfamilien aus Rumänien und Bulgarien zugezogen sind. Damals habe die Politik die Augen vor möglichem Sozialbetrug geschlossen. „Was man eben nicht gesehen hat: dass große Familienverbände, die miteinander zusammenhängen, hier bei uns Vorposten geschaffen haben. Und von diesen Vorposten aus haben sie sich in unserem Sozialstaat komfortabel eingerichtet.“
Das sei nicht nur beim Wohnungsbetrug sichtbar, sondern auch bei Bettlern. „Die meisten Bettler in Berlin sind auch Teil von Roma-Großfamilien und werden regelmäßig von ihren Chefs abkassiert. Das gehört alles zusammen.“ Auf die Frage, warum die Behörden nicht stutzig würden, wenn auf einen Schlag dutzende Osteuropäer mit dubiosen Minijobverträgen erscheinen und direkt Bürgergeld zusätzlich beantragen, antwortet Sarrazin, dass Behörden maximal arbeitsteilig arbeiten würden. „Da werden dem Sachbearbeiter Anträge vorgelegt, bei dem bestimmte Anlagen vorgelegt werden müssen. Wenn die Anlagen alle da sind, macht der Sachbearbeiter überall sein Häkchen dran und dann wird der Antrag bewilligt.“ Zudem sei der deutsche Sozialstaat nicht darauf eingerichtet, mit Betrügern umzugehen, sondern mit Bürgern, die in der Regel in Not sind. „Diese Bürger haben ja auch ein Anrecht auf ein faires Verfahren mit einem Minimum an Bürokratie.“
Was aus Sarrazins Sicht in den Behörden fehlt, ist „eine vernünftige Dienst- und Fachaufsicht. Die Bezirksämter in Berlin machen im Wesentlichen ja ebenfalls Politik.“ Nur wenige Amtsleiter würden sich noch um Inhalte kümmern. „Da müsste jemand mit einem wachen Auge sitzen, der solchen Dingen auch nachgeht“, fordert Sarrazin. Weil die Amtsleiter aber auch persönlich Risiken eingehen würden, wenn sie das Thema Betrug ansprechen, würdenviele lieber wegschauen. „Das ist auch so in der Politik. Das habe ich selbst erlebt.“
Bezirk genehmigte Abriss für Gebäude
Die Eigentümerfirma will das Haus abreißen und einen Neubau errichten. Wegen Kündigungen von Mietern gab es Prozesse sowie Proteste und Demonstrationen linker Gruppen.
2024 erteilte der Bezirk eine Abrissgenehmigung. Die Eigentümerfirma verpflichtete sich im Gegenzug, Ersatzwohnungen zu schaffen. Ein konkreter Zeitplan dazu ist nicht bekannt.
dpa/jm/cvb/säd/saha