Hotspots des Übertourismus
Die besonders vom Übertourismus betroffenen Orte lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Mittelmeer-Badeorte, alpine Skiorte und historische Städte, die sich für Kurztrips großer Beliebtheit erfreuen. Besonders drastisch zeigt sich das Missverhältnis zwischen Touristenzahlen und lokaler Bevölkerung auf den griechischen Inseln, an der nordkroatischen Adriaküste sowie in den Skidörfern der Tiroler Alpen. Diese Regionen haben ohnehin geringe ganzjährige Einwohnerzahlen, da viele Arbeitskräfte nach Saisonende abwandern. Was die schiere Dichte an Besucherinnen und Besuchern in urbanen Räumen betrifft, stehen die Städte jedoch oft noch schlechter da. Besonders Paris war im Jahr 2024 extrem betroffen: Mit über 400.000 Touristinnen und Touristen pro Quadratkilometer kamen dort zwanzigmal so viele Besucher wie Einheimische — weit mehr als in den nächstplatzierten Städten Athen (88.000) und Kopenhagen (64.000). Es gibt auch Ausnahmen außerhalb dieser Hauptkategorien: Auf den Kanarischen Inseln Lanzarote und Fuerteventura vor der afrikanischen Küste ist das Verhältnis von Gästen zu Einheimischen ähnlich stark aus dem Gleichgewicht geraten — ebenso, und überraschenderweise, auf den deutschen Nord- und Ostseeinseln.
Auch zweitrangige Reiseziele geraten unter Druck. Albanien — der letzte noch etwas unerschlossene Winkel des Mittelmeers — verzeichnet mittlerweile einen starken Pauschaltourismus aus Mittel- und Osteuropa. Was “unentdeckte” Städte angeht, so hat der Aufstieg der Billigflieger ihre Zahl so weit reduziert, dass ein Ort wie Porto — der lange als weniger hektische Alternative zu Lissabon angepriesen wurde — mittlerweile fast so belebt ist wie die portugiesische Hauptstadt.
Wer ist schuld?
Die potenziellen Verursacher schieben sich gegenseitig die Schuld zu: Airbnb behauptet, die Hotels seien für das Problem verantwortlich, da sie den Sektor dominieren und 80 % aller jährlichen Übernachtungen in Europa ausmachen. Der europäische Hotelriese Tui kontert, Airbnb trage die Hauptverantwortung, weil Kurzzeitvermietungen dem Markt für Langzeitmieten direkt schaden. Einige Anbieter von Kurzzeitvermietungen wiederum geben “digitalen Nomaden” die Schuld: Diese würden mit ihren mittelfristigen Aufenthalten in Städten wie Lissabon oder Berlin die Mieten in die Höhe treiben und einkommensschwächere Einheimische verdrängen.
Regierungsvertreter beklagen den Übertourismus – und genehmigen gleichzeitig den Bau neuer Hotels und den Ausbau von Flughäfen. Auch das veränderte Reiseverhalten trägt möglicherweise zur Verschärfung des Problems bei: Der Trend zum sogenannten “Bucket-List”-Tourismus führt dazu, dass Menschen im Eiltempo berühmte Sehenswürdigkeiten “abhaken”. Anstatt eine Stadt oder Region wirklich zu erleben und ihre Atmosphäre zu genießen, drängen sich Reisende an Orte, die “instagrammable” sind und durch soziale Medien Berühmtheit erlangt haben – etwa die Rue Crémieux in Paris oder die Ponte dei Salti in der Schweiz.
Ist Massentourismus wirklich so schlimm?
Regierungen, die den Tourismus aktiv fördern, betrachten ihn als eine im Vergleich zur Industrie weniger umweltschädliche Quelle des Wohlstands — sowie als Möglichkeit, den Erhalt des nationalen Kulturerbes zu finanzieren. Für viele Menschen zählt das Reisen und das Erleben des Unbekannten nach wie vor zu den schönsten Erlebnissen ihres Lebens. Nachhaltig gestaltet, kann Tourismus das gegenseitige Verständnis und die Wertschätzung zwischen Gästen und Gastgebern stärken. Manche Regionen, die bislang eher abseits der touristischen Hauptströme lagen, heißen auch heute noch neue Besucher ausdrücklich willkommen.
Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass der Übertourismus zum Sündenbock für eine Reihe anderer gesellschaftlicher Probleme gemacht wurde. So sehr Airbnb-Nutzer auch kritisiert werden: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum lässt sich eher durch den Bau neuer Wohnungen beheben als durch ein Verbot von Kurzzeitvermietungen. Oft richtet sich der Unmut der Einheimischen weniger gegen die Touristinnen und Touristen selbst als gegen die dahinterstehende Industrie. Protestparolen berufen sich auf Ideen von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit und kritisieren, dass große Konzerne die Gewinne aus dem Tourismus abschöpfen — zum Nachteil der lokalen Bevölkerung. Kreuzfahrtanbieter stehen besonders in der Kritik: Sie sorgen dafür, dass Reisende auf dem Schiff essen und sich unterhalten, bevor sie zu Tausenden in historische, dicht besiedelte Städte ausgeschifft werden.
Wenn Touristinnen und Touristen tatsächlich nur nähmen, ohne etwas zurückzugeben, würden sich Regierungen wohl kaum so sehr um sie bemühen. Die griechische Tourismusbranche erwirtschaftete im Jahr 2024 Rekordeinnahmen: 21,7 Milliarden Euro an direkten Einnahmen flossen ins Land. Die indirekten Einnahmen — etwa durch Ausgaben in Bars und Restaurants — beliefen sich auf 42,7 Milliarden Euro. Das zeigt: Es profitieren nicht nur Hotels und Reiseveranstalter, sondern auch viele andere Teile der lokalen Wirtschaft.
Für die Menschen in den am stärksten frequentierten Reisezielen ist es jedoch nur ein schwacher Trost, wenn die Branche zwar den Laden nebenan stärkt, gleichzeitig aber das eigene Leben erschwert. Überfüllte Straßen, gestörter Schlaf und steigende Mieten zählen vielerorts zum Alltag. Die Pandemie könnte dabei eine Art Wendepunkt markiert haben: In der Phase zwischen dem Ende der Lockdowns und der breiten Rückkehr des Massentourismus hatten viele die Gelegenheit, ihre Städte ohne Touristentrubel neu zu erleben — und sie sich als Orte vorzustellen, die primär den Bewohnerinnen und Bewohnern gehören. Da die Besucherzahlen inzwischen wieder das Niveau von vor der Pandemie erreichen oder leicht überschreiten, fällt es vielen schwer, den einst gewonnenen Frieden wieder aufzugeben.
Der Unmut der Einheimischen könnte möglicherweise gemindert werden, wenn sich Touristinnen und Touristen rücksichtsvoller verhalten würden. Als ein Besucher in Island ein Moosfeld – das nur sehr langsam wächst – beschädigte, indem er “Send nudes” hineinschnitzte, lag das Problem offensichtlich nicht in der bloßen Zahl der Touristen, sondern im Verhalten einzelner Personen. Oft jedoch ist es schlichtweg die Überfüllung, die eine Situation als unerträglich erscheinen lässt. Jahrelang zog ein riesiges “I Amsterdam”-Schriftzeichen neben dem Rijksmuseum in der niederländischen Hauptstadt unzählige Selfie-Touristen an. Obwohl es dabei nicht zu Fehlverhalten kam, wurde die Installation 2018 entfernt – weil selbst der weitläufige Platz, auf dem es stand, ständig mit Menschen überfüllt war.
Gegenwehr?
Regierungen versuchen, den Tourismus besser zu steuern, indem sie alternative Reiseziele fördern. Einige Stadtverwaltungen gehen zudem gezielt gegen die Umwandlung von regulären Mietwohnungen in dauerhafte Airbnb-Unterkünfte vor, indem sie die Zahl der jährlich erlaubten Vermietungstage begrenzen — in London und Paris etwa auf 90 Tage pro Jahr. In Schottland und vielen Regionen Kaliforniens müssen Vermieter mittlerweile eine begrenzte Zahl an Lizenzen für Kurzzeitvermietungen beantragen. Mancherorts gibt es auch komplette Verbote: In New York ist die Vermietung von Wohnungen für Aufenthalte unter 30 Tagen untersagt, während Barcelona keine neuen Lizenzen mehr vergibt — was bedeutet, dass legale Kurzzeitvermietungen dort ab 2028 auslaufen werden.
Auch über Steuern versuchen Städte, Touristenströme zu lenken – oder zumindest deren negative Folgen finanziell abzufedern. Venedig erhebt an den 54 besucherstärksten Tagen im Jahr eine Eintrittsgebühr: fünf Euro bei Buchung bis vier Tage im Voraus, zehn Euro bei späterer Anmeldung. Neuseeland verlangt eine einmalige Einreisegebühr von 100 neuseeländischen Dollar (rund 51 Euro), wobei australische Staatsbürger davon ausgenommen sind.
Einige Städte haben ihre Bau- und Planungsvorschriften verschärft, um zu verhindern, dass der Tourismus die lokale Wirtschaft verdrängt. Barcelona hat historischen Geschäften besonderen Schutzstatus verliehen, während Amsterdam neue Geschäfte im Stadtzentrum untersagt hat, die sich ausschließlich an Touristinnen und Touristen richten. Gleichzeitig unterstützt die Stadt gemeinnützige Organisationen finanziell dabei, alternative, gemeinwohlorientierte Ladenkonzepte zu realisieren.
Um der Überfüllung entgegenzuwirken, präsentiert Amsterdams zentrales Tourismusportal inzwischen weniger bekannte Sehenswürdigkeiten als Hauptattraktionen – etwa ein Schloss in einem Vorort, ein Kunstzentrum in einem umgebauten Gaswerk oder eine Brauerei, die kein Heineken produziert. Einige Orte gehen noch restriktiver vor: So haben Behörden an beliebten Fotospots am Vulkan Fuji in Japan und in den österreichischen Alpen Sichtbarrieren errichtet, um Menschenmengen gezielt fernzuhalten.
Keine europäische Regierung strebt derzeit eine gezielte Reduzierung des Tourismus an. Auf der griechischen Insel Santorini, deren Umwelt an die Belastungsgrenze gerät, wurde die Zahl der täglichen Ankünfte per Schiff auf 8.000 begrenzt – mit Vorrang für nachhaltigere Reedereien. Zudem sind neue Hotelbauten untersagt. Eine bewusste Reduzierung der Besucherzahlen in Griechenland oder anderen Mittelmeerländern gilt jedoch als politisch und wirtschaftlich kaum durchsetzbar – zu sehr sind viele Staaten auf Einnahmen aus der Tourismussteuer zur Bedienung ihrer hohen Staatsschulden angewiesen.
Sind die Maßnahmen gegen den Übertourismus wirksam?
Mit einem Wort: nein. Oder zumindest noch nicht. Gesetze, die die Anzahl der Nächte begrenzen, für die eine Wohnung vermietet werden darf, sind schwer zu kontrollieren, sodass Vermieter gegen das Gesetz verstoßen können, ohne dafür bestraft zu werden. Und Verbote wie das in Barcelona haben die Wohnungskrise der Stadt nicht unbedingt entschärft, auch weil ehemalige Vermieter von Kurzzeitunterkünften ihre Wohnungen nun als unregulierte, teurere Mittelzeitmietobjekte vermieten, anstatt sie Langzeitmietern zur Verfügung zu stellen. Es wird schwierig sein, die Wirksamkeit der Politik der katalanischen Hauptstadt zu beurteilen, bevor sie 2028 vollständig in Kraft tritt.
Kurz gesagt: nein – oder zumindest noch nicht. Vorschriften zur Begrenzung der Vermietungstage sind schwer zu kontrollieren, viele Vermieter umgehen die Regeln unbehelligt. Und Vermietungsverbote wie das in Barcelona haben die Wohnungsnot bislang nicht spürbar entschärft. Ein Grund: Ehemalige Kurzzeitvermieter bieten ihre Wohnungen nun als unregulierte, teurere mittelfristige Mietverhältnisse an, statt sie dem Langzeitmarkt zurückzuführen. Ob die Maßnahmen der katalanischen Hauptstadt tatsächlich greifen, lässt sich voraussichtlich erst 2028 bewerten – wenn das neue Regelwerk vollständig in Kraft ist.
Tourismussteuern sorgen zwar für zusätzliche Einnahmen, reduzieren aber kaum die Besucherzahlen. Laut Greg Richards, Dozent für Freizeit- und Eventmanagement an der Universität Breda, zeigen Untersuchungen in Amsterdam, dass die dortige Übernachtungssteuer von derzeit 12,5 % erst dann abschreckend wirkt, wenn sie verdreifacht würde. Zwar lenkt die gezielte Bewerbung ruhigerer Reiseziele tatsächlich Besucher um – doch die frei gewordenen Plätze in den Hotspots werden meist sofort von neuen Touristen aufgefüllt. Ein Rückgang der Gesamtzahlen bleibt somit aus.
Gebühren können entlasten – aber nicht ohne Folgen. Im stark frequentierten Parc Güell in Barcelona, entworfen von Antoni Gaudí, hat sich die Besucherzahl nach Einführung von Eintritt und Reservierungspflicht halbiert. Zwar müssen Einheimische nichts zahlen, doch auch sie müssen nun vorab buchen. Der Park ist dadurch für die lokale Bevölkerung deutlich weniger frei zugänglich als früher.
Überschrift des Artikels im Original:Are Tourists Ruining Europe? How Locals Are Pushing Back
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