Das VG Berlin leitet aus einer Aufnahmezusage den Anspruch auf ein Visum ab. Nach jahrelangem Streit soll BVerwG-Richter Carsten Günther Präsident des OVG NRW werden. Der IStGH hat Haftbefehle gegen Taliban-Führer beschlossen.
Thema des Tages
VG Berlin zu Aufnahme von Afghan:innen: Eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan erteilte Aufnahmezusage begründet einen Visumsanspruch. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren. Die Bundesregierung hatte erfolglos argumentiert, dass erst Teil 2 der Zusage – die behördliche Bestätigung, dass sämtliche Unterlagen vollständig sind und alle Sicherheitsprüfungen abgeschlossen wurden – zum Visumsanspruch führe. Dagegen erfüllt laut VG bereits Teil 1 der Zusage – die Mitteilung über die Aufnahme in das Programm – alle Voraussetzungen eines zusagenden Verwaltungsakts. Weil dieser im nun entschiedenen Fall weder aufgehoben noch sonst widerrufen wurde, müssen der beschwerdeführenden afghanischen Wissenschaftlerin und ihrer 13-köpfigen Familie die beantragten Visa erteilt werden. Die Familie hält sich derzeit in Pakistan auf. Es berichten SZ (Markus Balser), LTO (Joschka Buchholz/Max Kolter) und beck-aktuell. In der FAZ (Alexander Haneke/Matthias Wyssuwa) erklärt zudem der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, dass eine „Einzelfallentscheidung“ im Widerspruch zum „Willen der Wähler“ ergangen sei. .
In einem weiteren Beitrag erläutert die FAZ (Alexander Haneke/Matthias Wyssuwa) das Zustandekommen und die Entwicklung des Bundesaufnahmeprogramms. Nach Deutschland seien bislang rund 1.500 Personen gelangt, eine leicht geringere Anzahl von Zusageempfänger:innen befinde sich derzeit noch in Pakistan.
Die im Beschluss beschriebene Gefährdungslage des betroffenen Personenkreises greift Max Bauer (tagesschau.de) in einem Kommentar auf. Der Einsatz dieser Menschen „für westliche Interessen und Werte“ sei von Deutschland mit dem rechtsverbindlichen Versprechen belohnt, sie aus ihrer Lage zu befreien. Dass die Einhaltung dieser Zusage nun gerichtlich erzwungen werden musste, passe nicht zu der vom Bundeskanzler beschworenen „Law-and-Order-Politik“ und schade auch dem Rechtsstaat in Deutschland.
Rechtspolitik
BVerfG-Richterwahl: Die Wahl von drei neuen Verfassungsrichter:innen im Bundestag soll am Freitag stattfinden, obwohl der Kandidat der CDU/CSU, Günther Spinner, eventuell nur dank Stimmen aus der AfD die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erhält. Die CDU/CSU hofft, dass ihre Abgeordneten am Freitag vollständiger erscheinen als die Abgeordneten von AfD und Linken, so dass CDU/CSU, SPD und Grüne eine eigene Zwei-Drittel-Mehrheit für Spinner erreichen können. Wären alle Abgeordneten anwesend, fehlten jedoch sieben Stimmen zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Linke will nicht für Spinner stimmen, weil die CDU/CSU nicht mit ihr redet. Bei der Wahl der SPD-Kandidatinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Kathrin Kaufhold sorgt die Linke für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Statt Brosius-Gersdorf wird wohl Kaufhold Vizepräsidentin des BVerfG werden. Es berichten FAZ (Stephan Klenner/Matthias Wyssuwa), taz (Christian Rath/Anna Lehmann), FR (Ursula Knapp) und LTO.
Für Reinhard Müller (FAZ) entspricht die kritische Aufmerksamkeit, die Verfassungsrichter-Kandidaten erhalten, der Bedeutung des von ihnen angestrebten Amtes. Mit öffentlicher Kritik müssten diese umgehen können. Auch Wolfgang Janisch (SZ) hält es für „legitim und notwendig“, die „Eignung des Karlsruher Personals zu diskutieren.“ Werde das „System der Richterwahl“ zum Kampf um Sieg und Niederlage, verkomme das Gericht jedoch „zu einem parteipolitischen Player im politischen Geschäft“, wie der US-Supreme Court. Die vielbeschworene „Verantwortung der Demokraten“ könne sich am Freitag beweisen. Pascal Beucker (taz) kritisiert, dass die Union nicht mit der Linken redet, so dass Günter Spinner eventuell der erste Verfassungsrichter wird, der nur dank Unterstützung der AfD gewählt wird.
Die vor allem von der Union gegen die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf vorgebrachte Kritik fasst die FAZ (Stephan Klenner) zusammen. So habe sie in einem Festschriftbeitrag Menschenwürde und Lebensschutz als voneinander „rechtlich entkoppelt“ bezeichnet und sich hierbei auf ihren Doktorvater Horst Dreier bezogen. Dessen eigene Berufung an das Bundesverfassungsgericht sei an dieser Position gescheitert. Kontroverse Äußerungen seien zudem bei den Themen Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen, einer Frauenquote bei Wahlvorschlägen und einer Corona-Impfpflicht bekannt. Ein Beitrag im Feuilleton der FAZ (Martin Otto) schreibt über Brosius-Gersdorfs kritische Haltung zur klassischen Schulpflicht und ihre Akzeptanz des sogenannten Home-Schoolings.
Mietrecht/Schonfristzahlung: Das im Koalitionsvertrag vereinbarte und nun von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) vorangetriebene Vorhaben, die Schonfristzahlung ausdrücklich auch auf ordentliche Kündigungen von Mietverhältnissen auszuweiten, wird vom Interessenverband Haus & Grund kritisiert. Dessen Präsident erklärte dem Hbl (Heike Anger), dass es keine sozialen Gründe für die Regelung gebe, da hierzulande „eigentlich jeder zu jeder Zeit seine Wohnung bezahlen“ könne, da „Ämter“ einspringen würden.
In einem separaten Kommentar meint Heike Anger (Hbl), dass die Pläne der Ministerin vor allem private Vermieter träfen, die „die tragende Säule des deutschen Wohnungsmarkts“ seien. „Selbstblockaden“ und „immer neue Vorschriften und Auflagen“ führten letztlich zu einer Verknappung des Angebots.
K.O.-Tropfen: Ein vom Bundesrat eingebrachter Gesetzentwurf zur schärferen Bestrafung des Einsatzes sogenannter K.O.-Tropfen, wird von Bundesrechtsanwaltskammer und Deutschem Anwaltverein kritisiert. Ohne belastbare Fallzahldaten werde aufgrund öffentlichkeitswirksamer Einzelfälle einem „signalträchtigen Aktionismus“ gefolgt, statt rechtlicher Dimension und Dogmatik Rechnung zu tragen, wie sie etwa in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs im vergangenen Oktober erläutert wurden. LTO (Hasso Suliak) berichtet und prognostiziert, dass der Entwurf im Bundestag gleichwohl verabschiedet werde. In ersten Reaktionen hätten die Zuständigen der Regierungsfraktionen sowie der Grünen signalisiert, dass sie die Kritik nicht teilen.
Einschüchterungsklagen: Der Ende des vergangenen Monats vorgestellte Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zum effektiveren Umgang mit Einschüchterungsklagen (Slapp-Klagen) findet nicht die ungeteilte Zustimmung des wissenschaftlichen Mitarbeiters Johannes Maurer auf dem Verfassungsblog. So fehlten Regelungen über vorprozessuale Drohkulissen wie Abmahnungen. Auch sei der Ansatz fragwürdig, Klageparteien durch erhöhte finanzielle Risiken von Einschüchterungsklagen abzuhalten, weil für diese die wirtschaftlichen Folgen „faktisch irrelevant sind“.
Justiz
Präsidentenposten am OVG NRW: Die mehr als vierjährige Vakanz bei der Leitung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen hat aller Voraussicht nach ein Ende. Nach einem Kabinettsbeschluss der schwarz-grünen Landesregierung soll nun Carsten Günther, bislang Richter am Bundesverwaltungsgericht, nach Münster berufen werden. LTO (Tanja Podolski) und beck-aktuell berichten..
BGH – VW-Dieselskandal/Managerhaftung: Die FAZ (Marcus Jung) berichtet über die Verhandlung des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit von Vergleichen über die begrenzte persönliche Haftung von VW-Managern im Abgasskandal. Seine Entscheidung will der BGH am 30. September verkünden.
BGH zu Cum-Ex-Einziehung: Die vom Landgericht Wiesbaden im Mai 2023 im Strafurteil gegen Hanno Berger angeordnete Einziehung weitergeleiteter Taterträge ist rechtskräftig. Der Begünstigte hatte dies per Revision angefochten, die nun vom Bundesgerichtshof verworfen wurde. LTO berichtet.
OLG Dresden zu einfacher elektronischer Signatur: Eine Berufung der Staatsanwaltschaft ist auch dann wirksam erhoben, wenn die per EGVP übermittelte Berufungsschrift lediglich einfach elektronisch signiert wurde. Es reiche aus, wenn das Dokument mit dem Namen des Verfassenden abschließt, so ein von beck-aktuell berichteter Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom April.
OVG NRW zu Messerverbot: Ein individuelles Verbot des Mitführens von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen in der Öffentlichkeit findet in der polizeilichen Generalklausel eine hinreichende Rechtsgrundlage. Dies entschied – anders als die Vorinstanz – nun das Oberverwaltungsgericht Münster. LTO berichtet.
OVG NRW zu Warnhinweis einer Bibliothek: Am Oberverwaltungsgericht Münster erreichte der Autor eines verschwörungstheoretischen Buches die Feststellung, dass der von einer Bibliothek in seinem Werk angebrachte Warnhinweis seine Meinungsfreiheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Ohne Befugnisnorm im Kulturgesetzbuch NRW seien diese Eingriffe nicht gerechtfertigt, so der Beschluss laut beck-aktuell.
VGH BaWü zu Hundesteuer: Auch am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg blieben Hundehalter mit dem Versuch erfolglos, sich als Hundezüchter von der Hundesteuerpflicht befreien zu lassen. Die erforderliche gewerblich betriebene Hundezucht könne zwar grundsätzlich auch bei privater Haltung und dem Ausbleiben von finanziellen Gewinnen vorliegen. Die klagende Familie hätte aber zusätzlich auch ein schlüssiges Betriebskonzept vorlegen müssen. LTO berichtet.
LG Frankfurt/M. zu „Sommermärchen“ und Steuerhinterziehung: Der vor zwei Wochen vom Landgericht Frankfurt/M. wegen Steuerhinterziehung zu einem Bußgeld verurteilte DFB hat Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Die schriftliche Begründung muss erst in drei Monaten vorliegen, nach der dann folgenden Revisionsbegründung dürfte eine Verhandlung am BGH nicht vor Herbst 2026 erfolgen, schreibt die SZ (Johannes Aumüller). In der Zwischenzeit müsse sich der Verband auf eine am Finanzgericht Kassel erhobene Klage gegen die im Zusammenhang der WM-Vergabe stehende Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit konzentrieren.
LG München I – Spezi-Design: Ein weiterer markenrechtlicher Anspruch der Paulaner Brauerei beschäftigt das Landgericht München I. Nach Entscheidungen über einen Koexistenz- und Abgrenzungsvertrag und einer weiteren über das verwendete Flaschendesign verhandelte das Gericht nun über das Design eines Cola-Mix-Getränks aus dem Hause Berentzen. Ob dessen „Mio Mio Cola-Orange Mische“ die geschützte Farbmarke des Paulaner-Spezi-Getränks verletzt, ist nach der von LTO berichteten Einschätzung des Gerichts offen. Die Verkündung ist für den 5. August terminiert.
AG Köln zu KI-Schriftsatz: In einer familienrechtlichen Sache hat ein offenbar per KI-Tool erstellter Schriftsatz eines Verfahrensbevollmächtigten den Unwillen des Amtsgerichts Köln erregt. Offensichtlich unrichtige Entscheidungs-Zitate und frei erfundene Fundstellen schadeten dem „Ansehen des Rechtsstaats und insbesondere“ dem der Anwaltschaft, so der Beschluss. Das AG legte nahe, dass die Arbeitsmethode darüber hinaus auch gegen das berufsrechtliche Verbot verstoßen könnte, bewusst Unwahrheiten zu verbreiten. beck-aktuell (Maximilian Amos) berichtet.
Recht in der Welt
IStGH – Taliban: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat gegen den Führer des afghanischen Taliban-Regimes Haibatullah Achundsada und gegen den Obersten Richter Abdul Hakim Hakkani Haftbefehle erlassen. Beiden werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Entrechtung von Frauen und Mädchen vorgeworfen. Chefankläger Karim Khan hatte die Haftbefehle im Januar beantragt. LTO berichtet.
Sondertribunal zum Ukrainekrieg: Die Ende Juni vom Europarat und der Ukraine vereinbarte Einrichtung eines Sondertribunals für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine ordnet der wissenschaftliche Mitarbeiter Alexander Elfgen auf dem Verfassungsblog völkerrechtlich ein und beschreibt seine Mechanismen. Wichtig sei, dass auch in Abwesenheit gegen Angeklagte verhandelt werden kann.
Israel/USA/Iran: In einem ausführlichen Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) ordnet der frühere Verfassungsrichter Andreas Paulus die jüngsten israelischen und US-amerikanischen Angriffe auf den Iran völkerrechtlich ein. Ferner spricht er sich für eine an technischen Gegebenheiten orientierte, zeitgemäße Auslegung und Anwendung des Völkerrechts aus, erklärt die über den bloßen Rechtsbruch hinausgehenden Voraussetzungen einer Anklage wegen eines verbotenen Angriffskriegs und drückt seine Sorge über die „vor allem in den USA“ zu beobachtende „völlige Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Völkerrecht aus. Als „einzige legitime, weltweit gültige Normenordnung“ sei dieses zwar „nicht optimal“, aber „Besseres haben wir nun einmal nicht.“
EGMR/Russland – Google: In Russland wegen der Sperrung eines YouTube-Kanals gegen Google verhängte Bußgelder in Höhe mehrerer Billionen US-Dollar verstoßen nach Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in gleich mehrfacher Hinsicht gegen die Meinungsfreiheit. Löschungsanfragen bezüglich regierungskritischer Kanäle hätten die diesbezüglichen Voraussetzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention missachtet und seien unverhältnismäßig. Es sei auch widersprüchlich, dass die russischen Behörden zugleich die Wiederherstellung eines regimetreuen Kanals u.a. mit dessen Meinungsfreiheit begründeten. Die ausgeurteilten Sanktionen seien zudem „grob unverhältnismäßig.“ beck-aktuell berichtet.
Ungarn – Maja T.: Den Fall der non-binären Person Maja T., die aktuell in Ungarn vor Gericht steht, behandelt der ARD-RadioReportRecht (Alena Lagmöller). Im Beitrag kommt T.s Anwalt Sven Richwin ausführlich zu Wort und beschreibt u.a. T.s Haftbedingungen.
Ungarn – Pride-Parade: Die Budapester Polizei hat mitgeteilt, gegen die Teilnehmenden der verbotenen Pride-Parade keine Ermittlungen aufnehmen zu wollen, da „die Organisatoren die Bürger hinsichtlich der Rechtslage verunsichert hätten“. Wegen „Organisation einer verbotenen Versammlung“ werde nun jedoch gegen Bürgermeister Gergely Karacsony ermittelt. Die taz (Florian Bayer) berichtet.
Sonstiges
Legal Coach: Die Volljuristin Geertje Tutschka ist als Legal Coach tätig. Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) erklärt sie, worauf bei Coaching-Angeboten im juristischen Bereich geachtet werden sollte.
Das Letzte zum Schluss
Stammkunde: Späte Reue führte zu einem Strafverfahren am Landgericht Köln. Wie bild.de (Dimitri Soibel) berichtet, brachte eine in einer anderen Sache verhängte Haft einen Esten dazu, drei Raubüberfälle in Köln zu gestehen. Die Taten ereigneten sich zwischen 2007 und 2011 und wären ohne das Geständnis wohl nicht zur Anklage gelangt. Leidtragender der drei Überfälle war jeweils dasselbe Juweliergeschäft. Es erschien dem Angeklagten wegen seiner abgelegenen Lage geeignet und weil ein angrenzender Spielplatz gute Parkmöglichkeiten bot.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten) https://www.lto.de/index.php?id=459
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. https://www.lto.de/recht/presseschau/
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Zitiervorschlag
Die juristische Presseschau vom 9. Juli 2025:
. In: Legal Tribune Online,
09.07.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57616 (abgerufen am:
09.07.2025
)
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