Gelsenkirchen. Nur zwei warme Sommerwochen: sechs Tote. Jetzt ist wieder Badewetter angesagt. Ein Experte der DLRG sagt, wo und warum es hier so gefährlich ist.

In Köln starb ein dreijähriger Junge in einem Strandbad am Rather See. In Düsseldorf am Rhein endete das Baden am Paradiesstrand für einen Mann tödlich. Und in Mülheim ist eine Frau durch einen Sprung von einer Brücke in die Ruhr ums Leben gekommen. Die beiden vergangenen Sommerwochen haben Badetote gefordert. Allein an einem Wochenende sind nach Angaben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) mindestens 15 Menschen bei Badeunfällen in Deutschland ums Leben gekommen. „Es war das tödlichste Wochenende in diesem Jahr und eines der tödlichsten der letzten zehn Jahre.“

Schwere Badeunglücke hat es auch schon in Gelsenkirchen gegeben. Allerdings liegen diese tragischen Ereignisse länger zurück. Trotzdem: „Auch in Gelsenkirchen gibt es ebenso beliebte wie gefährliche Hotspots“, sagt Corvin Friedrich, Technischer Leiter Einsatz bei der hiesigen DLRG-Ortsgruppe. Er kennt diese Zonen alle und sagt deshalb: „Das Risiko ist hoch, wer in den Kanal springt, spielt mit seinem Leben.“

  • Badeunfälle im Rhein-Herne-Kanal in Gelsenkirchen
  • 2016: Ein junger Mann hatte im -Kanal Kreislaufprobleme und wurde von anderen Badegästen gerettet.
  • 2008: Ein 17-Jähriger ertrank nach einem Badeunfall im Kanal.
  • 2011: Ein Matrose ertrank im Kanal, nachdem er offenbar bei einem Anlegemanöver ins Wasser gefallen war. 

Die Zahl der Ertrunkenen in Deutschland steigt laut DLRG seit einigen Jahren. Allein 2024 ertranken 411 Menschen, 31 mehr als im Jahr zuvor.

Gefährliche Badestellen in Gelsenkirchen – ein Hotspot ist die „Schweinebucht“

Vier Hotspots gibt es demnach in Gelsenkirchen. Einer der beliebtesten und ältesten ist die „Schweinebucht“. Gemeint ist damit der Abschnitt an den Sutumer Brücken in Höhe der Kurt-Schumacher-Straße bis zum neuen Pumpwerk. Ganze Generationen von Arbeitern haben hier mit Kind und Kegel Abkühlung gesucht.

Ihren Namen verdankt die Örtlichkeit – so ist es nachzulesen – unter anderem durch wilde Müllkippen. Vieles landete in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur am Ufer, sondern auch im Wasser. Heute ist es mit illegalen Müllkippen nicht viel anders. Gelsenkirchens Feuerwehrtaucher sind bei ihren (Übungs-)Einsätzen schon auf alles Mögliche gestoßen: Motorräder, Roller, Eisenstangen, baumdickes Treibholz, haufenweise leere und zerborstene Glasflaschen und anderer Müll. 

Corvin Friedrich (37), Technischer Leiter Einsatz bei der Gelsenkirchener DLRG.

„Man weiß nie, was da unten liegt. Das Risiko ist hoch, wer in den Kanal springt, spielt mit seinem Leben.“

Corvin Friedrich (37)

Technischer Leiter Einsatz bei der Gelsenkirchener DLRG

„Im Wasser treibende oder versunkene Gegenstände gehören zu den Hauptrisiken für Schwimmer“, erklärt Friedrich. Und weil das Wasser trüb sei, steige die Gefahr sogar noch. Denn wie tief das Wasser ist, ist nicht erkennbar, und was sich im oder unter Wasser befindet, auch nicht. Wer dann auf ein solches Hindernis aufprallt, etwa bei einem Sprung von der Spundwand oder sogar von einer Brücke, dem drohen schwerste Verletzungen – von Querschnittslähmungen bis hin zum Tod.

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Vielfach wird unterschätzt, welche Kräfte wirken. Dazu ein kleiner Exkurs: Wer aus fünf Metern Höhe ins Wasser springt, erreicht dabei eine Geschwindigkeit von fast 35 Kilometern pro Stunde. Bei zehn Metern Höhe sind es schon fast 50 und bei 15 Metern rund 60 Kilometer pro Stunde. Wer da irgendwo auf etwas Hartes beim Eintauchen aufprallt, riskiert zumindest einen Knochenbruch.

„Hotspot Nummer zwei ist der Hafen Hugo in Höhe der Adenauerallee und der Uechtingstraße“, zählt Corvin Friedrich den nächsten neuralgischen Ort auf. Seiner Erfahrung nach liegt in der Nähe des Kunstwerks und Gasspeichers „Der Ball“ (blau-gelbe Kugel) ein „beliebter Sprungplatz“. Entweder von den gut zwei Meter höher gelegenen Spundwänden oder auch von der nahen Brücke und den Versorgungsleitungen.

Neuerdings nach Angaben der DLRG ein Hotspot für Erfrischungssuchende: Die Emschereinmündung im Nordsternpark. Hier soll mal Gelsenkirchens erster Emscherstrand entstehen.

Neuerdings nach Angaben der DLRG ein Hotspot für Erfrischungssuchende: Die Emschereinmündung im Nordsternpark. Hier soll mal Gelsenkirchens erster Emscherstrand entstehen.
© Emschergenossenschaft

Dazu kommt als Drittes der Kanalabschnitt in Höhe des Amphitheaters im Nordsternpark, dort wo sich die mit Graffiti besprühte Wand befindet sowie als Nummer vier neuerdings die Einmündung der Emscher in den Rhein-Herne-Kanal auf dem IGA-Gelände, dort, wo sich bald der erste Emscherstrand in Gelsenkirchen befinden könnte.

Baden im Kanal ist verboten

Baden im Kanal ist in Deutschland verboten und gefährlich. Es drohen Bußgelder von 50 bis 75 Euro, im Wiederholungsfall sogar bis zu 200 Euro. Kanäle sind Schifffahrtswege und keine Badegewässer. Vielerorts wird es aber geduldet.

Den Berger See in Gelsenkirchen für eine Abkühlung zu nutzen, ist laut DLRG keine gute Idee. „Er ist sehr schlammig, wenn man da hineingeht, versinkt man schnell knietief im Matsch“, berichtet Corvin Friedrich von der DLRG.

„Strömungen, die starke Sogwirkung durch vorbeifahrende Schiffe, die schlechte Wasserqualität und die Gefahr von einem Kreislaufkollaps werden im Kanal für Badende zur Gefahr“, erklärt der 37-jährige Retter und hauptberufliche Koch. In der Regel ist die Fließgeschwindigkeit des Kanalwassers eher gering. Bringen die Schleusen in Gelsenkirchen und Herne zeitgleich Schiffe runter und öffnen ihre Tore, sieht das laut Friedrich allerdings ganz anders aus. Dann ergießen sich allein in Gelsenkirchen 40 Millionen Liter in den Kanal und sorgen für ordentlich Bewegung.

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© Die DRLG hat ihren Stützpunkt im Gelsenkirchener Stadthafen, direkt bei Müller‘s Mühle. | Nikos Kimerlis

Nicht zu unterschätzen ist demnach auch, wenn die langen Frachtschiffe durchs Wasser pflügen. Mit über 100 Metern Länge und gut zehn Metern Breite verdrängt so ein Lastkahn mehrere Tausend Tonnen Wasser. Wer mal an einer Buhne am Rhein gestanden hat, erinnert sich vielleicht daran, dass zwischen Wasser und eigentlichem Ufer plötzlich eine metergroße Lücke klafft, die kurz darauf wieder überflutet wird. das ist der Wasserverdrängung der dicken pötte geschuldet.

„Selbst geübte Schwimmer bekommen daher riesige Probleme“, so Friedrich, Ungeübte werden schlichtweg mitgerissen, wie ein Blatt im Wind. „Schiffe anzuschwimmen oder gar zu entern ist lebensgefährlich“, warnt der 37-Jährige weiter. „Eine Schiffsschraube wirke wie ein riesiger Häcksler. Da bleibt von einem nichts übrig.“

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Und was hat es mit der Emscher im Nordsternpark auf sich, die ist doch seit 2022 abwasserfrei? „Das schon, aber das heißt nicht, dass der Fluss bereits die erforderliche Wasserqualität für das Baden hat. Immerhin war die Emscher jahrzehntelang als offener Abwasserlauf genutzt. Aus hygienischen Gründen ist vom Baden noch abzuraten, nicht, dass man sich da ‘was einfängt“, sagt der Gelsenkirchener Retter.

Zusätzliche Gefahr droht durch das Betonbett, in das der Fluss über weiter Strecken gezwängt worden ist. Glitschige Ablagerungen provozieren Stürze. Und bei Hitze droht wegen des großen Temperaturunterschiedes zwischen Luft und Wasser sowohl an Emscher als auch am Rhein-Herne-Kanal ein Kreislaufkollaps. „Schlecht, wenn man im Wasser nicht mehr Herr seiner Sinne ist“, sagt FRiedrich zum Abschluss.