Stand: 10.07.2025 14:14 Uhr
Rund um das Amtsgericht Hannover konzentriert sich die offene Drogenszene der Stadt. Wer vom Hauptbahnhof zum Gericht will, den führt der Weg vorbei an schwer kranken Süchtigen.
Ein Mann hockt an der Mauer des Amtsgerichts. Ein anderer torkelt barfuß und mit nacktem Oberkörper vorbei: Direkt vor den Türen des Amtsgerichts spielt sich eine lebhafte Drogenszene ab, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts haben Sicherheitsbedenken.
„Man fühlt sich nicht sicher“
Eine gebrauchte Spritze liegt in einer Straße neben dem Amtsgericht Hannover.
Christiane Hölscher, Präsidentin des Amtsgerichts sagt, man wisse nie, in welchem Zustand die Drogensüchtigen gerade seien. „Wir haben auch schon Anrufe von Zeugen gehabt, die gesagt haben, sie trauen sich nicht hierher, weil sie Angst haben vor dem, was hier passiert. Ich weiß von der Polizei, dass hier nicht mehr Straftaten passieren als andernorts, aber man fühlt sich trotzdem nicht sicher“, so Hölscher.
Außenmauer grenzt an Platz mit tolerierter offener Drogenszene
Das Gericht ist ein prächtiges Gebäude aus der Kaiserzeit, gelegen im sogenannten Justizviertel gleich hinter dem Hauptbahnhof. Es ist das größte Amtsgericht in Niedersachsen, im modernen Nebengebäude sind weitere Verhandlungsräume und Mitarbeiter untergebracht. An den Außenmauern grenzt der Platz, auf dem die Stadt eine offene Drogenszene toleriert. Vor allem an warmen Tagen lagern dort Dutzende schwer suchtkranke Menschen. Gleich nebenan ist das Stellwerk, ein Ort, an dem Drogen im geschützten Rahmen konsumiert werden dürfen.
Im Rahmen eines Modellprojekts will die Landeshauptstadt Lösungen für die zunehmende Verbreitung synthetischer Drogen entwickeln.
Personalrat: „Das war heute für mich der absolute Höhepunkt“
Thomas Steinbrecher, Vorsitzender des Personalrats, hat sein Büro im Erdgeschoss. Bei ihm landen Beschwerden der Belegschaft: von Frauen etwa, die Sorge haben, alleine Richtung Hauptbahnhof zu gehen. Er beschreibt einen Vorfall vom Morgen. „Da erreiche ich mein Büro, schließe auf und gucke nach außen. Und da erbricht sich doch tatsächlich jemand an meinem Fenster, während ich mein Büro betrete. Da war ich komplett platt. Wir haben so vieles erlebt, ja, aber das war heute für mich der absolute Höhepunkt.“
„Wir brauchen einen Drogenakzeptanzplatz in der Stadt“
Drogenabhängige sitzen in einer Straße neben dem Amtsgericht Hannover.
Der Konflikt schwelt schon seit Jahren. Die Stadt Hannover hat bereits in die Sicherheit rund um das Amtsgericht investiert, sagt Sozialdezernentin Sylvia Bruns: verstärkte Reinigung, mehr Sozialarbeiter im Stellwerk und auf den Flächen außerhalb durch die Stadt Hannover. Die Zusammenarbeit zwischen Ordnungsdienst und Polizei wurde verstärkt, es gibt mehr Präsenz. Am Ende gehe es um kranke Menschen, die auch sonst in der Stadt keinen weiteren Ort haben. Bruns: „Wir brauchen einen Drogenakzeptanzplatz in der Stadt. Zum einen für die anderen Bürgerinnen und Bürger, weil wir nicht wollen, dass sich die Szene über die ganze Stadt ausbreitet. Und zum anderen auch für die Menschen, die wir sozialarbeiterisch betreuen. Denn die müssen einen Platz haben, wo wir sie auch finden und wo sie auch für die Polizei zugänglich sind.“
Die Fassade des Amtsgerichts dient mitunter als Drogenverstreck. Das Grundproblem ist nicht einfach zu beheben.
Gerichtspräsidentin: „Direkt an unserem Gebäude passieren jeden Tag Straftaten“
Dass die Polizeipräsenz etwas Abhilfe geschaffen hat, beschreibt auch Gerichtspräsidentin Hölscher. Und doch: Bei einem Gang um das Gebäude sind deutliche Lücken im Mauerwerk zu sehen – vermutlich Verstecke für Drogenpäckchen. „Wir sind der Rechtsstaat, wir verkörpern die dritte Säule unserer Demokratie. Und hier, direkt an unserem Gebäude, passieren jeden Tag Straftaten, die wir dann ein halbes Jahr später in unserem Gerichtssaal teilweise zu verhandeln haben. Wenn man sich anguckt, dass die Fassade als Drogenbunker missbraucht wird, dann ist das Amtsgericht Beweismittel in einem Strafverfahren. Ich finde das an Absurdität gar nicht zu übertreffen.“
Der tiefer gelegene Raschplatz soll einem Boulevard weichen. Am Nun stellte die Stadt ihre Pläne den Anwohnern vor.
Vor dem Treffpunkt der Sucht- und Obdachlosenszene lag früher viel Müll. Heute räumt die Szene selbst auf und putzt gemeinsam.
Für viele Suchtkranke ist der Weg zurück in den Alltag steinig. Oft fehlt es an Hilfe wie Beratungsstellen oder Drogenkonsumräumen. Ein Grund ist die unsichere Finanzierung.