Der Fernsehturm ist ein echter Leuchtturm der Hauptstadt – kulinarisch aber war das Restaurant bisher oft ein Tiefpunkt. Nun hat sich Deutschlands berühmtester Fernsehkoch der Höhengastronomie angenommen: Tim Raue hat vor wenigen Wochen das „Sphere“ eröffnet und unser Kolumnist hat abgeschmeckt.

Wie sagt es doch der Kritiker im Film „Ratatouille“ so treffend? Einen Verriss zu schreiben ist ein wunderbares Vergnügen, weil er unterhaltsam zu verfassen und amüsant zu lesen ist. Und ich gebe es zu: Ich war während der Vorrecherche und während der knapp 40-sekündigen Liftfahrt hinauf auf den Fernsehturm beinahe überzeugt davon (und innerlich schon darauf vorbereitet), dass ich einen herrlichen Verriss schreiben würde. Dafür hatte ich einige Gründe.

Erstens: Ich war früher einige Male auf dem Fernsehturm essen. Einmal mussten wir vorab wieder gehen, weil mein Sohn vom Eis rasende Bauchschmerzen bekam. Ich hatte zwar keine Lebensmittelvergiftung, aber durchaus schwer zu beißen an diesen Köstlichkeiten auf Touristenfallen-Niveau, was aber auch daran lag, dass die Küche dort oben auf 250 Metern eben keine richtige Küche ist. Frittieren ist aus Brandschutzgründen verboten, richtiges Braten auch, alles schmeckte also eher halbgar, wie mittelmäßiges Convenience-Essen.

Darüber war ich aber nur mäßig erstaunt: Während die Franzosen auf dem Eiffelturm im „Jules Verne“ zwei Sterne kochen und den Hummer in 125 Metern Höhe mit Vanille verzieren, brachten wir es in Berlin nur zu labberigen Burgern mit Süßkartoffelpommes. Nun ja, jedes Land bekommt die Turmspeisung, die es verdient, dachte ich.

Ein ikonisches Gebäude braucht ein ikonisches Restaurant.

Ein ikonisches Gebäude braucht ein ikonisches Restaurant.

(Foto: Nils Hasenau)

Zweitens: Aller Anfang ist schwer. Gleich nach der Eröffnung von Tim Raues neuem „Sphere“ auf dem Fernsehturm Anfang Juni hagelte es negative Rezensionen: Weil die Klos nicht fertig waren, das Kassensystem ausfiel, die Gäste anderthalb Stunden auf ihr Essen warteten. Und es fehlte Personal. Letzteres Problem haben derzeit wohl alle deutschen Restaurants. Die ersten Probleme waren hausgemacht – der Laden musste eben eröffnen, alles andere wäre zu teuer gewesen.

Salz

Drittens: Die Preise sind gesalzen. Erstmal zahlen die Gäste fast 30 Euro, um überhaupt einen Tisch reservieren zu dürfen, dann geht’s für 90 Minuten à table. Dort beginnen die Vorspeisen bei 14 Euro, die Hauptgerichte bei 28 Euro, 0,7 Liter Tafelwasser kosten 8,60 Euro. Das ist in krisenhaften Zeiten kein Pappenstiel, der Fernsehturm ist aber nun mal auch eine Sehenswürdigkeit (und ich möchte hinzufügen: Fünf Gänge im „Jules Verne“ kosten auch 300 Euro).

Zwischen Krabbensalat und Klopsen - auf jeden Fall über den Wolken: Tim Raue.

Zwischen Krabbensalat und Klopsen – auf jeden Fall über den Wolken: Tim Raue.

(Foto: Nils Hasenau)

Viertens: Ich mag keine Fernsehköche. Mich stört es, wenn Chefs immer mehr Restaurants eröffnen und währenddessen aber auch noch allabendlich über die Bildschirme flimmern. Kochen findet in der Küche statt – und ich kann nach sehr vielen Hundert Restaurantbesuchen beinahe repräsentativ sagen: Köche, deren Haupteinsatzort das eigene Restaurant ist, kochen besser.

Panorama

Aus diesen vier Gründen war ich mir also beinahe sicher, dass es hier im „Sphere“ nicht schmecken kann. Aber: Der Verriss fällt aus. Dieser Abend war nämlich richtig gut. Nicht in dem Sinne, dass ich kulinarisch aus allen Wolken gefallen wäre. Aber das kann hier oben auch nicht die Erwartung sein. Stattdessen war es sehr solide, an manchen Stellen sogar mehr als das – vor allem aber war es rasend freundlich, schnell und hatte Wohlfühlcharakter – tolles Panorama inklusive.

Room with a 365-Grad-View ...

Room with a 365-Grad-View …

Vorab: Die Anfangsprobleme sind abgestellt. Die Crew sucht gerade händeringend mehr Personal, bis dahin werden manche Tische nicht vergeben, um Küche und Service nicht zu überfordern. Das spürt man, weil die Kellner Zeit haben, weil sie freundlich sind, Wein nachschenken, zügig servieren und das Tempo und die Wünsche der Gäste erfragen und erfüllen können.

Auch das Ambiente stimmt: Die alten Tischleuchten stehen noch, die Seite mit den Restauranttischen genau an den Fenstern dreht sich um den Innenteil der Kugel, sodass die Bar, der hübsche Weinkühlschrank und auch die Kellner immer wieder an den Gästen vorbeischweben.

Oma

Doch kommen wir zum Wichtigsten: Wie schmeckt es dort oben, während sich die silbern glänzende Kugel in einer halben Stunde einmal rund um die Hauptstadt dreht? Die Antwort ist klar: Es schmeckt nach Berlin – was ja eigentlich beim kulinarischen Niveau der Stadt eher eine Drohung wäre, hier aber funktioniert es. Weil Tim Raue die Karte seiner Lebensgeschichte nach kuratiert hat, immer wieder kommen die Verweise auf seine Großmutter, Oma Gerda, die der Fernsehkoch offenkundig wahnsinnig geliebt und von der er viel gelernt hat. Dass man Eisbein nicht labberig dahin kocht, sondern erst mariniert und dann knusprig ausbäckt etwa, so hält er es heute auch im „Sphere“.

Garnelencocktail à la Oma Gerda - immer wieder lecker.

Garnelencocktail à la Oma Gerda – immer wieder lecker.

(Foto: Nils Hasenau)

Beginnen wir mit den Vorspeisen: Es gibt Soljanka, die ostdeutsche Ursuppe, den Garnelencocktail, den der kleine Tim einmal im Jahr im KaDeWe essen durfte und ein wirklich sehr gutes Vitello Tonnato auf Berlinerisch: Der Kalbsbraten ist hauchdünn, aber sehr aromatisch, die Temperatur stimmt, er ist nicht zu kalt und kann deshalb sein Aroma sehr gut entfalten. Daneben liegen Scheiben von säuerlichem Topinambur und kleine Kapern, das Petersilienöl ist würzig, nur die Forellensauce ist etwas zu sparsam aufgetragen und kann deshalb keinen rechten Wumms entfalten. Ansonsten ist das aber ein überraschend guter Start.

Broiler

Die Hauptspeisen sind sehr gute Wirtshausqualität: Das Schweineschnitzel ist weit entfernt von den miesen Convenience-Produkten, die andernorts serviert werden. Es ist gut paniert und buttrig ausgebacken, dazu gibt es ein Süßkartoffelpüree, das eigentlich egal ist, aber dafür ein leicht scharfes, herrlich würziges Letscho und ein großes Stück Kopfsalat in einer wunderbar säuerlichen grünen Soße. Diese Art, immer wieder spannende Akkorde zu setzen, beherrscht Tim Raue fabelhaft.

Ein Broiler, wie er sein soll!

Ein Broiler, wie er sein soll!

(Foto: Nils Hasenau)

Das gelingt auch beim Broiler, dem halben Brathähnchen. Ein halbes Huhn für 28 Euro? Da wird mancher knickerige Berliner genervt die Augen verdrehen. Aber auch hier stimmt die Qualität. Es ist wirklich ein gutes Huhn, außen knusprig, innen saftig. Und es liegt auf einer sehr pikanten und fein abgeschmeckten Paprikasauce, die dem Huhn, das mit Zitronenzeste eingerieben wurde, wahrlich guttut. Genau wie der säuerliche Karottensalat, der noch eine weitere Ebene eröffnet. Der Geschmack ist eben doch mehr als ein Brathuhn vom Kiosk, ein gutes Gericht.

Klopse

Einzig bei den Königsberger Klopsen, Tim Raues Signature-Gericht, tue ich mich schwer: Ja, er hat sie damals beim Staatsbankett für Merkel und Obama gekocht, ja, sie stehen auf jedem seiner Menüs – und ja, sie sind wie eine Hommage an die bewegte Geschichte Berlins.

Die Klopse haben noch Luft nach oben, findet Oetker.

Die Klopse haben noch Luft nach oben, findet Oetker.

(Foto: Nils Hasenau)

Aber irgendwie schmecken diese Klopse nicht, wie sie sollen. Die Kapern sind schon in der Kalbsmasse, das Fleisch ist dunkler als gewöhnlich, irgendwie zerfallen sie auf der Gabel und schmecken doch teilweise zu hart, es ist eine merkwürdige Mischung. Zudem irritieren mich die vielen Brösel obenauf, die einen unangenehmen Crunch bilden, nein, diese Klopse sind nicht mein Fall.

Zum Nachtisch gibt es Klassiker: Ein Bananensplit-Eis, das mit zwei dünnen Scheiben Banane noch etwas Luft nach oben hätte, eine sehr gute Rote Grütze mit rosa Pfeffer und ein Spaghetti-Eis, das im schönen Retro-Fertigbecher daherkommt und geschmacklich eine echte Wucht ist.

Nein, für diese Neueröffnung braucht sich Berlin wirklich nicht zu schämen. Endlich schmeckt der Turm so, wie Berlin öfter schmecken sollte: grundsolide und mit Lust, mal wieder herzukommen.

Fürs „Sphere“ brauchen Gäste ein Ticket mit Zeitfenster, es kostet 28,50 Euro und gilt für 90 Minuten. Speisen und Getränke sind darin noch nicht enthalten. Geöffnet ist von 9 Uhr an, letzte Buchung immer um 20.30 Uhr, Reservierungen hier: tv-turm.de/sphere-tim-raue/tickets