(Bild: Alec Tassi / Shutterstock.com)
Rückführungen nach Frankreich sollen illegale Migration stoppen. Doch die Vereinbarung ist umstritten – auf beiden Seiten des Kanals.
Rekordverdächtige 21.117 Flüchtlinge haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in kleinen Booten den Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien überquert. Das sind 56 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, und diese Entwicklung setzt die Regierung von Keir Starmer erheblich unter Druck.
Um den Zustrom zu stoppen, haben der britische Premierminister und der französische Präsident Emmanuel Macron bei einem Gipfeltreffen in London ein neues Abkommen ausgehandelt. Es sieht vor, dass Großbritannien für jeden Migranten, den es nach Frankreich zurückschickt, im Gegenzug einen Migranten mit familiären Bindungen zu Großbritannien aufnimmt – nach dem Prinzip „einer rein, einer raus“.
Pilotprojekt startet mit 50 Rückführungen pro Woche
Zunächst soll das Abkommen als Pilotprojekt starten. Berichten zufolge will Großbritannien anfangs etwa 50 Migranten pro Woche nach Frankreich zurückschicken.
Nur Erwachsene sind betroffen, denen zuvor mitgeteilt wurde, dass ihr Asylantrag unzulässig ist, weil sie aus einem sicheren Land kamen. Sie werden dann inhaftiert und nach Frankreich abgeschoben.
Im Gegenzug kann die gleiche Zahl an Migranten aus Frankreich legal nach Großbritannien einreisen, sofern sie familiäre Verbindungen dorthin nachweisen können.
Starmer unter Druck – Reform UK auf dem Vormarsch
Für den britischen Premierminister Starmer ist das Abkommen innenpolitisch wichtig. Denn seine Zustimmungswerte sind gesunken, auch weil er die illegale Migration bisher nicht in den Griff bekommen hat.
Laut einer Umfrage ist das Thema Einwanderung und Asyl für 51 Prozent der Briten derzeit am wichtigsten, berichtet Al-Jazeera. Davon profitiert hauptsächlich die rechtsextreme und migrationsfeindliche Partei Reform UK. Sie verspricht, alle illegalen Migranten festzunehmen, abzuschieben und notfalls nach Frankreich zurückzubringen.
Starmer dagegen setzt auf Kooperation mit Frankreich. „Wir können eine Herausforderung wie die Abwendung der Boote nicht alleine bewältigen“, sagte er laut Bloomberg. Sein Ziel ist es, mit dem Abkommen einen ersten Schritt zu machen, um Migranten abzuschrecken, die gefährliche Überfahrt zu wagen. Langfristig sollen die Rückführungen nach Frankreich ausgeweitet werden.
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Macron sieht Großbritannien in der Pflicht
Doch in Frankreich regt sich Widerstand gegen diese Pläne. Präsident Macron machte deutlich, dass er von Großbritannien mehr Gegenleistung erwartet. „Frankreich kann nicht zur Müllhalde für Menschen werden, denen Sie kein Asyl gewähren“, sagte er demnach an die Adresse Starmers.
Er forderte, dass Frankreich die abgelehnten Migranten in die EU-Länder zurückführen kann, in denen sie zuerst angekommen sind, etwa Spanien, Italien oder Griechenland.
Auch französische Beamte fürchten, dass ihr Land zum „Rückführungszentrum“ für unerwünschte Migranten aus Großbritannien werden könnte. „Wir begeben uns in die Hände der Briten, ohne minimale Gegenleistungen zu erhalten“, kritisierte ein Beamter, der anonym bleiben wollte, gegenüber der Zeitung Le Monde.
Sprache, Arbeit, Sicherheit – was Migranten nach Großbritannien lockt
Doch warum zieht es so viele Migranten überhaupt nach Großbritannien? Experten sehen dafür mehrere Gründe: Viele haben bereits Verwandte oder Bekannte dort und sprechen die englische Sprache.
Großbritannien macht es illegal einreisenden Flüchtlingen aber auch leicht, unterzutauchen. Es gibt hier keine allgemeine Meldepflicht, was eine illegale Einreise, ob im Schlauchboot oder versteckt in Lkws, relativ attraktiv macht. Von französischer Seite wurde das zuvor immer wieder kritisiert.
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Dank eines informellen Arbeitsmarkts ist es vielen Flüchtlingen möglich, in Großbritannien Beschäftigung zu finden. Auch wenn die Arbeit oftmals illegal aufgenommen wird, so stellt die Möglichkeit auch einen Anreiz dar. Belastbare Zahlen fehlen hier allerdings.
Da es kaum reguläre Einreisemöglichkeiten gibt, bleibt vielen nur der gefährliche Weg über den Ärmelkanal.
Abkommen stößt auf Kritik
Ob das neue Abkommen daran etwas ändern wird, bezweifeln viele Beobachter. Kritiker halten die Zahl der geplanten Rückführungen für viel zu gering, um Migranten wirklich abzuschrecken. „Die Abschiebung von 50 Menschen pro Woche wird das Geschäftsmodell der Schlepper kaum stören“, sagte der Migrationsforscher Sunder Katwala laut Bloomberg.
Auch der konservative Oppositionspolitiker Chris Philp hält das Abkommen demnach für „erbärmlich“. Es bedeute, dass 94 Prozent der illegalen Migranten in Großbritannien bleiben dürften.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem, dass das Abkommen gegen die UN-Flüchtlingskonvention verstoßen könnte, die Asylsuchenden das Recht auf Schutz garantiert.
Auch andere EU-Länder sind skeptisch. Sie fürchten, dass Migranten, die Frankreich aus Großbritannien zurücknimmt, in andere europäische Staaten weiterziehen könnten. Frankreich habe das Abkommen ohne Rücksprache mit der EU ausgehandelt, beschwerte sich ein EU-Diplomat laut Al-Jazeera.