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Die alte Landesvertretung im Bonner Parlamentsviertel ist das neue Hauptquartier des Internationalen Paralympischen Komitees geworden.Die alte Landesvertretung im Bonner Parlamentsviertel ist das neue Hauptquartier des Internationalen Paralympischen Komitees geworden. © KKW-Architekten

Rund 40 Millionen Euro sollte ein Prestige-Bauprojekt des Landes NRW in Bonn kosten. Ein Architekturbüro aus Lüdenscheid bekam den Zuschlag für die Gestaltung.

Lüdenscheid – Kann man „barrierefrei“ steigern? Wenn, dann wohl am ehesten so: IPC-Headquarter. Denn das vor Kurzem festlich und mit großem Aufgebot an NRW-Prominenz eingeweihte Hauptquartier des International Paralympic Committee (IPC) sei, so hieß es zur Eröffnung, „das neue Zentrum der globalen paralympischen Bewegung“ und als solches ein „Meilenstein für Inklusion, Sport und internationale Zusammenarbeit“. Der Weg zum wohl „barrierefreiesten Bürogebäude Deutschlands“ führte über Lüdenscheid: Federführend bei der Umsetzung des ehrgeizigen 40-Millionen-Euro-Landesprojekts war das hiesige Architekturbüro Kaldewey + Wortmann, KKW Architekten, an der Gustav-Adolf-Straße.

Prestigeprojekt fürs Sportland NRW: Lüdenscheider Architekten gestalten paralympisches Zentrum

Auf dem Weg dahin gab es durchaus einige Barrieren zu überwinden. „Das war für uns schon aufwendig,“ räumt Thomas Kaldewey ein, „wesentlich aufwendiger, als wenn man den freien Strich hat.“ Denn es galt, neben allem anderen, ein denkmalgeschütztes Gebäude-Ensemble im Bestand umzubauen, das nicht nur als bedeutend für die Geschichte der Bundesrepublik eingestuft ist, sondern im Laufe der Zeit auch verschiedene Anbauten bekommen hat.

Ministerpräsident Hendrik Wüst und IPC-Präsident Andrew Parsons feierten die Eröffnung. Ministerpräsident Hendrik Wüst und IPC-Präsident Andrew Parsons feierten die Eröffnung. © Land NRW/Ralph Sondermann

Das wertzuschätzen, es zugleich inklusiv zu machen und mit modernen Funktionen auszustatten, war eine Herausforderung. Man stand zudem unter Zeitdruck, weshalb es wichtig war, Abläufe zu beschleunigen. So wurde daraus ein Lehrstück dafür, was alles geht, wenn alle wollen.

40-Millionen-Euro-Projekt: Sauerländer gewinnen europaweites Ausschreibungsverfahren

Für das Land NRW sei es das erste „Lean-Projekt“ gewesen – mit taktgesteuerter Planung der Bauschritte. So sei ein besonderes Teamgefühl zwischen Handwerkern, Bauherrn, Behörden und Architekten entstanden. „Das war spitze“, stellt der Lüdenscheider rückblickend fest. Man habe etwa Kaizen-Prozesse angewendet, die bislang vor allem aus der Autoindustrie bekannt seien, um mit kleinen Schritten große Veränderungen zu erzielen. Die Lüdenscheider waren ab der ersten Planungsphase mit zwei bis drei Mitarbeitern ständig vor Ort, installierten ein Baubüro, knieten sich in die Aufgabe. Vom ersten Entwurf bis zum Einzug vergingen nur drei Jahre.

Der neue Campus verfügt über ein vollständig barrierefreies Auditorium mit 170 Sitzplätzen. Zur Eröffnung Ende Juni waren 280 Gäste gekommen.Der neue Campus verfügt über ein vollständig barrierefreies Auditorium mit 170 Sitzplätzen. Zur Eröffnung Ende Juni waren 280 Gäste gekommen. © Land NRW/Ralph Sondermann

Zur Wahrheit gehöre aber auch, so Kaldewey, dass die ersten Planer an der Aufgabe gescheitert seien. Anderthalb Jahre verloren, Projekt resettet: Die Suche nach neuen Architekten begann, diesmal gewannen die Lüdenscheider das europaweite Architekten-Ausschreibungsverfahren gegen große Konkurrenz. „Das zeigt, dass man sich hinter den Metropolen nicht verstecken muss. Das Sauerland ist doch eine relativ kreative Ecke.“

Kreativität und Know-how, einschlägige Erfahrung mit barrierefreiem Bauen und Teamwork – damit ging man die Aufgabe also an. 1955 von dem Architekten Heinrich Bartmann erbaut, war der fragliche Komplex im Bonner Regierungsviertel lange Sitz der Landesvertretung NRW beim Bund und gilt somit als bedeutend für die Geschichte der Bundesrepublik, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Bonn. „Daher war es auch ein Denkmalpflegeprojekt“, sagt Thomas Kaldewey.

„War ziemlich komplex“: Umgestaltung stellte Architekten vor große Aufgaben

Alle Beteiligten hätten den historischen Wert der Räume gesehen, die zur jungen Demokratie der Nachkriegszeit gehörten, genutzt etwa vom langjährigen Ministerpräsidenten Johannes Rau. Auch dessen Büroräume seien nun restauriert und barrierefrei umgestaltet. Sie hätten jetzt, ausgestattet mit neuester Kommunikationstechnik, eine Doppelfunktion als Büro- und Empfangsräume des Präsidiums des IPC.

„Das alles“, sagt Kaldewey, „war ziemlich komplex.“ Beginnend mit dem Denkmalstatus: Das sei so weit gegangen, dass man den Bartmann-Nachfahren die Planung vorgestellt habe, um „den ordentlichen Umgang mit dem architektonischen Erbe“ zu erläutern. Zu diesem Erbe gehörten auch spätere Anbauten anderer Architekten. Ende der 60er-Jahre erweiterte der „Betonfertigbau-Papst“ Günter Marschall das Haus, Anfang der 90er-Jahre entstanden unter anderer Regie noch Übernachtungsmöglichkeiten. „Und dann kamen wir. Jetzt sind es alles Büros.“

Das neue Hauptquartier des Internationalen Paralympischen Komitees liegt mitten im Bonner Regierungsviertel. Das neue Hauptquartier des Internationalen Paralympischen Komitees liegt mitten im Bonner Regierungsviertel. © KKW-Architekten

Das hört sich im Ergebnis schlichter an als es ist. Erst einmal holten die Lüdenscheider noch einen Barrierefrei-Planer mit ins Boot. Man kannte sich, hatte gemeinsam schon das Besucherzentrum Petersberg gestaltet. „Es ist eine Investition“, räumt er ein. Aber am Ende habe man super Sparringspartner gehabt: „Alle hatten richtig Lust.“

Barrierefreier Bürokomplex: Viele Maßnahmen in neuem IPC-Hauptquartier

Um den Bürokomplex barrierefrei zu gestalten, mussten die Türen verbreitert und automatische Türen vorgesehen, Rampen angelegt, sechs Aufzüge eingebaut werden. Ein taktiles Leitsystem wurde entwickelt. Dazu kam die Schadstoffentsorgung, der Brandschutz, Evakuierungskonzepte für Menschen in Rollstühlen. Die Bestandsgebäude wurden energetisch saniert, erfüllen nun den Standard für energieeffiziente Häuser. Barrierefreiheit kennzeichnet das Auditorium mit seinen 170 Sitzplätzen sowie die 157 Arbeitsplätze, die Teeküchen und Toiletten auf jeder Etage. Zudem ließ man ein, für die Öffentlichkeit nutzbares, „WC für alle“ einbauen – mit Duschliege und anderen Hilfen.

Diese Liste ergänzt das Land nicht ohne Stolz: „Zudem bietet das Gebäude als erstes in Deutschland eine Indoor-Navigation per Smartphone-App an.“ Vielleicht noch entscheidender: Das Bauensemble aus mehreren Jahrzehnten ist nun in allen Nutzungsbereichen, bis in die Keller und Technikräume, barrierefrei. Auch ein Hausmeister im Rollstuhl käme so überall hin.

Und doch stellt Thomas Kaldewey fest: „Das barrierefreie Bauen hat auch seine Grenzen.“ Man könne nicht alles für alle lösen: „Es geht darum, die größte Schnittmenge zu finden.“ Zu einem umfassenden inklusiven Konzept gehört aber auch, dass durch notwendige Vereinfachungen keine unnötigen Behinderungen entstehen – auch nicht für Menschen ohne Handicap. Es sei eine gute Erfahrung gewesen, findet der Architekt, zu sehen, dass sich auch barrierefreie Planung vereinfachen lasse: „Es gibt kreative Spielräume.“

Olympia-Bewerbung: Land Nordrhein-Westfalen fühlt sich gewappnet

So habe man an einer Stelle auf einen sperrigen Handlauf verzichten können und eine Rampenlösung für alle gefunden. „Dieses Projekt hat uns nochmal eine Stufe weitergebracht“, stellt er daher zufrieden fest. Aus dem Bestand heraus alternative Lösungen zu entwickeln, sei eine spannende Aufgabe gewesen. Zumal man sich auch mit internationalen Anforderungen auseinandersetzen musste und dabei gesehen habe: „Barrierefrei hier wird nicht unbedingt auch international barrierefrei gesehen.“ Als Beispiel nennt er E-Rollstühle, die in den USA in Summe breiter seien als die hier erhältlichen. Das IPC hat eine internationale Belegschaft mit rund 130 Mitarbeitern aus fast 50 Ländern, darunter 16 Prozent Menschen mit Behinderung.

Mit diesem Vorzeigeobjekt fühlt sich das Land jedenfalls bestens gewappnet für ein ehrgeiziges Ziel: eine Olympiabewerbung der Region Rhein-Ruhr. Einziger Wermutstropfen für Thomas Kaldewey: Bei der Einweihung war er krank. „Das war total bitter. Das wäre noch eine schöne Marke gewesen.“

Auch in Lüdenscheid ist das Architekturbüro KKW zuletzt an mehreren Bauprojekten beteiligt gewesen. Unter anderem erhielt das Kreishaus in der Bergstadt durch einen 22,1 Millionen Euro teuren Anbau im vergangenen Jahr neue, zusätzliche Räumlichkeiten. Und auch beim Umbau der Alten Post, die künftig als VHS-Standort dienen soll, wirkte das Architekturbüro mit.