Es klang wohl selbst für den Regierenden Bürgermeister zu schön, um wahr zu sein: Ausgerechnet Berlin, bundesweit verschrien für eine Serie voll Pleiten, Pech und Pannen beim Bemühen, die lahmende Verwaltung zu digitalisieren, ist Vorreiter. Weil die Einbürgerungsverfahren in der Hauptstadt seit dem 1. Januar 2024 bis auf die Abholung der Einbürgerungsurkunde komplett digital ablaufen, schauen andere Länder zur Hauptstadt auf. Welch seltene Freude.
Tatsächlich ist die Bilanz des 2024 gegründeten Landesamtes für Einwanderung (Lea) beeindruckend. Von 9000 positiv beschiedenen Anträgen im Jahr 2023 verdoppelte sich die Zahl 2024 auf mehr als 20.000 Einbürgerungen. In diesem Jahr könnte die vor Kurzem noch komplett utopisch wirkende Zahl von 40.000 Einbürgerungen überschritten werden, der Antragsstau wurde spürbar abgebaut.
Zu verdanken ist diese massive Steigerung einem Verfahren, das komplett digitalisiert und deutschlandweit vorbildhaft ist. Wo einst jeder Bezirk einzeln entschied und Mitarbeitende mit Stift, Zettel und Aktenschrank im Antragswust untergingen, arbeiten heute rund 200 Beschäftigte des Landeseinwanderungsamtes an jeweils zwei Bildschirmen und modernsten Arbeitsplätzen.
Robert Kiesel arbeitet seit 2018 als landespolitischer Korrespondent beim Tagesspiegel und berichtet unter anderem über die Digitalisierung der Berliner Verwaltung. Er findet: Die Gelegenheit, die Stadt als Vorreiter zu bewerben, kommt viel zu selten.
Unerklärlich fast schon, dass ausgerechnet Kai Wegner, der sonst keine Gelegenheit auslässt, die Bedeutung der dringend benötigten Verwaltungsdigitalisierung zu betonen, so daneben lag. Von der „Bild“-Zeitung mit vermeintlichen Sicherheitsrisiken im digitalen „Einbürgerungsturbo“ konfrontiert, verfiel der Regierende in schier uralte konservative Reflexe.
„Ich habe die zuständige Innensenatorin gebeten, darzulegen, wie sichergestellt wird, dass eine sorgfältige Prüfung dieser gesetzlichen Voraussetzungen garantiert wird“, sagte Wegner der Zeitung. Die Furcht, die deutsche Staatsbürgerschaft könne verramscht werden, sitzt auch in Wegners CDU tief und hatte dem Regierenden das sonst so ausgeprägte politische Gespür genommen. Statt den Erfolg zu feiern, weckte er Zweifel.
Die angesprochene Innensenatorin wiederum nahm die Steilvorlage dankend an. Das digitale Verfahren sei sogar sicherer als das analoge – weil der Austausch mit den relevanten Sicherheitsbehörden viel einfacher sei und der Dokumentenabgleich vollautomatisch ablaufe. Fälschungsmöglichkeiten seien durch digitale Anfragen zu Einbürgerungswilligen quasi ausgeschlossen. Es lägen schnell belastbare Auskünfte vor, zudem bestehe jederzeit und vollumfänglich Zugriff auf die Ausländerakte.
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Wegner wiederum, der sich vor seiner Antwort besser mit Spranger oder dem Einbürgerungsamt selbst ausgetauscht hätte, hat eine seltene Chance verstreichen lassen. Die Gelegenheit, Berlin als Vorreiter zu bewerben, kommt leider immer noch viel zu selten.