Tourreporter

Stand: 11.07.2025 07:15 Uhr

Die siebte Etappe der Tour de France führt durch Yffiniac, den Heimatort von Bernard Hinault, dem letzten französischen Toursieger. Seit 40 Jahren wartet Frankreich nun schon auf dessen Nachfolger. Für junge französische Radprofis ein enormer Druck.


Michael Ostermann

Der Ort wird besonders geschmückt sein, wie alle Orte in Frankreich, durch die die Tour de France kommt. Voll wird es sein am Straßenrand, es wird Tische, Stühle, Speisen und Getränke geben – auch das wie überall. Das Peloton wird auf der D712 von Osten her hineinfahren nach Yffiniac in der Bretagne und dann auf die D10 abbiegen Richtung Saint Brieuc.

120,5 Kilometer sind es von Yffiniac noch bis ins Ziel und die meisten Fahrer werden keinen Gedanken an den Ort mit seinen knapp 5.000 Einwohnern verschwenden. Eine weitere Ortsdurchfahrt in Frankreich halt. Allenfalls der ein oder andere der 38 französischen Radprofis im Feld wird wissen, dass sie historischen Grund befahren. Yffiniac ist der Heimatort von Bernard Hinault – das ewige Trauma des französischen Radsports.

Hinault: „Sie haben keine Chance“

Hinault, der in Yffiniac aufwuchs und mit dem Radsport begann, hat fünf Mal die Tour de France gewonnen. Sein letzter Sieg datiert aus dem Jahr 1985, und es war gleichzeitig das letzte Mal, dass ein Franzose in Paris im Gelben Trikot auf dem Podium in Paris stand. Seit 40 Jahren wartet die Grande Nation auf einen Toursieg – eine Ewigkeit. Und eine Last für alle französischen Radprofis, auch weil Hinault selbst immer wieder in der Wunde bohrt.

„Es ist eine schreckliche Feststellung, aber sie ist unvermeidlich: Es gibt in Frankreich keine großen Champions mehr, die die Tour gewinnen können“, sagte der mittlerweile 70 Jahre alte Hinault vor dem Start der Tour de France in der Sportzeitung L’Equipe. Die französischen Fahrer hätten keine großen Motoren mit 1000, sondern nur noch mit 750 Kubikzentimeter. „Sie tun zweifellos alles, um es zu schaffen, aber sie haben nicht die Ergebnisse und vor allem keine Chance, die Tour zu gewinnen.“

„Jeder französische Fahrer kennt die Lücke“

Der zweimalige Weltmeister Julian Alaphilippe wurde sieben Jahre nach Hinaults letztem Sieg geboren. 2019 beflügelte er die Fantasie der französischen Radsportfans, als er sich nach der dritten Etappe der Tour das Gelbe Trikot überstreifte und erst auf der 19. Etappe wieder abgab an den späteren Sieger Egan Bernal.“Jeder französischer Fahrer kennt die Lücke zwischen Bernard und heute“, erklärte Alaphilippe vor dem Start der Tour. Aber weder er, noch der nächste französische Toursieger werde sich damit beschäftigen, sagt er.

Auch Guillaume Martin, 32, vom Team Groupama-FDJ, kennt die Diskussion um die lange Durststrecke und das Warten auf den nächsten Hinault. Dem studierten Philosophen sind Hinaults Argumente zu dünn. „Was bedeutet es, dass sie nicht die Mittel haben? Sie können die Tour nicht gewinnen, weil sie nicht stark genug sind. Das ist eine Tatsache, sonst würden sie die Tour gewinnen.“ Martin verweist auf die Generationsunterschiede. „Man kann den Radsport von 40 Jahren nicht mit dem von heute vergleichen“, sagt er. Damals hätten fünf oder sechs große Nationen um den Toursieg gekämpft. „Heute haben wir einen globalisierten Radsport.“

Eine andere Zeit, ein anderer Radsport

In Hinaults Zeit fällt der Übergang vom traditionellen von den Radsportnationen geprägten hin zu einem globalisierten und kommerzialisierten Radsport. Bei Hinaults erster Tour 1978 standen elf Teams am Start, darunter sechs Mannschaften aus Frankreich. Als er acht Jahre später zum letzten Mal zur Tour aufbrach waren es 21 Teams, darunter zwei aus Kolumbien und eins aus den USA. Der Sieger stammte aus Hinaults Team La Vie Claire: Nach einem teaminternen Zweikampf holte sich der US-Amerikaner Greg LeMond das Gelbe Trikot. Er war der erste Nicht-Europäer, der die Tour gewann.

In diesem Jahr starteten 184 Fahrer in die Tour de France. Auch aus Asien, Afrika und Ozeanien sind Radprofis am Start. Zwar stellt Frankreich mit 38 Startern immer noch den größten Anteil, aber die Konkurrenz ist internationaler und damit größer geworden. Hinzu kommt, die finanzstärksten Teams stammen auch nicht aus dem Heimatland der Tour. Die französischen Teams befinden sich auf der unteren ökonomischen Stufe der World Tour und kämpfen teilweise um ihre Zukunft wie etwa das Team Arkea-B&B Hotels, das zur kommenden Saison einen neuen Hauptsponsor sucht.

Pinot und Bardet litten unter dem Druck

Doch all diesen Entwicklungen zum Trotz, sucht Frankreich weiter nach dem nächsten Hinault. Der Druck auf junge Fahrer ist enorm. Als der damals 22 Jahre alte Thibaut Pinot bei der Tour 2012 seinen ersten Etappensieg einfuhr, titelte die französische Sportzeitung L’Equipe am nächsten Tag: „Aber kann er auch die Tour gewinnen?“

2016 stand er als Dritter auf dem Podium in Paris und 2019 sah es sogar aus, als könne Pinot es tatsächlich schaffen: Er war in der Form seines Lebens, bis ihn auf der 19. Etappe eine Knieverletzung stoppte. Vor zwei Jahren beendete er seine Karriere. Geliebt haben ihn seine Landsleute trotzdem. Und der eher zurückhaltende Pinot bekannte zum Abschied: „Ich bin froh, die Tour nicht gewonnen zu haben. Ich wage gar nicht mir vorzustellen, was sonst los gewesen wäre.“

Ähnliche Erfahrungen machte Romain Bardet. Der Mann aus der Auvergne war so nah dran an einem Toursieg wie kein anderer Franzose in den vergangenen zehn Jahren. 2016 beendete er die Rundfahrt als Zweiter mit rund vier Minuten Rückstand auf den damaligen Sieger Christopher Froome. Auch Bardet hat seine Karriere kürzlich beendet. Als er im vergangenen Jahr die erste Etappe der Tour gewann und einen Tag lang das Gelbe Trikot tragen durfte, wirkte er wie befreit: „Es ist das erste Mal, dass ich vor dem Start der Tour de France gelächelt habe. Nicht im Gesamtklassement mitzufahren, nimmt mir enormen Druck.“

Romain Bardet im Gelben Trikot bei der Tour de France 2024

Seixas und Vauquelin sind die nächsten Hoffnungsträger

Der lastet jetzt auf anderen. Als größtes Talent des franzöischen Radsports gilt der 18 Jahre alte Paul Seixas aus Lyon, der die Dauphiné-Rundfahrt im Juni auf Rang acht beendete und alles mitbringt, was einen guten Rundfahrer ausmacht. Seixas ist in diesem Jahr noch nicht dabei bei der Tour, doch die Erwartungen sind geweckt. „Er wird eine Menge Druck zu spüren bekommen, der nächste Hinault zu sein“, erklärte Warren Barguil, Gewinner des Bergtrikots bei der Tour 2017 und früher ebenfalls mal als möglicher Nachfolger Hinaults gehandelt, dem Portal „The Athletic“. „Es ist immer das gleiche, wenn eine Reihe guter Erfolge hat – Hinault.“

Das bekommt in diesen Tagen auch Kevin Vauquelin zu spüren. Der 24-Jährige fährt sich gerade in die Herzen seiner Landsleute. Zuletzt wurde er Zweiter bei der Tour de Suisse. Vauquelin stammt aus Bayeux, dem Startort der sechsten Etappe. Und nach diesem Teilstück und einem entfesseten Zeitfahren am Tag zuvor liegt er auf Rang vier der Gesamtwertung mit einer Minute Rückstand auf Mathieu van der Poel.

In Bayeux war natürlich die Familie zu Besuch, der Papa, die Mama, der Bruder, die Freundin. Sie alle mussten Interviews geben und konnten es gar nicht fassen. „Das ist verrückt, das ist wahnsinnig, wie leben einen Traum“, sagte Vauquelins Mutter Valerie. „Man kann es gar nicht glauben, dass so viele Journalisten da sind. Wir sind das nicht gewohnt, das ist ein komisches Gefühl.“

Während Valerie Vauquelin später noch ein paar Tränen verdrückte, war man in Vauquelins Team darum bemüht, den Hype irgendwie einzufangen. „Alle reden jetzt über Hinault – Tatitata“, sagte der Sportliche Leiter des Teams Arkea-B&B-Hotels, Yvon Landois, „aber es gibt nur einen Hinault. Und er heißt Kevin Vauquelin. Kevin steht am Anfang seiner Karriere. Er ist ein sehr guter Fahrer, aber muss noch viel beweisen und lernen, bevor er Anspruch auf den Sieg bei der Tour erheben kann.“ So lange bleibt es bei jeder guten Leistung eines Franzosen: Hinault.