Vor einigen Wochen haben die Russen eine Sommeroffensive gestartet. Moskaus Streitkräfte rücken langsam, aber stetig vor. Besonders in zwei Städten spitzt sich die Lage zu.
Es klingt wie in einem Actionfilm. Russland verlässt sich im Krieg gegen die Ukraine vermehrt auf mechanisierte Kämpfer. Sechs bis acht Motorräder, besetzt mit einem oder zwei Mann, sollen die ukrainischen Stellungen durchbrechen.
Das geht aus mehreren übereinstimmenden Medienberichten hervor. Markus Reisner, österreichischer Historiker und Offizier des Bundesheeres im Dienstgrad Oberst, zeigt sich wenig überrascht von der Taktik der Russen.
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Zum einen kommen bereits seit Anfang 2024 Motorräder für Angriffszwecke in der Ukraine zum Einsatz. Zum anderen wird laut dem Militärexperten seit Monaten in den russischen sozialen Medien rege über solche Gefechtstechniken diskutiert.
„Im Zweiten Weltkrieg gab es bereits Motorrad-Verbände“
„In diesen Debatten spielen vergangene Kriege eine Rolle. Beispielsweise im Zweiten Weltkrieg gab es ebenfalls Motorrad-Aufklärungsverbände“, sagt Reisner zu FOCUS online. Damals waren sowjetische M-72 und aus den USA gelieferte Harley-Davidson 42WLA-Beiwagenmaschinen als „Aufklärer“ zur Unterstützung von Panzereinheiten sehr erfolgreich.
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Die Sowjets hatten eigene Motorradaufklärungsbataillone, die ihren Panzerverbänden vorausfuhren oder sie bei der Sicherung der Flanken oder der Verfolgung fliehender feindlicher Truppen unterstützten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Motorräder sind leichter, schneller und vor allem wendiger als Autos oder Panzer.
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Mittwoch, 09.07.2025 | 16:02
Das könnte den russischen Soldaten auch aktuell in die Karten spielen. Immerhin setzt die Ukraine im Kampf gegen die Besatzer verstärkt auf Drohnen. Geschwindigkeit ist in diesem Szenario die wichtigste Eigenschaft, um zu überleben.
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Gleichzeitig eignen sich die wendigen Motorradkämpfer, um zielgenau einzelne Stellungen zu attackieren oder zu umfahren. Reisner beschreibt es so: Die Motorradtrupps legen einen „Schleier“ über die ausgedünnten ukrainischen Stellungen. Sie suchen Lücken und stoßen durch diese hindurch. Zwar sind die russischen Verluste bei diesem Vorgehen enorm, aber es funktioniert offenbar zum Leidwesen der angegriffenen Ukraine.
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Russland fährt eine Sommeroffensive
Die „Mad-Max-Angriffe“, wie sie laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ von den Ukrainern genannt werden, sind Teil der russischen Sommeroffensive. Sie hat vor einigen Wochen begonnen – und dauert an. Manche Portale berichten vom Start im Mai, Reisner schätzt ihn auf Anfang Juni.
Um zu verstehen, wie die Russen jetzt vorgehen, lohnt sich ein genereller Blick aufs Schlachtfeld. „Die Ukraine war immer dann erfolgreich, wenn sie überraschend und manöverzentriert agiert hat – etwa bei der Befreiung von Kiew, des Oblast Charkiw oder Cherson“, sagt der Militärexperte.
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Die Russen hätten dagegen versucht, ihren Gegnern einen Abnutzungskrieg aufzuzwingen. „Sie haben in der Ukraine 2024 das Momentum für sich gewonnen und rücken seitdem vor.“ Ihr Ziel ist es laut Reisner, zum Fluss Dniper vorzustoßen.
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Die Sommeroffensive wird ihm zufolge auch „im Charakter eines Abnutzungskrieges“ geführt. Das bedeutet: Sie ist nicht darauf ausgelegt, schnell voranzuschreiten. Vielmehr geht es um pure Kraft. Beide Seiten prallen so lange aufeinander, bis eine nachgibt.
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„Für die Russen ist die Sommeroffensive ein Erfolg“
„Aus Sicht der Russen ist die Sommeroffensive ein Erfolg, sie erobern jeden Tag 15 bis 20 Quadratkilometer. Ob es die Streitkräfte schaffen, bis zum Dniper durchzudringen, hängt von den Ressourcen ab“, sagt Reisner.
Dazu gehören Soldaten, Equipment, Waffen sowie Verteidigungsinfrastruktur. Eine zentrale Rolle spielt darüber hinaus, wie es auf der Gegenseite aussieht. Doch die Ukraine kämpft, so beschreibt es Reisner, aktuell mit Engpässen.
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„Die Stellungen sind nicht mehr gut ausgebaut“, sagt er und spricht von „Notvarianten“. „Außerdem schrumpft die Personalecke, während die Russen immer noch Zulauf an Soldaten haben.“
Lage um Pokrowsk ist kritisch
Das kann daran liegen, dass Moskau im Frühjahr 2025 so viele Rekruten zum Wehrdienst einberief wie seit 14 Jahren nicht mehr. In Medienberichten war von 160.000 Männern im Alter zwischen 18 bis 30 Jahren die Rede.
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Eine Auswertung des russischen Exil-Mediums iStories zeigte außerdem, dass Moskau zwischen April 2023 und Mai 2024 mehr als 1500 Menschen aus 48 Ländern für den Krieg in der Ukraine anheuerte.
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Auf dem Schlachtfeld ist die Situation jedenfalls angespannt. Besonders um Pokrowsk spitzt sich die Lage in Reisners Augen zu. Die Stadt liegt an einem strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt im Westen der Region Donezk.
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Der ukrainische Generalstab teilte am Sonntagabend mit, im Tagesverlauf seien insgesamt 149 russische Angriffe gemeldet worden, die meisten davon in Pokrowsk. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht – doch sie stimmen zu dem überein, was Reisner berichtet.
„Das ist vergleichbar mit einer Tsunami-Welle“
„Nordostwärts von Pokrowsk stoßen die Russen immer weiter vor. Hier beginnt eine gefährliche Einkesselung – vergleichbar mit einer sich aufbauenden Tsunami-Welle“, sagt er. Der Oberst blickt außerdem mit Sorge auf Kostjantyniwka. „Beide Städte scheinen unter Kontrolle russischer Waffen zu stehen. Dabei sind es wichtige Logistikknotenpunkte“, so der Militärexperte.
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Joachim Krause, Direktor emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, schlägt im Gespräch mit FOCUS online in eine ähnliche Kerbe.
„Die Russen machen kleine Landgewinne unter hohen Verlusten vor allem in der Gegend um Pokrowsk. Allerdings nähern sie sich bedenklich der Hauptverteidigungslinie der Ukrainer“, sagt er. „Sollte diese durchbrochen werden, dann kann es auch zu einem größeren Einbruch kommen.“
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Trotzdem kämpft offenbar auch Russland mit Problemen. Mehrere Blogger berichten von miserablen Zuständen innerhalb der russischen Armee.
Der unabhängige Militäranalyst Ian Matveev erklärte zuletzt etwa, das russische Militär sei durch Schwächen in der Aufklärung, Engpässe, Korruption, logistische Mängel und schlechte Ausbildung nicht in der Lage zu komplexen Operationen in der Ukraine.
„Das sind nur Informationssplitter“
Reisner sagt: „Die Aussagen sind in jedem Fall richtig, aber man darf sie nicht verallgemeinern. Das sind wichtige Informationssplitter, doch wir brauchen messbare Ergebnisse.“ Erst, wenn die Russen an mehreren Stellen zurückweichen würden, könne man von flächendeckenden Trends sprechen. „Das ist im Moment aber nicht der Fall.“
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Wie es im Ukraine-Krieg weitergeht, bleibt indes unklar. Eine Waffenruhe, wie sie viele westliche Politiker fordern, scheint derzeit nicht greifbar. Am Montag erklärte US-Präsident Donald Trump, die Ukraine weiter mit Waffen versorgen zu wollen.
Wenige Tage vorher hatte das Pentagon noch verkündet, geplante Lieferungen aussetzen zu wollen. Was hinter Waffen-Kehrtwende steckt, darüber lässt sich nur spekulieren. USA-Kenner Josef Braml glaubt, der Lieferstopp könnte bewusst inszeniert worden sein, um Trump anschließend als entschlossenen Krisenmanager zu präsentieren.
Denkbar wäre ihm zufolge auch, dass die Vereinigten Staaten mit dem Lieferstopp Druck auf die Ukraine ausüben wollten, im Hinblick auf Personalentscheidungen oder deren Verhandlungsbereitschaft.