Stand: 11.07.2025 13:02 Uhr

Die Neubesetzung von drei Stellen am Bundesverfassungsgericht bleibt vorerst ungeklärt. Die Abstimmung über die Posten im Bundestag wurde verschoben, nachdem die Union sich gegen die von der SPD nominierte Kandidatin gestellt hatte.

Die für heute im Bundestag geplante Abstimmung über drei neue Richterinnen und Richter für das Bundesverfassungsgericht ist geplatzt. Sowohl Union und SPD als auch die Grünen hatten beantragt, die Wahl komplett zu verschieben. Eine Mehrheit der Abgeordneten votierte für einen neuen Abstimmungstermin. Auch die Linkspartei stimmte dafür, nur die AfD war dagegen. Ein neuer Termin wird nun voraussichtlich nach der Sommerpause stattfinden.

Begonnen hatte der Eklat um die Richterwahl mit Einwänden der Union gegen die von der SPD aufgestellte Kandidatin Frauke Frauke Brosius-Gersdorf. Gegen die Juristin gibt es zudem Vorwürfe im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit. Dadurch stünde ihre fachliche Expertise in Zweifel, hieß es aus der Union. Diese sei „aber zentrales Argument für die Wahl der Kandidatin. Die Union forderte daher die Abstimmung über Brosius-Gersdorf zu verschieben. Die SPD solle ihre Kandidatur zurückziehen.

Identische Passagen in Habilitation des Ehemannes

Laut Stefan Weber, der regelmäßig Doktorarbeiten von Politikern und Prominenten überprüft, gibt es in der Dissertation von Brosius-Gersdorf „23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate“. Der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch sagte der Bild-Zeitung, die Doktorarbeit der Juristin und die Habilitationsschrift ihres Ehemannes enthielten „fast identische Passagen“. Auch Zitierfehler seien „in beiden Werken identisch“.

Auch der luxemburgische Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer erkennt „Textidentitäten“ in der Doktorarbeit der SPD-Kandidatin und in der Habilitation ihres Ehemannes. Doch nach Einschätzung von Zenthöfer wird hier „das vermutliche Opfer zur Täterin gemacht“. Denn: Die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf erschien demnach im Jahr 1997, die Habilitation ihres Mannes Hubertus Gersdorf im Jahr 2000. „Normalerweise ist der Grundsatz in der Plagiatsforschung so: Gibt es Textidentitäten, ist die früher erschienene Arbeit sauber, denn diese Arbeit war zuerst da“, so der Experte.

Scharfe Kritik vonseiten der SPD

Die SPD-Fraktion kam der Forderung der Union, ihre Kandidatur von Brosius-Gersdorf zurückzuziehen, vorerst nicht nach. Stattdessen wurde die Sitzung des Bundestags zeitweilig unterbrochen. Die SPD-Fraktion kam zu einer Sondersitzung zusammen, die Union kündigte Gespräche mit dem Regierungspartner an. Schließlich stimmte das Plenum nach einer Debatte über die Tagesordnung dafür, die Abstimmung über die Besetzung der Richterposten vollständig zu verschieben.

Die abgesagte Abstimmung dürfte zwischen den Regierungspartnern Union und SPD für einige Diskussionen sorgen. Denn aus den Reihen der SPD erntet das Vorgehen der Union scharfe Kritik. „Es ist kein guter Tag für die Demokratie in diesem Land“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Wiese. Er sprach von einer Hetzjagd gegen Brosius-Gersdorf und prangerte die Kehrtwende der Union an.

Denn am Montag habe es im Richterwahlausschuss eine Mehrheit für alle drei Kandidaten gegeben – auch vonseiten der Union. Auch Kanzler Friedrich Merz und Unionsfraktionschef Jens Spahn hatten sich hinter alle drei Kandidaten gestellt.

Auch Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) prangerte den Umgang der Union mit der Kandidatin ihrer Partei an. Der hervorgerufene Eklat um die Richterwahl sei „ein außerordentlich missliches Verfahren und habe zur Folge, dass „ein Stück weit auf jeden Fall auch schon durch dieses Verfahren die Person, um die es geht“, Schaden davontrage. Es gehe aber auch um die Reputation eines Verfassungsorgans, des Bundesverfassungsgerichts. „Insofern ist das kein guter Weg, der bislang hier beschritten worden ist“, betonte Rehlinger.

„Das ist kein Roulette, das man hier spielt“

Die Grünen zeigten sich empört über die Union. Der Vorgang sei ein „Desaster für das Parlament“. Eine Kandidatin in dieser Weise öffentlich zu diffamieren und in den Schmutz zu ziehen, sei beschämend, äußerte sich die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Sie sei „entsetzt“ über das Vorgehen der Union. „Das ist kein Roulette, das man hier spielt“, mahnte sie. Es gehe „um das Ansehen des höchsten Gerichtes.“

Wie auch die SPD verwies Haßelmann gemeinsam mit ihrer Co-Vorsitzenden Katharina Dröge darauf, dass die Kandidaten für die drei eigentlich geplanten Wahlen mit Zweidrittelmehrheiten im Wahlausschuss des Bundestages nominiert worden seien. Dass die Union nun einer der Kandidatin die Stimmen entziehe – für die Grünen ein noch nie dagewesener Vorgang.

Liberale Haltung ist Union ein Dorn im Auge

Doch innerhalb der Union hatte es bereits vor dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe Bedenken gegen Brosius-Gersdorf gegeben – vor allem wegen ihrer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung. Die Juristin hatte in der vergangenen Legislatur an einem Gutachten für die damalige Bundesregierung mitgearbeitet, das die Reform des Abtreibungsparagrafen § 218 Strafgesetzbuch untersuchen sollte. Brosius-Gersdorf spricht sich darin für eine Entkriminalisierung des Abbruchs aus.

Der Streit um die SPD-Kandidatin und die dadurch komplett verschobene Abstimmung über die Richterposten könnte sich für Schwarz-Rot noch zu einer „echten Belastungsprobe“ entwickeln, so ARD-Korrespondentin Claudia Kornmeier. Gerade wenn die Parteien so früh in der Legislaturperiode bei einer solchen Sache nicht zusammenkommen. Denn normalerweise liefen die Richterwahlen „immer recht geräuschlos ab“, mit einer „Abmachung der Parteien“ den nominierten Kandidaten gegenseitig zuzustimmen. Doch der Eklat könne künftig noch andere Folgen haben. Dann kommt laut Kornmeier vielleicht die Frage auf: „Wer will sich noch für das Amt zur Verfügung stellen, wenn ihm vor der Wahl so etwas droht?“