Befreiung oder Gefängnis? Marie Chouinard denkt in „Body Remix/Remix“ über das Verhältnis des Tanzes zum Körper nach. Foto: Sylvie-Ann Paré
Nicht nur Brüste wippen fröhlich, wenn sich Marie Chouinards Ensemble durch „Magnificat“ tanzt. Beim Colours-Festival beweisen die Kanadier ihre Eigenständigkeit.
Bei Marie Chouinard laufen viele Festival-Fäden zusammen. 1997 holte die Stuttgarter Tanzbiennale Sprachen des Körpers die kanadische Choreografin erstmals in die Stadt. Bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen war dann 2005 kurz nach der Uraufführung das Stück zu sehen, mit dem Chouinard und ihre Kompanie exakt 20 Jahre später Gast des Colours-Festival im Theaterhaus ist.
Und der Blick auf diese bizarren Duette, die Tänzerinnen und Tänzer mit Krücken, Prothesen und Spitzenschuhen so ausstaffieren, dass ihnen Vorankommen nur auf ungewöhnliche Weise gelingt, bleibt so überraschend wie beim ersten Mal – oder ist nach Debatten um Metoo und Body-Positivity sogar noch überraschender. Mehr Remix, weniger „Goldberg Variations“ ist Chouinards Erfolgsstück in der neuen Version. So entsteht ein noch engerer Dialog mit dem menschlichen Körper. In der Tanzkunst normalerweise erhöht, macht ihn „Body Remix/Remix“ zum fragilen Krisenobjekt, das Last und Lust, Gefängnis und Befreiung zugleich sein kann.
„Magnificat“ Foto: Sylvie-Ann Paré
Mit ihrem neuen Bachstück „Magnifikat“ eröffnen die Grand Dame der kanadischen Tanzszene und ihr 12-köpfiges Ensemble das Colours-Gastspiel. Goldene Sonnenhutkrempen lassen die sparsam bekleideten Tänzer wirken, als seien sie samt Heiligenschein einem gotischen Gemälde entstiegen. Doch von Steifheit keine Spur, nicht nur Brüste wippen fröhlich.
Jeder Satz hat auch choreografisch eine eigene Leuchtfarbe, mal wird auf halber Spitze, dann auf Knien getanzt. Egal ob ein Sprung oder ein Spiel als Inspiration dient: Chouinards Kunst ist auf dem Feld des zeitgenössischen Tanzes von verblüffender Eigenständigkeit und ihr Ensemble so zusammengesetzt, dass die Balance zwischen Originalität und tänzerischer Qualität, zwischen Geist und Körper stimmt. Das gilt für den ganzen Abend, der dank kanadischer Diplomatie mit Sekt fürs begeisterte Publikum endet: Während „Magnificat“ ein Hingucker ist, bewegt „Body Remix/Remix“ noch lange mit der Frage nach unserer Verletzlichkeit.
Info
Termin
Die Compagnie Marie Chouinard tanzt nochmals am 10. Juli um 19.30 Uhr bei Colours. Die Vorstellung im Theaterhaus ist ausverkauft, es gibt eventuell Resttickets unter Telefon 0711/4020720.