Von der abgeschotteten Parallelwelt eines Gefängnisses mit seinen Machtkämpfen, Regeln und Hierarchien bekommt man meistens nicht allzu viel mit. Anders ist es, wenn ein Fall wie hier vor Gericht landet: Ein heute 20-Jähriger soll vor mehr als anderthalb Jahren in der Jugendhaft Beamte mit einer Schere angegriffen haben, die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Mord aus. Doch der Prozess konnte am Mittwoch überraschend noch nicht beginnen.
In seinem jungen Leben hat Pierre B. schon so einiges auf dem Kerbholz. Und jetzt könnten für den 20-Jährigen viele Jahre hinter Schloss und Riegel dazukommen, wenn denn die Anklage so stimmt: Die geht davon aus, dass der junge Mann Ende 2023 im Jugendstrafvollzug Regis-Breitingen Beamte mit einer Schere attackiert und damit einen Mordversuch verwirklicht hat. Und dies soll nur der traurige Höhepunkt von Gewalttätigkeiten des 20-Jährigen gewesen sein.
Teurer Fehler einer Schöffin
Mittwochmorgen war vor dem Leipziger Landgericht der Prozessbeginn gegen Pierre B. unter anderem wegen versuchten Mordes geplant – eigentlich. Doch weil eine Schöffin den Termin verpasst hatte und dem Verhandlungsbeginn unentschuldigt fernblieb, verzögerte sich der Zeitplan sofort. Bemühungen, die Frau telefonisch zu erreichen, schlugen zunächst fehl. Erst dann stellte sich heraus, dass sie sich den Tag falsch notiert hatte. Ein Fehler, menschlich vielleicht nachvollziehbar, der sie jetzt aber teuer zu stehen kommen könnte: 500 Euro Ordnungsgeld und unter Umständen auch angelaufene Gerichtskosten werden fällig.
Zwar war zeitnah eine Ersatzschöffin gefunden worden, die aber demnächst ihren Urlaub antritt und am Folgetermin nicht zur Verfügung gestanden hätte.
So blieb dem Kammervorsitzenden Michael Dahms nichts anderes, als nach längerer Wartezeit die Aussetzung des Prozesses zu verkünden, der ja offiziell noch nicht einmal begonnen hatte. Die Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob blieb unverlesen, bereits eingetroffene Zeugen wurden wieder weggeschickt. Ein neuer Anlauf ist für den 14. Juli geplant.
Anklage geht von gefährlichem Stoß mit Schere aus
Vielleicht ist dann zu erfahren, ob und wie sich Pierre B. zu den schweren Vorwürfen gegen ihn äußert. In der Jugendstrafanstalt (JSA) Regis-Breitingen, wo er unter anderem wegen Raubes einsaß, soll der damals 18-Jährige im Jahr 2023 zweimal Mitgefangene attackiert haben. Als ein Bediensteter einschritt, habe er dem Mann durch Drohungen bedeutet, er nehme diesen Vorgang besser nicht zur Kenntnis.
Anschließend hatte das Gefängnis eine Disziplinarmaßnahme gegen Pierre B. verhängt. Als er am 4. Dezember 2023 in Begleitung von Beamten auf eine Sicherheitsstation verlegt werden sollte, sei die Situation eskaliert: Bei der Ankunft im gesicherten Bereich wollten die Bediensteten den Häftling filzen, als dieser unvermittelt eine spitze Schere aus der Hosentasche geholt und sie nach einer Kreiselbewegung mit ganzer Wucht in Richtung der drei vor ihm stehenden Justizmitarbeiter gestoßen haben soll.
Die waren wegen bekannter Gewalttätigkeiten des Angeklagten aber mit Schutzausrüstung versehen, sodass die Schere am Visier eines Schutzhelmes abbrach, der durch den Stoß beschädigt wurde. Hernach wurde Pierre B. überwältigt. Sollte sein Plan tatsächlich gewesen sein, wenigstens einen Beamten im Kopf- bzw. Halsbereich zu treffen, wovon die Anklage ausgeht, so scheiterte das Vorhaben glücklicherweise.
Mehrere Anklagevorwürfe neben versuchtem Mord
Die Anklagebehörde legt Pierre B., der am Mittwoch mit zusätzlichen Fußfesseln vorgeführt wurde, jedenfalls einen heimtückischen Mordversuch aus niedrigen Beweggründen zur Last. Weitere Vorwürfe: versuchte und vollendete Körperverletzung, versuchte Nötigung, tätlicher Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Auch die unangenehme Frage, wie der mutmaßliche Täter überhaupt eine Schere unbemerkt transportieren konnte, könnte im vertagten Prozess noch eine Rolle spielen. Aktuell sind mindestens drei Verhandlungstermine angesetzt.