Stand: 11.07.2025 21:40 Uhr

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnt vor einem starken Anstieg von Mangelernährung im Gazastreifen. Gleichzeitig wird die Suche nach Nahrung für die Menschen zur Gefahr. Fast 800 starben laut UN zuletzt in der Nähe von Verteilzentren.

Die Bevölkerung im schwer umkämpften Gazastreifen leidet der Organisation Ärzte ohne Grenzen zufolge zunehmend Hunger. Ihre Teams vor Ort stellten „einen starken Anstieg der Fälle akuter Mangelernährung“ in dem abgeriegelten Küstenstreifen fest, wie die Organisation mitteilte.

„Dies ist das erste Mal, dass wir ein solch schweres Ausmaß an Mangelernährung in Gaza beobachten“, zitierte die Mitteilung Mohammed Abu Mughaisib, den stellvertretenden medizinischen Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. „Der Hunger der Menschen in Gaza ist gewollt, er kann morgen enden, wenn die israelischen Behörden die Einfuhr von Nahrungsmitteln in großem Umfang zulassen.“

In ihren beiden Gesundheitszentren in der Stadt Gaza und im Küstenort Al-Mawasi würden derzeit mehr als 700 schwangere und stillende Frauen und fast 500 Kinder mit schwerer und mittelschwerer Mangelernährung ambulant behandelt. In der Stadt Gaza sollen sich die Zahlen demnach in weniger als zwei Monaten fast vervierfacht haben: von 293 Fällen im Mai auf 983 Fälle Anfang Juli. Bei 326 Fällen handelt es sich demnach um Kinder im Alter zwischen 6 und 23 Monaten.

Kritik an Israel

Die Mangelernährung im Gazastreifen sei das Ergebnis bewusster Entscheidungen der israelischen Behörden, hieß es in der Mitteilung weiter. Israel beschränke die Einfuhr von Nahrungsmitteln auf das lebensnotwendige Minimum und militarisiere die anschließende Verteilung. Ärzte ohne Grenzen fordert deshalb dringend einen ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, unter anderem für Nahrungsmittel und Medikamente und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Israel kontrolliert alle Zugänge zum Gazastreifen und damit auch die Transportwege für jegliche humanitäre Hilfe. Im März hatte es sämtliche Hilfslieferungen blockiert und die Sperre erst Ende Mai ein wenig gelockert. Israel begründet die Drosselung der Hilfslieferungen damit, dass die Terrororganisation Hamas die Güter stehlen würde. Beweise dafür gibt es laut UN-Organisationen keine.

Die Suche nach Lebensmitteln wird für die Menschen im Gazastreifen zunehmend zur Gefahr. Seit Ende Mai sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast 800 Hilfe suchende Menschen in der Nähe von Verteilzentren getötet worden. Zwischen dem 26. Mai und dem 7. Juli seien allein in der Nähe von Verteilzentren der umstrittenen Privatstiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) 615 Menschen getötet worden, sagte die Sprecherin von UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, Ravina Shamdasani. Weitere 183 Menschen seien „vermutlich auf den Routen der Hilfskonvois“ der UN und anderer Hilfsorganisationen getötet worden, fügte Shamdasani hinzu.

UN: Meiste Tote durch Schussverletzungen

Insgesamt seien somit fast 800 Menschen „beim Versuch, Zugang zu Hilfe zu erhalten“, getötet worden, sagte Shamdasani. Die meisten der Verletzungen seien Schussverletzungen gewesen, hieß es weiter.  Shamdasani betonte, dass das UN-Menschenrechtsbüro wiederholt „ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Grundsätze des humanitären Völkerrechts“ im Gaza-Krieg geäußert habe. Es sei „inakzeptabel“, dass Menschen dort, wo sie für lebenswichtige Güter wie Essen und Medikamente anstünden, angegriffen würden.

Die israelische Armee machte die Hamas für die Schüsse auf Zivilisten in der Umgebung der Verteilzentren verantwortlich. Heute erklärte die Armee als Reaktion auf den Bericht der Vereinten Nationen, Lehren aus den tödlichen Vorfälle gezogen zu haben. Die Vorfälle in der Nähe der Ausgabestellen würden untersucht. Es habe außerdem Bemühungen gegeben, durch das Aufstellen von Zäunen und Schildern, die Öffnung zusätzlicher Wege sowie durch andere Maßnahmen das Gebiet neu zu organisieren, teilte die israelische Armee mit.

Die von Israel und den USA unterstützte GHF-Stiftung hatte gestern erklärt, bislang mehr als 69 Millionen Mahlzeiten verteilt zu haben. Den Vorwurf von tödlichen Schießereien in der unmittelbaren Nähe ihrer Verteilzentren bestritt die Stiftung.

Nach der Aufhebung der israelischen Blockade nahm die GHF ihre Arbeit auf und eröffnete vier Verteilzentren im Süden und im Zentrum des Palästinensergebiets. Die UN und große Hilfsorganisationen verweigern die Kooperation mit der Stiftung. Sie werfen ihr vor, sich nach den Plänen der israelischen Armee auszurichten und damit gegen grundlegende humanitäre Prinzipien zu verstoßen. Mehrere Hilfsorganisation, darunter Ärzte ohne Grenzen und Save the Children, forderten zuletzt, dass die GHF ihre Arbeit einstellen und die Verteilung von Hilfsgütern wieder von der UN koordiniert werden soll.