Die Fußball-Europameisterschaft der Frauen läuft, die Stadien füllen sich, das Turnier, das allzu lange im Schatten des Männerfußballs stand, erhält breite mediale Aufmerksamkeit. Doch auch 2025 kann der Sport seine Klischeefesseln nicht ganz abschütteln. In den sozialen Medien erhält derzeit ausgerechnet eine Spielerin auffällig viel Aufmerksamkeit, die lange nur auf der Bank saß und erst beim letzten Gruppenspiel ihren Einsatz erhielt: Alisha Lehmann.
Manchmal genieße ich es, wenn sie wütend sind. Dann trage ich mehr Lippenstift auf.
Alisha Lehmann, Schweizer Nationalspielerin
In den Mittelpunkt rückt die 26-jährige Schweizerin – dank ihrer großen Social-Media-Präsenz eine der bekanntesten Figuren des Turniers – aber nicht etwa, weil sich die Fans mehr Spielzeit wünschen würden, sondern aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes.
Zu viel Schminke, zu auffällige Outfits, zu sehr Barbie lauten die gängigen Vorwürfe. Und die Online-Welt diskutiert einmal mehr die Frage: Wie weiblich darf eine Frau im Sport sein?
Der Unmut über weibliche Selbstinszenierung sitzt tief und das Verständnis davon, wie eine „ernsthafte“ Sportlerin auszusehen habe, ist seit jeher ein fragiles. Lehmann, die längst gelernt hat, diesen Vorhaltungen gelassen zu begegnen, kontert mit Ironie. „Manchmal genieße ich es, wenn sie wütend sind. Dann trage ich mehr Lippenstift auf, weil sie gesagt haben, dass es ihnen nicht gefällt“, sagte sie kürzlich im Podcast von Juventus Turin.
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Auch Giulia Gwinn kennt das Spiel mit der Wahrnehmung. Die gerade verletzte Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft gilt als eine der attraktivsten Fußballerinnen der Welt, ein „Playboy“-Angebot lehnte sie dankend ab. Sie wolle nicht „die Schönste“ sein, sondern Zweikämpfe führen, sagt sie. Und muss das offenbar immer wieder in der Öffentlichkeit klarstellen.
Dieses Muster ist nicht neu und beschränkt sich durchaus nicht auf die Fußballwelt. Als Serena Williams 2018 bei den French Open einen medizinisch notwendigen Catsuit trug – zur Prävention von Thrombosen nach der Geburt ihrer Tochter – wurde das Outfit von der Turnierleitung kurzerhand verboten und für die nachfolgenden Jahre ein strenger Dresscode eingeführt. Es sei respektlos gegenüber dem Spiel, hieß es damals.
Bei den French Open löste Tennis-Star Serena Williams 2018 einen regelrechten Skandal aus. Grund: Ihr körperbetonter – und medizinisch notwendiger – Cat Suit.
© imago/GEPA pictures/GEPA pictures/ Matthias Hauer
Auch im „All-White“ Traditionszirkus Wimbledon stieß Williams seit jeher auf Unmut – die erfolgreichste Tennisspielerin aller Zeiten sei zu muskulös, zu laut, zu viel, zu bunt. Ein Vorwurf, unter dem insbesondere nicht-weiße Frauen zu leiden haben.
Sha’Carri Richardson, US-Sprintstar mit langen Nägeln und knallbunten Perücken, wird regelmäßig nicht für ihre Explosivität auf der Bahn, sondern wegen ihrer Vorliebe für extravagantes Styling bewertet – und abgewertet.
Die Turnerin Simone Biles musste erleben, wie ihre Frisur zum Politikum wurde. Während sie vergangenes Jahr bei den Olympischen Spielen mit geradezu übermenschlicher Eleganz durch die Luft schwebte, diskutierte die Netzöffentlichkeit, ob ihr Afro „gepflegt“ genug und dem Event angemessen sei. Biles kommentierte dies scharf mit “Next time you wanna comment on a Black girl’s hair, JUST DON’T”, also „Das nächste Mal, wenn du die Haare eines Schwarzen Mädchens kommentieren willst, lass es einfach“.
Turnerin Simone Biles holte bei Olympia 2024 gleich drei Goldmedaillen. Diskutiert wurde zwischendurch aber auch, ob ihr natürliches Haar dem Turnier angemessen sei.
© IMAGO/AAP/IMAGO/DAN HIMBRECHTS
Das alles ließe sich als Einzelfälle abtun, wenn es nicht so einseitig wäre. Denn männliche Sportstars, die sich inszenieren, werden in der Regel nicht verdächtigt, ihre Disziplin zu beschmutzen. David Beckham war ein Popstar im Fußballtrikot, Cristiano Ronaldo wird zwar zuweilen für seine vermeintliche Eitelkeit belächelt, seine Leistung würde deshalb aber niemand infrage stellen.
Mats Hummels posiert in Modestrecken, Sami Khedira ging durch als smarter Gentleman, Robert Lewandowski trägt regelmäßig neue Haarfarben – die Reaktionen reichten stets von Wohlwollen bis zur kultischen Verehrung. Niemand fragte je, ob ihre Frisur ihnen wohl beim Kopfballspiel hinderlich sei.
Zugegeben, auch Männer sind nicht vollkommen sicher vor Sexualisierung. Der ehemalige isländische Fußballspieler Rúrik Gíslason begeistere bei der WM 2018 mit seinem Aussehen so sehr, dass für ihn sogar der Hashtag #sexyrurik eingeführt wurde. Ohne Frage ist diese Objektifizierung ebenso problematisch wie die von Lehmann oder Gwinn.
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Interessant ist dabei aber, dass Gíslasons Schönheit ihm keine Nachteile einbrachte. Im Gegenteil, die unverhoffte Aufmerksamkeit bescherte ihm neue Fans, lukrative Werbedeale und einen Auftritt – und Sieg – in der Tanzshow „Let’s Dance“. Frei nach dem Motto: Er kickt nicht nur gut, er ist auch schön!
Von Sportlerinnen dagegen scheint die Gesellschaft eine Art geschlechtsneutrale Präsentation zu verlangen – während Frauen gesamtgesellschaftlich regelrecht dafür gerügt werden, wenn sie sich zu wenig „wie eine Frau“ geben.
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Das ist keine Petitesse des Boulevards. Es ist Ausdruck eines tief verankerten Machtverhältnisses, das Sportlerinnen noch immer unter Rechtfertigungsdruck setzt. Ihre Körper sind öffentliche Projektionsflächen. Und so geraten ihre Erfolge schnell aus dem Blick, während sich die Debatte an Äußerlichkeiten festfrisst.
Es wird Zeit, dass wir endlich begreifen: Weiblichkeit ist kein Makel und Individualität keine Provokation. Wenn Sportlerinnen heute bunt, laut, stark und schön zugleich sein wollen, ist das kein Skandal, sondern ein wichtiger Schritt in Richtung echter Gleichberechtigung.