Die Regenbogenflagge an Liegenschaften des Bundes ist endgültig zum Politikum geworden. So soll am Flaggenmast des Bundeskanzleramts nach dem Willen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erstmals seit drei Jahren keine Regenbogenflagge mehr zum Berliner Christopher Street Day (CSD) Ende Juli gehisst werden. Das teilte ein Regierungssprecher auf Anfrage des Tagesspiegels mit.

Geht es nach Merz, ist Schluss mit dem Regenbogen

Offenbar soll die bunte Fahne nicht nur in diesem Jahr, sondern zu überhaupt keinem Anlass mehr an der Regierungszentrale zu sehen sein. „Im Bundeskanzleramt ist eine Beflaggung mit der Regenbogenflagge künftig nicht beabsichtigt“, erklärte der Sprecher.

Nach Auffassung des Bundespräsidialamts ist der Bundespräsident in besonderem Maße dem Grundsatz der staatlichen Neutralität verpflichtet.

Ein Sprecher von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Wörtlich hieß es weiter: „Die an jedem Tag an allen Dienstgebäuden des Bundeskanzleramts gehisste Bundesflagge symbolisiert bereits in besonderem Maße die Werte unseres Grundgesetzes, einschließlich des Einstehens für die Wahrung der Menschenwürde und der Ablehnung jeglicher Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung.“

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Der Kanzler hatte mit seinem Vergleich zwischen Regenbogenflaggen am Bundestag und einem Zirkuszelt bundesweit Empörung ausgelöst. Er hatte damit seine Unterstützung für die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum Ausdruck bringen wollen, zur CSD-Parade keine Flagge mehr am Parlament zu setzen.

Merz’ Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) hatte die Flagge am Bundeskanzleramt seit 2022 dagegen jährlich zum Berliner CSD hissen lassen, zudem im vergangenen Jahr auch erstmals zusätzlich aus Anlass des sogenannten Idahobit-Tages („International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia“) am 17. Mai.

Auch die Bundesministerien planen einen unterschiedlichen Umgang mit der Flagge. Überwiegend wird aber wohl, wie berichtet, davon abgesehen, sie zur CSD-Parade zu setzen.

„Willkommen im Zirkuszelt“ 65.000 demonstrieren beim CSD Köln für queere Rechte – mehr als eine Million Besucher

Eine wesentliche Rolle dürfte dabei eine schriftliche „Klarstellung“ des Bundesinnenministeriums vom 28. April spielen, die sich auf eine von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor drei Jahren erteilte grundsätzliche Genehmigung zum Hissen der Flagge an amtlichen Flaggenstöcken bezieht.

Demnach soll es nur noch einmal pro Jahr und zu einem konkreten Termin zulässig sein, die Flagge zu setzen. Die wohl meisten Ministerien wählten den „Idahobit“.

Klingbeil entschied persönlich, überraschend – und verspätet

In dieser Weise hatten sich zunächst auch einige der von SPD-Politikern geführten Ministerien geäußert, darunter das Bundesfinanzministerium von Lars Klingbeil und das Arbeitsministerium von Bärbel Bas. Nach einem entsprechenden Tagesspiegel-Bericht setzte es jedoch viel Kritik, vor allem aus der queeren Szene.

Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) legte eine Volte hin und hisste am 4. Juli

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Klingbeil ging in der Flaggenfrage daraufhin auf Konfrontationskurs. „Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat am vergangenen Freitag, 4. Juli, entschieden, mit der Regenbogenflagge am BMF ein sichtbares Zeichen für Vielfalt und gegen Diskriminierung zu setzen“, erklärte sein Ministerium jetzt auf Anfrage.

Die Flagge werde nicht dauerhaft, sondern nur zu bestimmten Anlässen zu sehen sein, hieß es weiter. Derzeit sei es der „aktuelle Pride Month in Berlin“ – der allerdings schon am 27. Juni begonnen hatte.

Wie Klingbeils Handeln mit den Vorgaben aus dem Innenministerium vereinbar sein soll – das Finanzministerium hatte bereits einmal zum „Idahobit“ gehisst – wurde offen gelassen: „Wir haben unseren Antworten von gestern und heute nichts hinzuzufügen.“

„Nicht neutral“ Linken-Chefin kritisiert Bundestagspräsidentin Klöckner für politische Entscheidungen

Ob Arbeitsministerin Bas eine ähnlich Volte hinlegt, ist derzeit noch unklar. In ihrem früheren Amt als Bundestagspräsidentin hatte sie die Flagge erstmals am Parlament hissen lassen und mehrfach erklärt, wie sehr ihr der CSD am Herzen liege.

Dennoch hatte ihr Ministerium zunächst verkündet, sich nur auf den „Idahobit“ zu beschränken. Am Rande des Kölner CSD erklärte Bas am vergangenen Sonntag plötzlich: „Wir werden auch ganz normal beflaggen“.

Am amtlichen Flaggenstock? Das bleibt vorerst offen. „Die Worte der Ministerin auf dem CSD in Köln stehen für sich“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. Mehr könne man dazu „im Moment“ nicht sagen.

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Möglich erscheint, dass die Flagge woanders befestigt oder nur als Transparent aufgehängt wird. Dies hat das Bundesinnenministerium in der „Klarstellung“ ausdrücklich erlaubt, auch zu mehreren Terminen.

Parlamentspräsidentin Klöckner hatte ihren Flaggen-Rückzug mit dem politischen Charakter der CSD-Parade und der notwendigen staatlichen Neutralität begründet. Ähnlich sieht dies offenbar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Funktion als Staatsoberhaupt.

„Nach Auffassung des Bundespräsidialamts ist der Bundespräsident in besonderem Maße dem Grundsatz der staatlichen Neutralität verpflichtet“, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. Dieser Grundsatz stünde zwar dem Hissen der Regenbogenflagge „nicht grundsätzlich entgegen“.

Die Zentrale des Bundesnachrichtendiensts in Berlin. Weiterhin mit Palme, aber dieses Jahr ohne Regenbogen zum CSD.

© IMAGO/Olaf Schuelke/IMAGO/Olaf Schuelke

„Allerdings gehört es – wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – zu den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, dass der Bundespräsident Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt.“

Zum Berliner CSD Flagge zeigen wird dagegen – wie etwa Bildungsministerin Karin Prien (CDU) – auch das Bundespresseamt von Regierungssprecher Stefan Kornelius, wie in den vergangenen Jahren. „Das Bundespresseamt beabsichtigt, an seiner bisherigen Praxis auch in diesem Jahr festzuhalten.“

Auch die Geheimdienste des Bundes gehen eigene Wege. Der Bundesnachrichtendienst (BND), der in den beiden vergangenen Jahren den Regenbogen zum CSD zeigte, wechselte 2025 auf den „Idahobit“ im Mai, schließt aber nicht aus, dass es im nächsten Jahr wieder anders kommt. „Der BND hält sich an die Vorgaben des Protokoll Inland im Bundesministerium des Innern und richtet sich danach in seiner zukünftigen Planung.“

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beschränkt sich, wie berichtet, seit Jahren auf den „Idahobit“. Neu ist der Regenbogen an einem „Bannerstock“ an der Zufahrt zum Gelände. „Beim Anbringen des Banners handelt es sich nicht um das Setzen einer Flagge an einem Bundesgebäude“, erklärte die Behörde dazu.

Möglich, dass das neue Dauer-Banner ein stiller Protest gegen die Ansage des Innenministeriums vom 28. April sein soll. „Das Regenbogenbanner vor dem Eingangsbereich des BfV wurde erstmals am 2. Mai 2022 auf Veranlassung der Amtsleitung des BfV angebracht.“ Derzeit hat das Amt keinen Präsidenten, die Vizepräsidenten führen die Geschäfte.