Das Heranwachsen ist im Grunde eine einzige Abfolge von Irritationen. Insofern erfüllt „Der Fleck“, das Regiedebüt von Willy Hans, das zentrale Kriterium eines Coming-of-Age-Films, auch wenn er ansonsten auf gängige Motive und Konflikte des Genres verzichtet. Stattdessen lässt er sich auf die Momente ein, die geschätzte 90 Prozent des Alltags eines Teenagers kurz vor Beginn der Sommerferien ausmachen. Es ist ein Film der Launen und Stimmungen, viele von ihnen so diffus, dass sie zu immer wieder neuen Irritationen führen.

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Das fängt schon mit der Entscheidung des 17-jährigen Simon (Leo Konrad Kuhn) an, ohne sichtlichen Anlass den Sportunterricht zu schwänzen und sich auf den Weg zu machen. Irgendwohin, Hauptsache weg. Die Egal-Haltung wird durch ein falsch herum angezogenes T-Shirt, auf dem später noch ein Blutfleck landet, schön versinnbildlicht; die Distanz zur Umwelt wiederum durch ein paar blaue Augen, die vorsichtig unter einer Wuschelfrisur hervorblicken. So geht es an einen Fluss, wo der Nachbarsjunge Enes ein paar Freunde trifft. Simon kommt mit – freiwillig zwar, aber auch etwas willenlos.

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Worum genau es in „Der Fleck“ geht, ist letztlich nicht die entscheidende Frage, schon gar nicht an einem heißen Sommertag. Die Kamera von Paul Spengemann, wie der Regisseur ein Schüler der Berliner Filmemacherin Angela Schanelec, saugt zunächst die lethargische Energie am Flussufer auf, sie imitiert die neugierigen und herausfordernden Blicke der Teenager untereinander; manchmal wird gezwinkert, unter einer Decke geknutscht. Die Frage nach den Plänen für die Zeit nach Schule steht kurz im Raum, ohne zufriedenstellende Antwort. Ein Freund von einem aus Gruppe ist Krankenpfleger geworden. Aber die Zukunft ist an diesem Ort totaler Gegenwärtigkeit keine reale Option.

So wenig Zeit für die jugendliche Wahrnehmung eine ernsthafte Kategorie darstellt, so verschwenderisch geht auch „Der Fleck“ mit dieser filmischen Ressource um. Eine weitere Irritation, ein Ball an Simons Kopf (beziehungsweise voll in die Kamera), löst die nächste Suchbewegung in Hans’ Film aus. Simon und Marie (Alva Schäfer), trotz ihrer blauen Haare alles andere als ein „Manic Pixie Girl“, lösen sich von der Gruppe und beginnen durch den Wald zu spazieren.

Und wie schon zuvor geht das gegenseitige Erkunden durch Blicke in einer Art ökologischen Emphase für die Natur auf, die aber nie zur Überhöhung führt. Denn auch das 16-mm-Filmmaterial entwickelt ein Eigenleben. Überbelichtungen, die Perforationen des Negativs zeichnen sich am Rand ab: Sie legen die Bildproduktion offen. Einmal taucht eine Klappe im Bild auf. Szene im Kasten.

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Das Spielerische des filmischen Konzepts spiegelt sich im Rollenspiel der Jugendlichen, darum wäre es falsch, der Erforschung von Gräsern, Insekten, Steinen und Moosen, den tanzenden Sonnenstrahlen in den Blättern Eskapismus zu unterstellen. Die Bilder wirken eher dokumentarisch als poetisch. Denn sie halten einen Zwischenzustand fest (und testen seine Strapazierfähigkeit), in dem die Jugendliche noch über die Autonomie verfügen, sich nicht als voll funktionstüchtige Subjekte der Gesellschaft identifizieren zu müssen.

Er fängt ihre rohe Sprache, ihre unartikulierten Gefühle ein. Ein Flussufer in einem Waldstück, abseits der Betonstrukturen, die die Welt der Eltern verfassen, ist der logische Ort für diese Utopie. Auch wenn im Unterholz sich auch schon der Müll der Zivilisation ausbreitet. Der 43-jährige Willy Hans hat einen der definitiven Filme über die Jugend gemacht – ohne ihr Geheimnis preiszugeben.