In seinen mehr als 50 Fotografien zeigt Niekämper die Mitglieder der Initiative #OutInChurch in unterschiedlichen Perspektiven, mal sehr nah mit Fokus auf kleinste Details, mal von ganz weit, fast verschwindend im Raum, mit Beleuchtung, Farben und Schatten spielend. „Ich habe mir für jede Person und jede Location überlegt, welche inhaltlichen Ideen passend sein könnten“, erläutert er. Die Locations, allesamt Kirchen, hatte er sich vorher im Internet angeschaut und wusste deshalb, welche räumlichen Situationen ihn erwarten würden. Mit allen Protagonistinnen und Protagonisten habe er vorher per Videokonferenz ein ausführliches Vorgespräch geführt, berichtet Niekämper. Das jeweilige Shooting habe dann rund dreieinhalb Stunden gedauert.
Marie Kortenbusch und Monika Schmelter aus Lüdinghausen gehören zu denjenigen, die sich von Martin Niekämper haben porträtieren lassen. Die beiden Frauen sind Mitte 60 und nach vielen Jahren im kirchlichen Dienst inzwischen im Ruhestand. Ein Paar sind sie seit ihrer gemeinsamen WG-Zeit während des Studiums vor über 40 Jahren. Monika, die damals noch Ordensschwester war, „war meine erste große Liebe“, erzählt Marie Kortenbusch. Von ihrer Beziehung wussten nur enge Freunde, Eltern und Verwandten gegenüber habe sie sich erst später geöffnet. Auch im beruflichen Umfeld durfte niemand von der Liebe der beiden Frauen erfahren. Die Kirche habe ihre Verliebtheit „mit einer Schwere zugedeckt“, erzählen sie. Heute ist die frühere Religionslehrerin Kortenbusch „von Jahr zu Jahr mehr befremdet, dass unsere Liebe im Gegensatz zu anderen Lieben nicht sakramental, sondern Sünde sein soll.“
Natürlich habe sie darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten, sagt Monika Schmelter. „Aber ich bleibe, weil ich etwas bewegen will.“ Die Initiative #OutInChurch habe gezeigt, dass sich etwas bewegen lasse – auch, wenn es noch zu wenig sei: „Ich glaube, dass dadurch queere Themen besprechbarer geworden sind, aber wie die Zeichen stehen, wird sich an der Lehre auf absehbare Zeit nichts ändern. Und das ist für queere Menschen kaum auszuhalten.“
Für eine Veränderung in der Lehre plädierte auch der Direktor der Akademie Franz Hitze Haus, Dr. Johannes Sabel, in seinen einführenden Worten. Er erinnerte daran, dass es im hebräischen Originaltext der Schöpfungsgeschichte nicht heiße „als Mann und Frau schuf er sie“, sondern „als männlich und weiblich schuf er sie“. „Hier wird eine ganz andere Varianz geschaffen“, erläuterte Sabel. Der biblische Schöpfungstext arbeite zwar bewusst mit Begriffspaaren, aber: „Ist denn die Morgen- oder Abenddämmerung deswegen weniger göttlich, weil in der Bibel nur von der Schöpfung von Tag und Nacht die Rede ist?“ Queeres Leben könne auch als Geschenk Gottes an uns alle verstanden werden.
Sabel erinnerte auch daran, dass sich die Zahl queerfeindlicher Übergriffe in Deutschland seit 2010 verzehnfacht habe. „Es geht hier um Menschenrechte. Das darf man nicht mit einem Zirkuszelt vergleichen“, spielte er auf die Debatte um die Regenbogenflagge auf dem Reichstag anlässlich des Christopher Street Days an. Im Gegenteil seien Staat und Kirche aufgerufen, bei Menschenrechten nicht „hinterherzustolpern“.
Thomas Mollen